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Griechische Exportgüter

Von Christian Pinter

Wissen
Mythische Figuren bereichern nicht nur die Sprache, sondern auch die Städte. Dieses schöne Paar (Nymphe und Triton) zeigt sich zum Beispiel auf dem Wiener Maria Theresienplatz. Pinter

Schön wie Adonis, scharfsichtig wie Argus: Viele unserer Begriffe und geflügelten Worte entstammen der griechischen Mythologie.


Der schönste der unsterblichen Götter, so schreibt Hesiod, war Eros. Fürs Liebesbegehren zuständig und anfangs als strahlender Jüngling mit goldenen Flügeln dargestellt, schrumpfte er später zur Bubengestalt zusammen. Eros, von den Römern "Amor" genannt, schießt Pfeile auf die Menschen ab. Taucht er sie in Gold, verlieben sich die Getroffenen. Steckt er sie in Blei, folgt Abneigung. Der griechische Gott überlebte im Wort "Erotik": Es steht für die sinnliche Liebe.

Gemälde zeigen Eros gern in Gesellschaft der Aphrodite ("Venus" bei den Römern). Die Liebesgöttin weckte ebenfalls Sehnsüchte, bei Göttern und bei Menschen. Ihr Name findet sich im Aphrodisiakum wieder, das die sexuelle Lust steigern soll. Ein Sohn der Aphrodite war der Fruchtbarkeitsgott Priapos. Man stellte ihn gern mit überlangem Penis dar, weshalb eine krankhafte und schmerzhafte Dauererektion fachlich Priapismus heißt. Sie muss behandelt werden, da sie sonst ins beständige Gegenteil umschlägt.

Zu Aphrodites Verehrern zählte der zarte, junge Mann Adonis. Von bildhübschen Liebhabern sagt man bis heute, sie wären "schön wie Adonis". Einer Erzählung nach soll er vom prächtigen Apollon getötet worden sein. Gerade weil Prinz Eugen "kein Apoll" war und ihm jede "apollonische Schönheit" fehlte, ließ er sich gern in Gestalt dieses Gottes verewigen. Apollo(n) stand für das Licht, die Kunst, die Weissagung und, ungefragt, letztlich auch fürs US-Mondflugprogramm. Sein berühmtester Orakelort lag in Delphi, am Fuße des Parnass-Gebirges. Von diesem Orakel erfuhr Laios, der König von Theben, dass ihn dereinst sein eigener Sohn ermorden würde. So ließ er den Säugling im Gebirge aussetzen. Zuvor durchbohrte er ihm die Fersen, weshalb der Kleine bald Oidipous ("Schwellfuß") genannt wurde. Später begegnete Ödipus seinem Vater, ohne diesen zu erkennen. Er tötete ihn im Streit.

Die Fragen der Sphinx

Vor Theben lauerte die Sphinx: ein seltsames Mischwesen mit Frauenkopf und geflügeltem Löwenleib. Sie würgte alle hinunter, die ihr Lieblingsrätsel nicht lösen konnten: Welches Wesen besitzt eine Stimme und erscheint zuerst vier-, dann zwei- und dann dreibeinig? Nur Ödipus wusste die Antwort: Das ist der Mensch als krabbelnder Säugling, als aufrecht stehender Erwachsener und als Greis mit Gehstock. Rätselhafte, schwer ergründliche Menschen vergleicht man daher noch immer gerne mit der Sphinx. Da der schlaue Ödipus Theben von der Sphinx befreit hatte, kürte man ihn zum König. Als Nachfolger des Laios heiratete er nichtsahnend die verwitwete Königin - und damit seine eigene Mutter. Sigmund Freud benannte bekanntlich einen Komplex und eine Entwicklungsphase nach ihm.

Die homerischen Epen "Ilias" und "Odyssee", die "Theogonie" des Hesiod, die Bibliothek des Apollodor oder die "Metamorphosen" des Ovid - sie alle hielten griechische Mythen lebendig. Daraus entsprangen zahlreiche Begriffe und Redensarten, die wir noch heute gebrauchen. Manche wurden zum "geflügelten Wort", so als erreichte uns die Botschaft damit auf Schwingen.

Die griechische Göttin der Eintracht hieß bezeichnenderweise "Harmonia", jene der Zwietracht "Eris". Bei einer königlichen Hochzeit in Thessalien war die Eris aus naheliegenden Gründen nicht eingeladen, die zwölf Götter des Olymp hingegen schon. Verärgert warf Eris einen goldenen Apfel in die Runde. Seiner Aufschrift nach war er "der Schönsten" gewidmet.

Natürlich geriet er sofort zum Zankapfel: Die Göttinnen Aphrodite, Athene und Hera stritten sich darum. Der Sohn des trojanischen Königs sollte entscheiden. Das Urteil des Paris fiel zu Gunsten der Aphrodite aus, zumal ihm diese die reizendste aller sterblichen Frauen versprochen hatte: Leider war die schöne Helena schon mit dem Sparta-König Menelaos verlobt. Also entführte Paris seine Geliebte nach Troja.

Die französische Hauptstadt hat mit dem Prinzen Paris nichts zu tun. Allerdings wurde der dortige flache Hügel Montparnasse nach dem griechischen Parnass getauft. In diesem mächtigen Gebirge spielte der erwähnte Apollon mit der Lyra - ein Zupfinstrument, auf das Begriffe wie "Leier" oder "Lyrik" zurückgehen. Er begleitete damit den Gesang der neun Musen, die auch als Schutzgöttinnen für die Künste fungierten: die Thalia etwa für die Komödie, die vielstimmige Polyhymnia für den Gesang, die Urania für die Himmelskunde. Im 17. Jahrhundert huldigten Pariser Studenten den Musen am linken Ufer der Seine ausgiebig, daher der Name "Montparnasse".

Die Musen selbst hinterließen ebenfalls etymologische Spuren, etwa in den Wörtern "Musik" oder "leichte Muse". Ein berühmter historischer Musentempel war das Museion, die antike Hochschule Alexandrias. Von ihr leitet sich wiederum unser "Museum" ab - als Hort von Sammlungen.

Kassandrarufe

Die Entführung der Helena soll den Trojanischen Krieg verursacht haben. Da sie die Stadt nicht erobern konnten, zogen die Griechen (in den homerischen Epen "Danaer" genannt) zum Schein wieder ab. Sie ließen ein hölzernes Riesenpferd als vermeintliche Opfergabe zurück. Die Trojaner zogen es in ihre Stadt, wenngleich die Seherin Kassan-dra davor warnte. Sie wurde einst von Apollon verehrt und daher mit der Gabe der Weissagung bedacht. Doch weil sie den Gott nicht erhören wollte, bestrafte er sie: Niemand sollte ihren Prophezeiungen fortan Glauben schenken. So blieben alle Kassandra- rufe ungehört.

Ein sprichwörtliches Danaergeschenk bringt seinem Empfänger bis heute Unheil. Verbirgt sich Schlimmes in scheinbar Harmlosem, spricht man nach wie vor von einem "Trojanischen Pferd". In der Computerwelt können nützlich anmutende Programme Schadsoftware einschleusen. Man nennt sie - verkürzt - "Trojaner".

Als die Griechen aus dem Bauch des Holzpferds kletterten und Trojas Tore öffneten, kämpfte auch Achilleus in ihren Reihen. Er war unverwundbar, da ihn seine Mutter einst in den eisigen Unterweltfluss Styx getaucht hatte. Nur die Ferse, an der sie ihn festhielt, blieb unbenetzt. Der Pfeil des Paris traf ausgerechnet diesen "wunden Punkt", die sprichwörtlich gewordene Achillesferse. Über diesen Mythos kam übrigens auch die Achillessehne zu ihrem Namen.

Die Idee mit dem Holzpferd stammte vom listigen Ithaka-König Odysseus. Nach zehn Jahren der Belagerung geriet seine Heimreise aus Troja zur ebenso langen Irrfahrt, zur berühmten Odyssee. Dabei traf er auf die verführerische Kirke (Circe). Von der Zauberin betört - eben bezirzt - verweilte Odysseus lange auf ihrer Insel.

Vor seiner Weiterfahrt warnte sie ihn schließlich noch vor den schrecklichen Sirenen. Diese Vögel mit Frauenköpfen lockten die Seefahrer mit hellem Gesang auf ihr Eiland, um sie zu töten. Daher befahl Odysseus seinen Männern, sich geknetetes Wachs in die Ohren zu stopfen. Noch heute werden unwiderstehliche Frauen manchmal als "Sirenen" bezeichnet und betörende Kehlen als "Sirenenstimmen". Allzu verführerische Worte gelten als "Sirenengesang". Als man 1819 einen warnenden, überaus lauten Schallgeber erfand, taufte man ihn ebenfalls "Sirene".

Während der Abwesenheit vertraute Odysseus sein Haus und seinen Sohn dem klugen Freund Mentor an. Aus dessen Mund sprach gelegentlich die weise Göttin Athene. Daher wurde Mentors Name später zum Synonym für einen väterlichen Freund, einen Ratgeber oder einen Erzieher. In der Personalentwicklung fördert das Mentoring die Wissensweitergabe von einem erfahrenen zu einem weniger routinierten Mitarbeiter.

Argos, der treue Hund des Odysseus, wartete 20 Jahre lang auf die Wiederkehr seines Herren. Er teilte sich den Namen mit einem hundertäugigen Riesen: Der sollte in Heras Auftrag die Io bewachen, eine Gespielin ihres Göttergatten Zeus. Der alles sehende Wächter fixierte Io mit seinen Argusaugen. Doch der Götterbote Hermes lullte ihn flötenspielend ein und schlug ihm dann den Kopf ab. Hera versetzte die vielen Augen des Riesen Argos ins Gefieder des Pfaus.

Geplagte Nymphen

Der wollüstige Wald- und Naturgott Pan stellte einst der jungfräulichen Syrinx nach. Die anderen Nymphen hatten Mitleid mit ihr und verwandelten sie in Schilf. Die Brise entlockte dem Rohr einen dünnen Klagelaut. Von dessen Lieblichkeit gebannt, schnitt Pan Schilfrohre ungleicher Länge ab und formte daraus die Panflöte. Deren alter Name "Syrinx" verrät die Herkunft. Auch der Stimmkopf der Vögel heißt so. Nymphen wie die Syrinx waren Halbgöttinnen der Quellen, des Meeres, der Flüsse, der Bäume oder der Berge. Oft begleiteten sie, fröhlich tanzend, die Götter - und wurden so zum Objekt männlicher Begierde. Dennoch unterstellte man Frauen mit häufigerem Partnerwechsel später gern "Nymphomanie".

Der Göttervater Zeus war berühmt für seine vielen Seitensprünge. Um die eifersüchtige Gattin Hera abzulenken, wurde diese von der Bergnymphe Echo beschwatzt. Hera rächte sich bitter und stahl ihr die Stimme. Die einstige Plaudertasche konnte fortan bloß noch die letzten Worte anderer wiederholen. So entstand das Echo.

Trat plötzlich Unruhe in einer Herde auf oder blinder Schrecken im nächtlichen Heerlager, machte man dafür das Erscheinen des bocksfüßigen und gehörnten Gottes Pan verantwortlich. Das führte zum Begriff "Panik" für intensiv erlebte Angst. Die Phobie, eine Angststörung, ist hingegen nach einem Sohn des Kriegsgottes Ares (römisch: Mars) benannt. Phobos (griech., "Furcht") brach gemeinsam mit seinem Bruder Deimos ("Schrecken") die dichten Reihen der Krieger auf. Unerschrockene Astronomen tauften später die beiden Marsmonde nach diesem Duo.

Es gibt natürlich noch dutzende weiterer Beispiele für die Hinterlassenschaft der antiken Mythologie in unserer heutigen Sprache: vom "Labyrinth" über die "Büchse der Pandora" bis zur "Insel der Seligen" . . .

ChristianPinter, geb. 1959, lebt als freier Journalist in Wien und schreibt zumeist über astronomische Themen im "extra". Internet: www.himmelszelt.at