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Die selbstlose Kämpferin

Von Hilde Schmölzer

Wissen

Vor 120 Jahren wurde die Feministin, Sozialistin und Widerstandskämpferin Käthe Leichter geboren.


Bereits vor der Machtergreifung Hitlers in Deutschland hat Käthe Leichter vor den frauenfeindlichen Tendenzen des Nationalsozialismus gewarnt. "Wehe der Frau, wenn das Dritte Reich kommt", schrieb sie 1932 in der im Verlag der Wiener Volksbuchhandlung erschienenen Broschüre mit dem Titel: "100.000 Kinder auf einen Hieb - Die Frau als Zuchtstute im Dritten Reich". Drastisch listete sie auf, was Frauen unter nationalsozialistischer Herrschaft erwartet: Diskriminierung, Verdrängung von Bildung und vom Arbeitsmarkt, Reduzierung auf ihre Funktion als Gebärmaschine.

Käthe Leichter war Widerstandskämpferin und Feministin, führende Sozialdemokratin und eine der ersten Wissenschafterinnen Österreichs. In zahlreichen Artikeln, Referaten und Diskussionen bezog sie Stellung gegen Rassismus, Ungleichheit der Geschlechter, Diskriminierung des Proletariats. Sie glaubte an eine humane, friedliche Gesellschaft, und wusste als begnadete Rednerin ihre Botschaft so auszudrücken, dass sie auch von einfachen Menschen ohne große Bildung verstanden wurde. Sie starb, ermordet von den Schergen des nationalsozialistischen Regimes, bis zuletzt aufrecht und ihren Mithäftlingen Mut zusprechend, wie viele Zeitzeuginnen berichten.

Bürgerliche Herkunft

Marianne Katharina Pick, schon früh Käthe gerufen, stammte aus dem liberalen, kultivierten und wohlhabenden jüdischen Wiener Großbürgertum. Ihr Vater, der Hof- und Gerichtsadvokat Josef Pick war ein gebildeter, weit gereister Mann, an dem Käthe sehr hing. Mit ihrer Mutter Lotte Pick, die als sprachbegabt, musikalisch und unternehmungslustig geschildert wird, kam es gelegentlich zu Unstimmigkeiten, unter anderem deshalb, weil sich bereits die kleine Kathi so auffallend für das umfangreiche Dienstpersonal interessierte, was ihre Mutter in mancherlei Hinsicht als übertrieben empfand.

Tatsächlich unterschieden sich die Geschichten von unehelichen Kindern, betrunkenen, prügelnden Vätern und Ehemännern, von Armut und Arbeitslosigkeit, die ihr in der Küche und in den Dienstbotenzimmern erzählt wurden, so auffallend von ihrer eigenen Welt, dass bereits in dem Kind ein Gefühl für Ungleichheit und Ungerechtigkeit, und daraus folgend tiefes Mitleid entstand.

Der Bildungsweg Käthes war vorerst jener einer höheren Tochter: Sie besuchte das Cottage-Lyceum, galt dort als sehr begabt, gleichzeitig jedoch auch als aufmüpfig und war Rädelsführerin bei verschiedenen Protesten und Aktionen. Sie wollte studieren, aber da ihr als Frau damals in Österreich ein Jusstudium noch verwehrt war, entschloss sie sich für das Fach Staatswissenschaften, besuchte an der Wiener Universität jedoch gleichzeitig auch Vorlesungen in Wirtschaftstheorie, Agrargeschichte, Agrarpolitik und Geschichte des Sozialismus.

Nebenbei arbeitete sie drei Jahre lang mit viel Engagement und Begeisterung in einem Hort für Arbeiterkinder als Erzieherin. Hier wurde sie jetzt wirklich mit den Problemen der Proletarier konfrontiert, ihren Lebens- und Arbeitsverhältnissen, den elenden Wohnungen, Hunger und Not. Sie lernte Julius Ofner, den Juristen, Sozialpolitiker und bedeutenden Vertreter des Liberalismus, kennen, ebenso Friedrich Adler, der sie nach eigenen Worten endgültig zur Sozialistin machte - eine Entscheidung, über die in ihrer großbürgerlichen Familie wenig Begeisterung herrschte.

Schließlich - weil es in Wien immer noch nicht möglich war, als Frau in den von Käthe gewählten Fächern die Abschlussprüfung abzulegen - inskribierte sie im Herbst 1917 in Heidelberg, wo sie schließlich im Juli 1918 summa cum laude zum Doktor der Philosophie promovierte.

Zurück in Wien besuchte sie weitere Vorlesungen in Rechtsgeschichte und Privatrecht und schloss sich linken Studentenkreisen an, in denen sie auch ihren späteren Mann, Otto Leichter, kennen lernte. 1919 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Staatskommission für Sozialisierung unter der Leitung von Otto Bauer, damals Staatssekretär im Außenministerium, dann wurde sie Vertragsbedienstete bei dieser Kommission und zugleich Konsulentin im Finanzministe-
rium. 1921 heiratete die Sechsundzwanzigjährige Otto Leichter, der später Redakteur der "Arbeiter-Zeitung" wurde; 1925 und 1926 wurden die beiden Söhne Heinz und Franz geboren.

Frauenforschung

Als Leiterin eines eigenen Frauenreferats der Wiener Arbeiterkammer leistete sie Pionierarbeit. Bereits 1926 wurden erste Ergebnisse über die Lage von Hausgehilfinnen veröffentlicht, die allgemeine Missstände deutlich machten. 1930 gab sie das "Handbuch der Frauenarbeit in Österreich" heraus, in dem führende Funktionärinnen zu Wort kamen und das heute noch als Standardwerk gilt.

Anschließend nahm sie eine Untersuchung der industriellen Frauenarbeit in Angriff, in der die Situation der Arbeiterinnen in den Betrieben sowie ihre Leistung und Belastung als Hausfrauen und Mütter behandelt und gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit gefordert wurde - ein Ziel, das bekanntlich immer noch nicht erreicht ist.

Nach dem Bürgerkrieg 1934 ging sie zusammen mit ihrem Mann in den Untergrund und arbeitete für die illegalen "Revolutionären Sozialisten". Unter Lebensgefahr referierte sie als "Maria Mahler" bei einer Versammlung des Internationalen Frauenkomitees der Sozialistischen Arbeiter-Internationale in Brüssel über "Die Gewerkschaften im Faschismus". Sie verfasste zahlreiche illegale Flugblätter zum Thema "Frau und Nationalsozialismus". Im Flugblatt "Muttertag" etwa warnt sie eindringlich vor einem Krieg und formuliert unmissverständlich die Nazi-Strategien: " . . . nicht für sich, für das Vaterland sollen die Frauen Kinder gebären. Für den kommenden Krieg, für einen Krieg der faschistischen Mächte gegen die Demokratien sollen Kinder gezeugt werden . . . Kanonenfutter für die Angriffslust des italienisch-deutschen Faschismus".

Verspätete Flucht

Aber ihre zahlreichen Appelle und Warnungen wurden von der breiten Masse kaum wahrgenommen. Auch die Sozialdemokratie hat die Gefahr nicht wirklich erkannt. Erst nach der Annexion Österreichs im März 1938 brach Panik aus. Käthe Leichter war als führende Sozialdemokratin und Jüdin besonders gefährdet. Während ihr Mann Otto kurz nach dem sogenannten "Anschluss" in die Schweiz flüchtete, wollte sie ihre alte Mutter, die seit Längerem leidend war, und ihre beiden Kinder nicht verlassen, und blieb trotz der Warnungen ihrer Freunde vorerst in Wien. Schließlich, als die Situation immer gefährlicher wurde, fasste sie den Entschluss, Ende Mai mit gefälschtem tschechischem Pass zusammen mit dem ältesten Sohn Heinz in die Schweiz zu flüchten. Der jüngere Sohn sollte später nachkommen. An die Gestapo verraten hat sie ein gewisser Hans Pav, ein "Freund" aus ihrem Bekanntenkreis, in dem sie sich geschützt glaubte. Als sie sich telefonisch von ihrer Mutter verabschieden wollte, meldete sich dort eine männliche Stimme, die drohte, sie werde im Falle einer Abreise ihre Mutter nie mehr wiedersehen.

Käthe Leichter blieb. Sie brachte ihren Sohn zu verlässlichen Bekannten und im Sommer 1938 waren beide Kinder dann bei ihrem Vater in der Schweiz in Sicherheit. Käthe wurde vorerst in das Polizeigefängnis auf der Elisabethpromenade gebracht, dann in das Landesgericht Wien, wo ihr zusammen mit zwei weiteren Frauen der Prozess wegen Kassiberschmuggels gemacht wurde.

Sie hat dort auch ihre Lebenserinnerungen verfasst, die von etlichen Mithäftlingen unter großer persönlicher Gefährdung aus dem Gefängnis gebracht werden konnten. Dann wurde ihr von der Universität Heidelberg der Doktortitel aberkannt. Ihrer Mutter hat Käthes selbstloser Einsatz nicht geholfen: Die schwer depressive Frau stürzte sich 1941 aus dem Fenster ihrer Wohnung in den Tod.

Im Dezember 1939 wurde Käthe Leichter trotz intensiver Bemühungen ihres Mannes und vieler ausländischer Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen in das Frauengefängnis Ravensbrück gebracht. Als prominenter Häftling musste die jetzt 44-Jährige besonders schwere Straßenarbeit verrichten. Sie war stark abgemagert, ihre Hände waren blutig und voll eiternder Wunden. Rosa Jochmann, mit der sie eng befreundet war, und die kurze Zeit nach Käthe in das KZ kam, erkannte sie kaum wieder.

Schließlich gelang es Jochmann und weiteren Mithäftlingen, Käthe gewisse Arbeitserleichterungen zu verschaffen. Die Freundin beschreibt Leichters Hilfsbereitschaft und ihren Optimismus. "Sie war ein selbstbewusster, aber dennoch ein bescheidener, gütiger Mensch". An Sonntagen, wenn die Kontrollen durch die SS etwas nachließen, veranstaltete sie literarische Nachmittage. Zusammen mit Herta Breuer, einer Rechtsanwältin aus Wien schrieb sie ein Theaterstück, das allerdings vernichtet werden musste, weil es Spottlieder auf die SS und sozialkritische Passagen enthielt. Leichter hatte eine schriftstellerische Begabung und war auch sehr musikalisch. Rosa Jochmann spricht von "unvergesslichen Stunden, die uns der Hölle entrückten".

Jochmann ist es auch, die uns über Käthe Leichters letzte Tage und Stunden informiert hat: Sie wurde im Februar 1942 zusammen mit weiteren 1500 jüdischen Häftlingen in ein anderes Lager gebracht - wahrscheinlich in die Euthanasieanstalt Bernburg (im Bezirk Halle an der Saale). Alle ahnten, was diese Deportation bedeutete: "Wir gingen Hand in Hand, eine stumme Masse . . . niemals werde ich erfahren, ob sie wusste, dass es dem Ende zuging, sie war so gescheit, dass ich eher glaubte, dass sie zu uns barmherzig war und uns Mut zusprach, und dass ihr klar gewesen sein musste, dass sie nicht heimkommen sollte. Heute noch sehe ich Käthe auf dem Lastwagen sitzen, in der bittersten Kälte, die blauen Augen auf uns gerichtet: winkend verschwand sie für immer." Als einige Tage später ihre Kleider und persönlichen Gegenstände in das Konzentrationslager zurückgebracht wurden, gab es keinen Zweifel mehr an ihrem Tod.

Postume Ehrungen

Es gibt heute einen "Käthe Leichter-Preis", eine "Käthe Leichter-Gasse", einen "Käthe Leichter- Hof" im 13. Wiener Gemeindebezirk, und an ihrem Geburtshaus Wien 1, Rudolfsplatz 1, ist eine Gedenktafel zu besichtigen.

Wie so oft in der Geschichte wurden politische und gesellschaftliche Entwicklungen zu spät erkannt, werden einsame Mahner und Mahnerinnen, Rufer und Ruferinnen erst postum geehrt. Unrecht einzusehen ist in geruhsamen, entspannten Zeiten allemal einfacher, wenn kein persönlicher, mühevoller und oft auch gefahrvoller Einsatz gefordert ist. Trotzdem sind es diese Wenigen, die ein Gewissen verkörpern, das den Menschen zum Menschen macht. Was durchaus auch im Hinblick auf die gegenwärtige Situation verstanden werden darf.

Hilde Schmölzer, geboren 1937, lebt als Autorin in Wien. Ihre jüngste Buchpublikation: "Dunkle Liebe eines wilden Geschlechts. Georg und Margarethe Trakl" (Francke Verlag, Tübingen).