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Auschwitz als Lehre für die Gegenwart

Von Edwin Baumgartner

Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust ist nur dann sinnvoll, wenn man das Heute auf antisemitische Strömungen befragt.


Am 27. Jänner befreit die Rote Armee die Häftlinge des KZ Auschwitz. Seit 1996 ist der 27. Jänner in Deutschland ein gesetzlich verankerter Gedenktag, 2005 wurde er von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt - eine schiefe Formulierung, denn das Wort "Holocaust" beinhaltet "Brandopfergabe" und bezieht sich auf ein freiwillig dargebrachtes Tieropfer, während das für die Verbrechen des Nationalsozialismus an den Juden seltener verwendete Wort "Schoa" das Faktum genauer trifft: Dieses hebräische Wort bezeichnet in der Bibel eine ausländische Bedrohung des Volkes Israel. Es ist mit "Unheil" oder "Heimsuchung" übersetzbar.

Doch das ist nicht das einzige Problem, das viele Juden, unter ihnen der polnisch-deutsche Publizist Henryk M. Broder, mit dem Gedenktag haben. Tatsächlich scheint es so, als würden Antisemitismus und Antijudaismus durch den Gedenktag rein historisch verortet. Auschwitz wird zum Symbol einer beispiellosen Judenverfolgung. Ihrer Opfer, wer wollte es leugnen, wird zu Recht gedacht - doch es wird durch diese historische Einordnung der Verbrechen übersehen, dass in unserer Gegenwart vermehrt Antijudaismus und Antisemitismus Platz greifen. Das alte Übel war 1945 keineswegs ausgerottet.

Antisemitismus heute

So wird Juden von ihren Gemeinden beispielsweise angeraten, in gewissen Teilen deutscher Städte auf das Tragen der Kippa zu verzichten und eine unauffällige Kopfbedeckung zu wählen. Tatsächlich kommen Übergriffe auf Juden derzeit verstärkt vor.

Einer der Gründe ist zweifellos die Zunahme der fundamentalistischen Muslime. Doch es wäre eine Verkennung der Situation, den Antisemitismus der Gegenwart ausschließlich bei den Muslimen auszumachen. Gerade die aufgrund des zeitlichen Abstands zunehmende Historisierung der nationalsozialistischen Verbrechen ermöglicht es, gegenwärtige antisemitische und antijüdische Ressentiments herunterzuspielen. Mit der Phrase "man wird ja noch sagen dürfen, dass" wird oft ein Statement eingeleitet, das selbstverständlich, aus Gründen der Meinungsfreiheit,
gesagt werden darf, ebenso selbstverständlich aber auch prononciert anti-jüdisch ist.

Aus diesem Grund ist es dringend geboten, die mit dem KZ Auschwitz verbundene Geschichte nicht Geschichte sein zu lassen, sondern immer wieder zu überprüfen, ob ihre Mechanismen nicht - in vielleicht veränderter Form - auch in der Gegenwart relevant sind. Das Volk der Juden hat glücklicherweise überlebt. Das verfluchte Übel Antisemitismus leider auch.

Betrifft: Geschichte - Auschwitz.
Der systematische Massenmord.
19. bis 23. Jänner, Radio Ö1 täglich um 17.55 Uhr.
Mit Sybille Steinbacher, Institut für Zeitgeschichte, Uni Wien.