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"Geraubtes Kulturgut nützt dem Terror"

Von Eva Stanzl

Wissen

Ägyptologin Wafaa El Saddik appelliert daran, keine Kulturgüter aus Kampf- und Kriegsgebieten zu kaufen, | erneuert ihre Forderung nach einem Obolus für Nofretete und gibt Aufschluss über des Pharaos Bart.


"Wiener Zeitung": Sie engagieren sich stark für den Schutz von Kulturgütern in Kampf- und Kriegsgebieten. Welche Aktivitäten stehen auf Ihrer Liste an oberster Stelle?Wafaa El Saddik: Viele Menschen in Ägypten wissen nicht, was Kulturerbe bedeutet. Ich habe vor 15 Jahren einen Verein gegründet, über den deutsche Experten in ägyptischen Museen referieren und Schulkindern und deren Eltern den Wert dieser Objekte verdeutlichen. Weiters machen wir Informationsveranstaltungen und zeigen Filme darüber, was im Zuge der Plünderungen in den letzten Jahren passiert ist. Wir versuchen zu vermitteln, wie gefährlich es ist, sein Kulturerbe nicht zu schützen: Mit Raubplünderungen geht die Geschichte eines Ortes verloren.

Wie viele Kulturgüter sind während der Herrschaft der Muslimbrüder verschwunden?

In Mittelägypten, etwa in El Heba, wurden archäologische Stätten zu 90 Prozent geplündert. Die Plünderer nahmen, was sie fanden, und verkauften es an Händler im Ausland. Da viele Orte wenig erforscht sind, ist die Mehrzahl der gestohlenen Objekte nicht registriert. Somit wissen wir nur, wo etwas zerstört wurde, aber nicht, was und wie viel. Da wir nichts zurückholen können, werden wir nun bei vielen Orten nie wissen, bis zu welcher Zeit sie zurückgehen.

Gibt es eine Idee, wie viel im Irak, in Syrien und Libyen verschwindet?

Die Terroristen, die diese Länder kontrollieren, lassen das niemanden prüfen. Terroristische Gruppierungen wie die IS verkaufen diese Objekte, um damit Waffen zu kaufen: Jeder, der sie kauft, unterstützt Terrorgruppen. Es ist daher ganz wichtig, was aus diesen Ländern derzeit auf den Markt kommt, nicht zu kaufen. Selbst wenn man in ein Objekt verliebt ist, tötet man mit dem Kauf jeder Figurine, jedes Tellers und jedes Schmuckstücks andere Menschen.

Offenbar kennen sich die Plünderer fachlich aus.

Es gibt eine internationale Mafia, die ihre Leute damit beauftragt, bestimmte Orte zu plündern. Die Kulturobjekte verschwinden sehr schnell, werden an den Grenzen übernommen. Terrorgruppen sind die Auftraggeber und finanzieren sich damit, und die Mafia weiß genau, mit wem sie arbeiten kann: Diese Leute kommen mit Maschinengewehren und die Archäologen sind völlig machtlos.

Wie können Archäologen, Organisationen und Politik dieser Katastrophe Einhalt gebieten?

In Ägypten war Sicherheit ganz wichtig und eine starke Armee, die mit der Polizei zum Schutz der archäologischen Stätten arbeitet. Was die Krisengebiete heute betrifft müssen wir alle - die ganze Welt - sagen: Ich kaufe nichts. Ein Kaufboykott ist das Einzige, was die Altertümer schützt - wir dürfen keinen Markt entstehen lassen. Denn es gibt keine Sicherheit in diesen Gebieten, bis diese Terroristen verhaftet sind und wir das Problem hinter uns haben.

Wie ist die Lage in Ihrem Land?

Es hat sich beruhigt, aber leider gibt es wenige Touristen, die Geld ins Land bringen. Ich war gerade in Luxor, wo wir 10.000 bis 12.000 Touristen am Tag hatten - heute sind es 400: Wer das Tal der Könige in Ruhe besuchen will, kann es jetzt tun. Verändert hat sich hier nichts, denn geplündert wurde, wo niemand ist: Touristen schützen gewissermaßen Kulturstätten.



Sie haben einmal im Interview mit der "Wiener Zeitung" einen Obolus für Nofretete vom Neuen Museum gefordert, damit Ägypten sein Kulturerbe leichter erhalten kann. Gab es Reaktionen und würden Sie Ihre Forderung auf weitere Objekte und Museen ausweiten?

Eine offizielle Reaktion gab es noch nicht. Aber wie ich höre, ist es machbar. Auch bei Vorträgen, die ich dazu in Deutschland halte, wird die Idee stets für gut befunden. Es wäre gut, mit Deutschland und Berlin anzufangen, und diese Entschädigungen dann nach Großbritannien auszuweiten. Für legal überantwortete Kulturobjekte stelle ich mir einen Euro pro Ticket vor und für illegal importierte Güter den Status der Dauerleihgabe. Wir brauchen das Geld und wollen das Problem lösen, sonst wird Ägypten immer verlangen, dass Kulturgüter zurückkommen.

Was wäre die Büste der Nofretete: Entschädigung oder Dauerleihgabe?

Sie wäre eine Dauerleihgabe. Offiziell wurde 1913 eine Teilung der Büste zwischen Deutschland und Frankreich festgehalten, somit ging sie damals legal nach Berlin. Aber wenn man das Papier studiert, ist es völlig unklar, wer bei uns dem zugestimmt hat.

Ägypten rätselt auch über die 1922 entdeckte Totenmaske des Pharaos Tutanchamun, einer der berühmtesten Funde aus dem alten Ägypten. Der Bart soll abgebrochen und dann hastig und unprofessionell wieder angeklebt worden sein. Können Sie das bestätigen?

Grundlegend vorweg: Der Bart wurde von Anfang an separat angefertigt und mit dem Tod des Pharaos an der Maske fixiert. Als man den Sarg öffnete, sah man, dass er sich gelöst hatte. Der Entdecker des Grabs, Howard Carter, fotografierte die Teile separat. Bei den Restaurierungsarbeiten wurden sie dann zusammengefügt. Ich selbst habe aus den Medien erfahren, dass der Bart, man sagt, bei Arbeiten an der Beleuchtung, abgetrennt wurde, und schaute es mir an: Wer es nicht weiß, sieht nichts, die Maske ist anders als berichtet weder zerkratzt noch beschädigt. Tatsache ist auch, dass Schäden in jedem Museum passieren und man heilfroh sein kann, wenn es einem nicht selbst passiert. Nun untersucht eine Expertenkommission den Fall.

Zur Person

Wafaa

El Saddik

geboren 1950, studierte Ägyptologie in Kairo und promovierte in Wien. Sie war die erste Generaldirektorin des Ägyptischen Nationalmuseums und kuratierte unter anderen die Ausstellung "Tutanchamun. Das Goldene Jenseits".