"Werde glücklich auf Deine Art"
Einer der Abschiedsbriefe, die Rudolf vor seinem Selbstmord schrieb, war an seine Gemahlin gerichtet. "Liebe Stephanie! Du bist von meiner Gegenwart und Sorge befreit; werde glücklich auf Deine Art. Sei gut für die arme Kleine, die das einzige ist, was von mir übrig bleibt . . ."
Die kleine, fünfjährige Tochter war nun das einzige Lebewesen, dessen Herz Stephanie am Wiener Hof entgegenschlug, das sie liebkosen konnte. "Elisabeth ist mir ein Trost, ich trachte viel bei ihr zu sein", schrieb sie an ihre Schwester Louise von Sachsen-Coburg.
Stephanies Position in der Hofburg veränderte sich nach dem Tod Rudolfs grundlegend. Sie blieb als Kronprinzessin-Witwe zwar Mitglied der Hofgesellschaft, der Kaiser überließ ihr die Appartements seines Sohnes und gewährte ihr einen jährlichen Witwenbezug von 150.000 Gulden. Damit ließ sich fürstlich leben. Aber Stephanie blieb von den Repräsentationspflichten, die sie in Abwesenheit der Kaiserin so gerne wahrgenommen hatte, ausgeschlossen. Das schmerzte sie tief.
Um der Hofgesellschaft zu entfliehen, die ihr mit Missgunst und Animosität begegnet, krempelt die 25-jährige Witwe ihr Leben gründlich um. Sie nimmt Mal- und Gesangsstunden, absolviert Kuraufenthalte und unternimmt mit beachtlichem Gefolge zumeist inkognito Schiffs- und Besichtigungsreisen nach Nordafrika, Palästina, zum Zarenhof in St. Petersburg, nach Skandinavien. Wie bei der Kaiserin wird ihre Reiselust bald zur Manie.
Die Obsorge für die Tochter, die indessen zum frühreifen Teenager heranwächst, überlässt sie dem kaiserlichen Großvater und den Erzieherinnen. Zu Beginn des Jahres 1898 erkrankt Stephanie an einer schweren Lungen- und Rippenfellentzündung, die das Ärgste befürchten lässt. Sie übersteht die Krise, erholt sich in verhältnismäßig kurzer Zeit und sorgt zwei Jahre später mit der Ankündigung, sich wieder zu vermählen, nicht nur am Kaiserhof für ausgiebigen Gesprächsstoff.
Stephanie ist 36 Jahre alt, eine elegante, noble Dame. Ihr adelsstolzes Auge ist auf einen ungarischen Grafen namens Elemer Lonyay gefallen. Der gut aussehende Graf ist ein magyarischer Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle. Er entstammte uraltem Adel. Elemer studierte Jus an der Budapester Universität und stand als Di-plomat in kaiserlichen Diensten, aber er war unebenbürtig. Franz Joseph gab nur widerstrebend seine Zustimmung zur Heirat. Stephanie muss aus dem Kaiserhaus, Elemer aus dem diplomatischen Dienst ausscheiden. Am 22. März 1900 geben sie einander in der Schlosskapelle von Miramare das Jawort.
Die Schlossherrin im Mittelpunkt
Für Stephanie beginnt ein neuer Lebensabschnitt, der 45 Jahre lang dauern wird. Das jung vermählte Paar bezieht zunächst die Villa Zichy in Kalksburg bei Wien, ehe es einige Jahre später nach Schloss Orosvár bei Pressburg übersiedelt, das es um vier Millionen Kronen aus der Verlassenschaft der Gräfin Laura Henckel von Donnersmark angekauft hat. In der zweistöckigen Schlossanlage mit ihren mehr als zweihundert, mit auserlesenem Geschmack eingerichteten Zimmern ist die ehemalige Kronprinzessin der Österreichisch-Ungarischen Monarchie in ihrem Element. Stephanie holt dort nach, was ihr in der Wiener Hofburg versagt blieb.
Die Schlossherrin ist der Mittelpunkt, um den sich alles dreht. Sie führt das k. u. k. Hofzeremoniell ein, die fünfundzwanzig Bediensteten müssen sie per "Königliche Hoheit" ansprechen, zu den in perfekter Vollendung arrangierten Mahlzeiten erscheint die elegante Herrin des Hauses täglich in einer anderen Toilette.
Die Lonyays laden auf ihren Herrensitz illustre Gäste ein. Erzherzog Franz Ferdinand und Gemahlin kommen zu Besuch und auch Bertha von Suttner, die die Gastfreundschaft des Ehepaares in überschwänglichen Tönen lobt.
Jahr um Jahr verrinnt und versickert im löchrigen Lebensfass. Die Lonyays sind alt geworden, gebrechlich und einsam. Eines Tages im April 1945 klopft die Weltgeschichte bedrohlich an das Eingangstor von Orosvár. Russische Soldaten stürmen in das Schloss und plündern die Räume. Die herzkranke Stephanie sitzt verwirrt im Lehnstuhl und sieht dem Treiben verständnislos zu.
Dann wird sie bettlägerig. Dem Hauskaplan Dr. Andreas Szennay gelingt es, einen Krankenwagen zu mobilisieren und in die Benediktinerabtei Pannonhalma zu dirigieren. Dort, im Gästezimmer der Prälatur, schied die königlich belgische Prinzessin am 23. August 1945 aus dem Leben. Ihr Gemahl folgte ihr ein Jahr später nach.
Friedrich Weissensteiner war Direktor eines Wiener Gymnasiums und ist Autor zahlreicher historischer Bücher: "Frauen um Kronprinz Rudolf", "Die rote Erzherzogin", "Große Herrscher des Hauses Habsburg" u. a.