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"Öko-Haus" in Stonehenge

Von Eva Stanzl

Wissen
Archäologe David Jacques: Steinzeitliche Siedlung unter der Erde nahe Stonehenge.
© University of Buckingham

Neuer steinzeitlicher Fund zeigt unerwartet frühen Lebensstil der Sesshaftigkeit.


Buckingham/Wien. Der Fund könnte die Geschichte der Besiedelung Großbritanniens umschreiben. Britische Archäologen haben ein rund 6300 Jahre altes Wohnhaus im Areal von Stonehenge entdeckt. Das sorgfältig gebaute "Öko-Haus", wie es die Forscher liebevoll nennen, ist rund 1300 Jahre älter als die Megalithenkonstruktion selbst. Es sind die ältesten Überreste, die bisher in Stonehenge ausgegraben wurden.

Das Eigenheim stammt aus der (für das nacheiszeitliche Europa definierten) Mittelsteinzeit (Mesolithikum). Laut den Forschern um David Jacques von der University of Buckingham stellt die Bauweise bisherige Annahmen, wonach mesolithische Familien entweder nomadisch oder in temporären Behausungen lebten, auf den Kopf.

"Das Haus unterscheidet sich von bisherigen Ausgrabungen in Stonehenge", betonen die Forscher in einer Aussendung der Universität: "Als Hausmauer haben unsere Vorfahren den etwa neun Meter langen Stamm eines umgefallenen Baumes benutzt." Verblüffender noch als ihre grüne Gesinnung ist aber die Wohnkultur der vermeintlichen Nomaden. So war die Holzwand mit Flintsteinen verkleidet. Die drei Meter tiefe Grube, die die Wurzeln des ausgegrabenen Baumstammes hinterlassen hatten, war mit Kieselsteinen ausgelegt, welche die Wurzeln beim Fällen nach oben geschleudert hatten. Das Öko-Haus war laut den Forschern mit Tierhaut gedeckt.

Steinzeitliche Zentralheizung

In der Nähe des Eigenheims wurde eine Feuerstelle gefunden. Große Steine direkt an der Hausmauer könnten als "steinzeitliche Zentralheizung" gedient haben. Die Archäologen gehen davon aus, dass die Steine tagsüber am Feuer erwärmt und nachts nahe den Schlafplätzen aufgestellt wurden. So konnte das Feuer nachts ausgehen, Brennmaterial wurde gespart.

In England hat die Entdeckung auch eine politische Dimension. 2,9 Kilometer von der archäologischen Stätte entfernt ist der Bau eines Autobahn-Tunnels geplant. Dies könnte jene Funde gefährden, die noch unter der Erde liegen.

Das Gebiet namens Blick Mead, das in 1,5 Kilometer Distanz zu der Touristenattraktion Stonehenge liegt, "ist ein Schlüssel zur Geschichte der Besiedelung Großbritanniens. Es ist die einzige Siedlung, die im Mesolithikum kontinuierlich bewohnt war. Wir gehen davon aus, dass das Öko-Haus typisch für die ersten sesshaften Briten ist", erklärt David Jacques. Die ersten Menschen siedelten sich hier um 7600 vor Christus an, das Gebiet war bis 4246 vor Christus kontinuierlich bewohnt - in der Zeit, als der Landweg nach Europa überschwemmt wurde.

"Das Spannendste an dem Öko-Haus ist die Gesamtsituation. Es gibt eine Quelle und einen Bach, der in den River Avon läuft. Der Bach hatte selbst nach der Eiszeit konstant 12 bis 14 Grad und einen entsprechenden Mineralgehalt, sowie einen flachen Zugang zum Wasser", sagt Wolfgang Neubauer, Leiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Archäologische Prospektion, zur "Wiener Zeitung": "Es ist durchaus vorstellbar, dass in Blick Mead unter dem Boden eine ganze Siedlung liegt, und dass das Öko-Haus nur der Anfang ist."

Neubauers Team hat ein 23 Quadratkilometer großes Areal rund um Stonehenge mittels moderner Technik gescannt. Dabei haben die Forscher verborgene Monumente lokalisiert und 3D-Landkarten des Geländes bis in eine Tiefe von drei Metern erstellt.

In Blick Mead fanden mesolithische Familien Kiefern als rauchfreien Brennstoff, Baumrinden als schmerzstillendes Mittel oder Brunnenkresse für Vitamin D. Der Avon bot Transportwege, der Bach diente auch im Winter als Tränke. Die Archäologen haben etwa 2400 Knochen von Hirschen, Rehen und Auerochsen sowie rund 20.000 Pfeilspitzen und Werkzeuge mesolithischer Jäger gefunden. Ein Teil der Funde ist ab 19. März 2016 im Museum Mistelbach zu sehen.

Eine weitere interessante Entdeckung wirft neues Licht auf die rituelle Kulturstätte Stonehenge: "Wenn man in bestimmten Bereichen des Baches Flintknollen ins Wasser legt, werden sie von speziellen Algen besiedelt", berichtet Neubauer: "Wenn man die Steine dann wieder aus dem Wasser nimmt, verfärben sich diese Flinte rasch in ein leuchtendes Pink. Dieses in der Steinzeit vermutlich unerklärliche Phänomen konnte durchaus als Zeichen der Götter verstanden werden."