
Durch Hunger und nicht auf dem Schlachtfeld hätte das Wilheminische Deutschland den Ersten Weltkrieg verloren - das war die Überzeugung von Hitler und Co., als sie 1933 die Macht ergriffen. Eine "Erzeugungsschlacht" sollte deshalb dem Nazi-Staat die als "Nahrungsfreiheit" propagierte Lebensmittel-Autarkie im herbeigewünschten nächsten Revanche-Gemetzel bringen.
Doch die hochfliegenden Pläne mündeten schon 1935 in einer Versorgungskrise. Um dem Dilemma zu entgehen, erlaubten die braunen Machthaber eine drastische Lebensmittelverfälschung.
Widerliche Produkte
Die Wiener Fleischwerke erzeugten mit behördlicher Genehmigung Fleischkonserven von Schweinefleisch aus lähmekranken Beständen, soweit dieses nach der Schlachtung in der Wiener Kontumazanlage für genusstauglich befunden wurde. ("Kontumaz" ist ein altes Wort für "Quarantäne"; und die ansteckende Schweinelähme ist eine durch den Teschenvirus hervorgerufene seuchenhafte Gehirn- und Rückenmarksentzündung. Nach Erregungs- und Krampfzuständen, Schwanken der Hinterhand und Lähmung verläuft die Krankheit meist tödlich.)

Darmabputzfett, durch das Abschaben des Gekröses zwangsläufig mit koliformen Keimen kontaminiert, durfte verwendet werden. Ebenso zum menschlichen "Genuss" freigegeben wurde Knochenfett, extrahiert mittels Benzin und eigentlich nur zur Erzeugung von Stearinkerzen geeignet. Um das ziemlich stark verunreinigte Rohfett von den Geruchsstoffen zu befreien, entwickelte die Firma WIF ein "Nachschmelzverfahren Patent Hinko", bei dem der verunreinigte Rohtalg 24 Stunden in kaltem Wasser gebadet, dann in heißem Wasser geschmolzen, schließlich gut durchgewaschen und durch eine Zentrifuge geschickt wurde.
Den Wurstwaren durften zunächst Schlachttierblut, Grütze, Mehl und Semmeln zugesetzt werden, später waren auch Gemüse, Kartoffeln und Eicheln, schließlich Unterfüße, Geschlechtsdrüsen und Rinderköpfe erlaubt. Bäcker durften Retourwaren in den Teig einrühren, was dem unredlichen Gewerbebrauch zur Wiederverwendung verschimmelter Ware Vorschub leistete. Selbst die giftigen Frühlingslorcheln wurden nach Abkochen zum Verzehr empfohlen.
Als die Versorgungs-Realität durch Ausplünderung der "Ostmark" und anderer Agrarstaaten des Ostens ebenfalls auf die Dauer hinter den Erwartungen zurückblieb, kam eine Fülle von Ersatz-Lebensmitteln zum Einsatz. Eine kleine Auswahl:
Die mit der SS und Heinrich Himmler verbundene Firma Oetker entwickelte aus Magermilch das "Milei" - verwendbar anstelle von Eiern (in der Propaganda des Regimes allerdings "kein Ersatz, sondern ein neuer Rohstoff, um das verknappte Hühnerei küchen- und backtechnisch auszutauschen"). "Migetti" diente der Vortäuschung von Teigwaren, und "Saconso" als Ersatz für Schlagobers (das nach einer Behandlung durch Salpeter- und Schwefelsäure zur Produktion von Nitroglyzerin kriegswichtig war).
Als das deutsche "Coca-Cola" (ebenfalls eng mit der NSDAP verbunden) durch den Weltkrieg von der in den USA hergestellten, geheimen Grundessenz abgeschnitten war, erfanden die Firmenfachleute "Fanta", ein Molkegetränk, angereichert durch die Abfälle aus der Apfel- und Orangenproduktion in Mussolinis Reich.
Paraffinum Liquidum (treffender als "Vaselinöl" bezeichnet) wurde nicht nur als Trennmittel, sondern - angesichts des Fettmangels - trotz Warnungen der Behörden zur Speisenzubereitung verwendet. Dadurch wurde Flatulenz zur Volkskrankheit.
Unter den österreichischen Regime-Gegnern im Untergrund kursierte über diese Flut von Ersatzstoffen folgender Witz: "Piefke: Eines Tages werden wir aus Scheiße Butter machen. Der deutsche Erfindungsgeist vermag alles. Österreicher: Ja, ich bin nur neugierig, wir ihr den Geruch weg bringts!"
Je länger der Krieg andauerte, desto mehr beschäftigte sich der "Völkische Beobachter", die Zeitung der NSDAP, mit dem Thema "Lebensmittelvergiftungen" und der Ersten Hilfe im Ernstfall ("künstliches Erbrechen und Rizinusöl"). Immer öfter tolerierten die Lebensmittelkontrolleure und die Untersuchungsanstalten offenbar verdorbene oder massiv von Ungeziefer befallene Ware. Im Archiv des Marktamtes Wien ist unter anderem die Rede von stockfleckiger "Marken-Butter" aus Holland, von bombierten Dosen mit Aprikosen-Pulpe, die geöffnet, mit Schwefel konserviert und dann zur Marmelade- und Konfitüren-Erzeugung freigegeben wurden.
"Nicht genusstauglich"
Bei einer Lebensmittelvergiftung durch "Jägerwurst" in der Werksküche der Austria Emailierungs- und Metallwaren AG in Wien-Simmering, von der 16 Wachorgane, 90 kroatische und 288 französische Zwangsarbeiter betroffen waren, erstellte die Staatliche Untersuchungsanstalt folgenden Befund: "Sehr zahlreiche Stäbchen und Kokken. . . Zwischen den Fasern des grobfasrigen Bindegewebes (Sehnenstücke) dichte Nester von nach Hunderten zählenden Langstäbchen". Aufgrund dieses Sachverhaltes kam der Gutachter zu folgendem Schluss: "Die untersuchte Wurstprobe befand sich zum Zeitpunkt der Probeabnahme zwar noch in genusstauglichem Zustand, war aber stark mit Bakterien durchsetzt und enthielt stark bakteriell verunreinigte Bindegewebsstücke eingearbeitet."