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Die Ahnen der Europäer

Von Roland Knauer

Wissen
In Motala (Schweden) gruben Forscher die Fossilien von Jägern und Sammlern aus.
© Fredrik Hallgren

Erste Bauern sowie Jäger und Sammler aus verschiedenen Regionen der Erde prägen unser Erbgut.


Berlin. Europa war schon vor einigen Jahrtausenden ein Schmelztiegel verschiedener Bevölkerungsgruppen. Zu den alteingesessenen Jägern und Sammlern Mitteleuropas kamen vor etwa 7000 Jahren Bauern mit Wurzeln im Nahen und Mittleren Osten. Mindestens 2000 Jahre später kamen möglicherweise aus den Steppen im Osten Europas und im Norden Asiens weitere Menschen hier an, deren Verwandtschaft bis zu den Indianern Amerikas reicht. Das schließen Johannes Krause von der Universität Tübingen, David Reich von der Universität Harvard in Boston und mehr als 100 Kollegen aus aller Welt in der Zeitschrift "Nature" (Band 513, Seite 409) aus einem Vergleich des Erbguts von Bauern und Jägern der Steinzeit und von Menschen des 21. Jahrhunderts.

Fruchtbarer Halbmond

"Ursprünglich wollten wir eine Kontroverse über die Herkunft der ersten europäischen Bauern lösen", erinnert sich Johannes Krause, der auch Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Geschichte und Naturwissenschaften in Jena ist. Die Geschichte dieser ersten Bauern in Europa beginnt einige Jahrtausende früher in Vorderasien. In diesem "Fruchtbaren Halbmond", zu dem Gebiete der heutigen Staaten Iran, Irak, Syrien und Türkei gehörten, hatten die Menschen der Steinzeit vor mehr als 10.000 Jahren die ersten Methoden der Landwirtschaft entdeckt. Vor rund 7000 Jahren erreichten Ackerbau und Viehzucht dann auch Mitteleuropa, sind sich Steinzeit-Archäologen einig. Ob damals aber Bauern einwanderten oder die bereits seit Jahrtausenden hier lebenden Jäger und Sammler die Landwirtschaft und ihre Methoden einfach von ihren Nachbarn übernahmen, wusste bisher niemand genau.

Die Antwort auf diese Frage sollte im Erbgut der Beteiligten zu finden sein. Auf einem Steinzeitfriedhof beim Viesenhäuser Hof im Stuttgarter Stadtteil Mühlhausen hatten Archäologen bereits Anfang der 1990er Jahre 84 Skelette ausgegraben, die vor 7000 Jahren dort bestattet worden waren. "Diese Menschen gehörten zu den ersten Bauern, die in Mitteleuropa auftauchten", erklärt Krause. Aus einem Backenzahn einer im Alter von 20 bis 30 Jahren verstorbenen Frau isolierten die Forscher an der Tübinger Universität deren Erbgut. Dessen Analyse zeigte eine starke Ähnlichkeit der DNA-Sequenz mit dem Erbgut des Steinzeitmannes Ötzi, der fast 2000 Jahre später lebte. Dass sich das Erbgut der Steinzeit-Bauern, zu denen auch Ötzi gehörte, sehr ähnelte, bestätigen auch bereits früher ermittelte DNA-Sequenzen von Bauern, die vor ungefähr 5000 Jahren den Süden Schwedens erreichten.

Vor rund 8000 Jahren lebten in dieser Region bereits Jäger und Sammler. Zwischen 2009 und 2013 gruben Archäologen diesen Steinzeit-Friedhof in der Stadt Motala im Süden Schwedens aus. Das Erbgut aus neun Zähnen und je einem Schienbein- und Oberschenkelknochen verschiedener Individuen analysierten die Forscher an der Uni Tübingen. Ebenfalls vor 8000 Jahren lebte ein Jäger und Sammler dort, wo heute Luxemburg liegt, seine Überreste wurden bereits 1935 entdeckt.

Ein Vergleich der so gewonnenen Sequenzen bestätigte dann eine dritte Theorie über die Ankunft der Landwirtschaft in Europa: Die Menschen aus dem Fruchtbaren Halbmond hatten sich durchaus auf den Weg nach Europa gemacht. Unterwegs aber scheinen sie sich immer wieder mit den Einheimischen eingelassen zu haben. "Ein wenig mehr als die Hälfte des Erbguts der ersten Bauern Mitteleuropas stammt von den Jägern und Sammlern Europas", sagt Johannes Krause. Vor allem im Karpatenbecken im heutigen Ungarn könnte es zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen immer wieder gefunkt haben.

Spuren dieser Steinzeitmenschen finden die Forscher dann auch bei 2345 Menschen des 21. Jahrhunderts: "Rund 40 Prozent des Erbguts der Menschen im heutigen Mitteleuropa stammen von den europäischen Jägern und Sammlern, weitere 50 Prozent kommen von den frühen steinzeitlichen Bauern", fasst Krause zusammen. Wo aber kommen die restlichen zehn Prozent des Erbguts her? Die Forscher standen zunächst vor einem Rätsel.

Das Anfang 2014 veröffentlichte Erbgut eines Kindes, das vor rund 24.000 Jahren nahe dem Baikalsee in Sibirien gestorben war, brachte dann die Sensation. Seine DNA-Sequenz lieferte nicht nur die bisher "fehlenden" sieben bis zehn Prozent der Erbinformationen im Genom der Mitteleuropäer, sondern zeigte auch deutliche Verwandtschaft mit den Indianern Amerikas. Daraus können sich die Forscher die Heimat dieser bisher weitgehend unbekannten Menschengruppe zusammenreimen: Sie lebten offensichtlich in den kalten Steppen, die vom Nordosten Europas bis in den äußersten Osten Sibiriens reichten.

Nord-eurasisches Erbgut

In der Eiszeit gab es dort eine breite Landbrücke nach Alaska, über die diese Menschen später nach Nordamerika kamen. Ganz im Westen haben diese Bewohner der nordeurasischen Steppen bereits geringe Spuren im Erbgut der Jäger und Sammler hinterlassen, die vor 8000 Jahren in Südschweden lebten. Aber weder im Erbgut des Luxemburger Jägers noch im Genom von Ötzi oder der Bäuerin aus Stuttgart finden sich Hinweise auf diese Nord-Eurasier.

Wohl aber finden sich die Spuren des Erbguts des Kindes vom Baikalsee in den heutigen Indianern und Europäern: "Rund 20 Prozent der DNA der Menschen im Baltikum kommt von diesen nordeurasischen Steppenbewohnern, in Mitteleuropa sind es sieben bis zehn Prozent und in Sardinien gerade noch ein Prozent", erklärt Krause. Die Menschen auf dieser Mittelmeer-Insel scheinen bis heute relativ isoliert vom Rest Europas zu leben. Ihr Erbgut ähnelt noch heute sehr stark dem Genom von Ötzi und der vor 7000 Jahren verstorbenen Bäuerin aus Stuttgart.

"Vor weniger als 5000 Jahren kamen dann die Steppenbewohner Nordeurasiens in den Rest Europas", vermutet Johannes Krause. Möglicherweise brachten sie auch die unter Archäologen gut bekannte Kultur der Schnurkeramik mit. Mit Sicherheit aber hinterließen sie Spuren in unserem Erbgut.