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Schutzgeld für Antikenplünderer

Von Eva Stanzl

Wissen

Über ein "Antikenministerium" organisiert die Terrororganisation IS die Verwertung antiker Objekte. Das Ausmaß des illegalen Handels mit Kulturgut sprenge die Vorstellung, warnt der deutsche Archäologe Michael Müller-Karpe.


"Wiener Zeitung": Die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat (IS) setzt die systematische Vernichtung von antiken Stätten fort, Raubgrabungen und Massenplünderungen nehmen nach Ansicht der Unesco "einen industriellen Maßstab an". Wie darf man sich das Ausmaß vorstellen? Wie viele Objekte landen in Europa und kommen in den Handel?

Michael Müller-Karpe: Auf Satellitenbildern kann man den Umfang recht gut erkennen - er sprengt inzwischen jede Vorstellungskraft. Archäologische Stätten, deren Ruinen 5000 Jahre im Boden überdauert hatten, sind zerstört. Ein Grabungsloch ist neben dem anderen - so wie bei Mondlandschaften. Die Löcher sind bis zu zehn Meter tief, die Stollen horizontal. Wir können davon ausgehen, dass Millionen von Objekten geraubt wurden.

Wie viele erreichen den Markt?

Nun, Sie können alles kaufen, wonach Ihnen das Herz steht - in Deutschland, England, Frankreich und auch Österreich -, ohne dass jemand Fragen stellt. Angeboten werden Antiken ohne Herkunftsangabe, oder höchstens mit Feigenblättern von der Sorte "aus bayerischem Privatbesitz" oder "aus britischer Privatsammlung". Das bedeutet im Grunde nichts, außer, dass ein legaler Herkunftsnachweis in Form einer Exportlizenz des Landes, in dem die Fundstelle liegt, nicht vorliegt.

Bedeutet ein fehlender Herkunftsnachweis automatisch, dass es sich um Gegenstände krimineller Herkunft handelt?

Es ist davon auszugehen, dass solche Objekte eigentlich nur krimineller Herkunft sein können. Alle Länder des Vorderen Orient haben Antikengesetze, die die archäologischen Stätten schützen und den Eigentumserwerb antiker Gegenstände reglementieren. Seit 1834 in Griechenland und seit 1869 unter anderen im Irak, in Syrien und der Türkei dürfen Sie weder graben noch ohne Genehmigung Antiken exportieren. Jeder, der keine gültigen Ausfuhrdokumente hat, muss nachweisen, dass das Objekt vor Inkrafttreten dieser Gesetze ins Ausland geschafft wurde. Natürlich gibt es Ausnahmen, allerdings nicht für den Handel, sondern für Archäologen. Etwa existierte eine Fundteilung bis in die 1970er Jahre, wonach Expeditionen als Belohnung einen Teil der Funde ins Ausland mitnehmen durften. Wenn aber eine Ausnahmegenehmigung erteilt wurde, sind dabei Dokumente entstanden. Wenn Sie also keine Dokumente vorgelegt bekommen, können Sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Sie illegal gegrabene Objekte kaufen, denn die legal erworbenen Objekte gehören Museen.

Es gibt einen etablierten Antiken-Handel. Haben diese Händler Zertifikate oder sind sie Ihrer Meinung nach Betrüger?

Gehen Sie hin und fragen Sie nach einer Exportlizenz des Herkunftslandes. Ich verspreche seit vielen Jahren dem- oder derjenigen eine Kiste Bier, der mir ein Objekt in einem Auktionskatalog eines etablierten Antikengeschäfts präsentiert, das nachweislich legaler Herkunft ist.

Sind Sie das Bier schon losgeworden?

Bis jetzt trinke ich die Kiste jedes Jahr selbst. Ein Antikenhändler polemisierte einmal gegen mich, indem er anführte, dass es solche Lizenzen nicht gebe. Und er hat recht: Es gibt keine Ausnahmegenehmigungen für den kommerziellen Handel.

Wer sind diese gekauften "Archäologen", die in Terrorgebieten illegal graben?

In Syrien oder im Irak ist es die lokale Bevölkerung - verarmte Bauern, die wegen der Grauen des Bürgerkriegs ihre Dattelernte nicht verkaufen können und nicht wissen, wie sie ihre Familie sonst sattbekommen sollen. Sie sind die Opfer dieses Systems, denn das Graben ist riskant und gefährlich. Die Schächte sind nicht gesichert. Sie können zusammenbrechen und die Bauern begraben. Wenn man also davon spricht, dass Blut an diesen Dingen klebt, ist das nicht nur im Sinne der Terrorakte, die sich daraus finanzieren, sondern auch weil Menschen dabei zu Schaden kommen.

Wer sind die Zwischenhändler - und wer die Bosse?

In den vom Islamischen Staat besetzten Gebieten gibt es eine Art "Antikenministerium", das die kommerzielle Verwertung archäologischer Stätten organisiert und auf existierende, mafios strukturierte Organisationen zurückgreift. Dieses "Antikenministerium" verpachtet Gebiete in archäologischen Stätten quadratmeterweise an Plünderer und kassiert für jedes gefundene Objekt eine Steuer von etwa 20 Prozent. Im Gegenzug gewährt die IS Plünderern und Schmugglern Schutz.

Der IS saniert sich, indem er unsere Vergangenheit verkauft?

Ja. Im Mai wurde Abu Sayaff (wichtiger Mann hinter IS-Anführer al-Baghdadi, Anm.) festgenommen und getötet. Man fand bei ihm 700 transportfähig verpackte Antiken, die offenbar für den Handel bestimmt waren. Es handelte sich um Objekte aus dem 2003 geplünderten Irak Museum in Baghdad, dem Museum in Mossul und aus Raubgrabungen. Die deutsche Regierung spricht davon, dass der Handel mit geplündertem Kulturgut nach Waffen und Rauschgift an dritter Stelle illegaler Erwerbsquellen steht. Denn es gibt einen Markt dafür mit Käufern, die die Herkunft der heißen Waren nicht hinterfragen. Sie aber schaffen die Voraussetzung dafür, dass Terroristen sich damit finanzieren können, und bezahlen gleichzeitig die Messer, mit denen die Köpfe westlicher Geiseln abgeschnitten werden.

Man könnte eine zynische Strategie vermuten: Eine Terrorgruppe mit Allmachtsanspruch erniedrigt ihre Feinde bis zum Äußersten, indem sie ihnen die Geschichte nimmt und sie dafür zur Kasse bittet.

Es ist sicherlich ein Aspekt, Unislamisches oder Heidnisches zu vernichten. Ich glaube aber, die Zerstörungswut ist auch eine perfide Marketing-Strategie. Die Botschaft ist: Schaut her, wir sind gefährlich und zerstören, was wir nicht verkaufen können.

Verliert man ohne kulturelles Erbe seine kulturelle Identität?

Kulturgüter zu hinterlassen bedeutet, Mensch zu sein. Es geht um die Quelle, aus der sich das kulturelle Gedächtnis speist und um Gesichtsbewusstsein, und damit um einen zentralen Aspekt dessen, was den Menschen in seinem Wesen ausmacht: Bewusstsein. Dieses Bewusstsein speist sich aus dem Bodenarchiv der antiken Objekte. Und sie speichern ihre Hauptinformation im Fundumfeld: Der Wert eines archäologischen Objekts liegt in der Bedeutung, die es in seinem Kontext hatte. Ein illegal entrissenes Objekt kann seine Geschichten nicht mehr erzählen. Aus ihrem Umfeld entfernte Antiken sind als Einzelstücke vielleicht hübsch anzusehen, aber ihr Informationswert ist geschmälert , so wie die eines aus dem Satz gerissenen Buchstabens. Antiken ohne Grabungsort sind so, als hätte man ihm die Zunge herausgeschnitten. Sie können uns nicht mehr sagen, wem sie gehört haben und was sie ihren Besitzern bedeutet haben, sondern sie sind dann einfach nur noch Dinge.

Wir viel ist der Markt für geplündertes Kulturgut wert?

Nach Schätzungen von Unesco und FBI werden jedes Jahr 6 bis 8 Milliarden Dollar damit umgesetzt. Allerdings wurden diese Schätzungen vor 20 Jahren ohne Terror-Hintergrund gemacht. Neuere Schätzungen gehen pro Jahr von einem mehrstelligen Milliardenbetrag aus. Die Strafverfolgungsbehörden sprechen von einem Dunkelfeld, bei dem nur Mitglieder dieser Mafia belastbare Daten herausfinden könnten.

In Deutschland gibt es eine Debatte zur Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes. Lassen bestehende Antikengesetze zu wünschen übrig?

An sich würden die Gesetze ausreichen, nur müssen wir sie eben auch respektieren. Der Handel mit geplündertem Kulturgut tut das nicht. Die Strafverfolgungsbehörden sind überlastet, es gibt zu wenig Stellen aber zu viele Verbrecher, die schneller sind. Das noch größere Problem aber ist das mangelnde Bewusstsein. Mit solchen Käufen schneiden wir uns unsere eigenen Wurzeln ab und das können wir uns weder leisten, noch haben wir es nötig.

Zur Person
Michael Müller-Karpe, geboren 1955 in München, ist Vorderasiatischer Archäologe mit Spezialgebiet Vorderer Orient am Römisch-Germanischen Zentralmuseums in Mainz. Müller-Karpe engagiert sich vehement gegen illegalen Kunsthandel, Antikenhehlerei und Raubgräberei. Er berät den Deutschen Bundestag zum Kulturgüterschutz laut Unesco-Abkommen von 1970 und führt kriminalarchäologische Gutachten für Staatsanwaltschaften durch. Am Mittwoch referierte er auf Einladung der Gesellschaft für Außenpolitik in Wien.