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Herrscher von eigenen Gnaden

Von Christoph Rella

Wissen
Infanteristen der chinesischen Nordarmee, die General Yuan 1915 kommandierte.
© Bettman/Corbis

Im Dezember 1915 tobte in China ein Bürgerkrieg. Auslöser war ein ungewöhnlicher Akt des Präsidenten: Er rief sich zum neuen Kaiser aus.


<p>Eines war Yuan Shikai mit Sicherheit nicht: ein Republikaner. Und dennoch war er in jenen Dezembertagen 1915, als sich halb Europa an Maas, Isonzo und Memel im Schützengraben gegenüber lag, der mit Abstand mächtigste Mann der erst jungen Republik China. Man könnte ihn auch als eine Art chinesischen Miklós Horthy bezeichnen: Ein kaiserlicher Militär, der für die Macht im Staat alles opferte - selbst den eigenen Souverän.<p>Für die meisten Zeitgenossen waren ja die Abdankung des erst sechsjährigen Kaisers Puyi im Februar 1912 und damit der Sturz der zweieinhalbtausend Jahre alten chinesischen Monarchie überraschend gekommen. Denn wenn jemand den im Herbst 1911 in der Provinzstadt Wuhan ausgebrochenen Aufstand gegen die durch Opiumkrieg und Boxeraufstand stark geschwächte Mandschu-Dynastie hätte aufhalten können, dann die mächtige Nordarmee, der Yuan als Kommandeur vorstand. Anstatt diese kaiserliche Versicherungspolizze im Kampf gegen die Rebellen einzulösen, nutzte er die Gunst der Stunde und schloss mit dem Revolutionsführer Sun Yatsen, dem Gründer der Kuomintang-Partei, einen Deal. Mit dem Ergebnis, dass der junge Kaiser Puyi fallengelassen wurde und Yuan Shikai ins Präsidentenamt gehievt wurde.<p>

Der hilflose Hof

Yuan Shikai, General und Kaiser.
© Rio V. De Sieux/Wikimedia Commons

<p>Bei Hofe wollte man diesen Verrat freilich nicht wahrhaben. So wie Kaiser Karl bis zuletzt an die Treue des ungarischen Reichsverwesers Horthy glaubte, setzten auch der nach wie vor im Kaiserpalast in Peking lebende Puyi und seine Berater alle Hoffnungen auf seinen einst kaiserlichen Heerführer, von dem die Berater ernsthaft meinten, er habe das "repu-blikanische Experiment" nur zum Schein mitgetragen, um die rebellierenden Provinzen im Süden des Reiches zu befrieden und die Monarchie durch die Hintertür - mit Puyi an der Spitze - wieder einzuführen.

<p>Genährt wurde die Vermutung durch Yuan selbst, der schließlich aus seiner Abneigung gegen die Republik nie ein Hehl gemacht hatte. China könne sich den Luxus einer Republik nicht leisten, pflegte er zu sagen und wurde in dieser Meinung durch seinen US-amerikanischen Rechtsberater Frank Goodnow bestätigt, der im Sommer 1915 in einem Artikel erklärt hatte, dass eine konstitutionelle Monarchie für das noch demokratieunfähige China am besten sei.<p>Tatsächlich schien auch das Verhalten des Präsidenten keinen Zweifel zuzulassen. Er habe die Beobachtung gemacht, notierte Puyi 1965 in seinen Memoiren, dass Yuan konfuzianische Riten pflegte, die alten kaiserlichen Titel wieder eingeführt sowie entlassene Kaisertreue mit hohen Ämtern betraut hatte. Stand die Restauration der Mandschu also bevor?<p>Tatsächlich sollte das Jahr 1915 nicht nur in Europa, wo man sich auf einen langen Krieg einstellte, sondern auch in China zum bestimmenden Schicksalsjahr werden, dessen Fährnisse das einst mächtige und respektierte Reich der Mitte für Jahrzehnte - bis zur Machtergreifung der Kommunisten 1949 - in einen Krisenherd verwandelten. Dabei stellte sich die politische Lage für Yuan zunächst gar nicht so übel dar. Seit dem Sturz und der Vertreibung der Kuomintang-Regierung, die sich 1913 gegen den Präsidenten gestellt hatte, präsentierte sich die Republik mehr oder weniger wieder als geeintes Land.<p>

Die Nordarmee

<p>Als stabilisierendes Element wirkte hier die Nordarmee, die Yuan nach wie vor treu ergeben war und auch die Auflösung der Nationalversammlung sowie der Provinzparlamente durch den Präsidenten zur Kenntnis genommen hatte.<p>Selbst in dunkelsten Stunden hielten die Offiziere ihren Chef an der Macht, etwa als sich im Frühjahr 1915 das mit der Triple-Entente verbündete Kaiserreich Japan anschickte, den Ersten Weltkrieg in Asien auf seine Weise zu führen und den chinesischen Staat, den man als leichte Beute erachtete, in ein japanisches Protektorat zu verwandeln. Ein anderer Staatsführer hätte die Demütigung, die Tokio Yuans Regime zufügte - die Forderungen sahen unter anderem die Abtretung des 1914 besetzten deutschen Hafens Tsingtau, eine Einflusssphäre in Fukien, die Überlassung von Eisenbahn- und Bergbaukonzessionen sowie japanische "Berater" in der Verwaltung vor - politisch nicht überlebt. In Wirklichkeit hatte der Präsident keine Wahl, als dem japanischen Druck nachzugeben. Einen Krieg konnte sich China nicht leisten, auch war von den in Europa kriegführenden Großmächten keine Hilfe zu erwarten.<p>

Des Kaisers neue Zeit

<p>Obwohl geschwächt, saß Yuan dennoch gut im Sattel. Und vielleicht hätte er die Republik - ob mit oder ohne japanisches Störfeuer - noch einige Zeit als Staatschef leiten können, hätte er nicht den schweren politischen Fehler gemacht und an jenem denkwürdigen 12. Dezember 1915 die Monarchie wieder hergestellt - mit ihm selbst als Imperator an der Spitze.<p>In der Verbotenen Stadt in Peking wurde die Proklamation mit Bestürzung aufgenommen. "Diese Nachricht war für mich demütigend und beängstigend", schrieb Puyi in seinen Erinnerungen. "Schließlich kannte ich die Redensart, die besagte, dass es weder zwei Sonnen am Himmel noch zwei Herrscher im Reich geben konnte." Und der junge Ex-Kaiser hatte allen Grund, sich vor Yuan zu fürchten. Waren nicht in der langen Geschichte der chinesischen Monarchie Dutzende "überflüssige Herrscher" ermordet worden? Puyi und seinen Beratern blieb nichts übrig, als die neuen Würden des "Großen Kaisers von China", wie sich der Präsident fortan nannte, anzuerkennen und so den kaiserlichen Ausin-Gioro-Clan aus der Schusslinie zu nehmen. Um sich und seine neue Hongxian-Dynastie vom Regime der Mandschu abzuheben, führte Yuan nicht nur eine neue Reichsfahne samt Wappen und Nationalhymne, sondern auch eine neue Zeitrechnung ein, wobei er das Jahr 1916 zum Jahr Hongxian 1 erklärte. Dazu passend wurde auch die Krönung zunächst für den 1. Jänner angesetzt. Soweit sei selbst Präsident Charles Bonaparte, der sich 1852 als Napoleon III. zum französischen Kaiser ernannt hatte, gegangen, unkte Puyi.<p>Diese Flausen waren aber nicht der einzige Grund, warum das Kaiserreich von Beginn an zum Scheitern verurteilt war. Dies lag zum einen am schwachen Rückhalt, den Yuans Dynastie in der Bevölkerung besaß, und zum anderen am Widerstand der repu-bliktreuen Kräfte sowie von Teilen der Nordarmee. Die Offiziere fürchteten nämlich, dass ihr Chef durch die Kaiserwürde zu viel Macht gewinnen und den Einfluss des Heeres zurückdrängen könnte. Auch hatten die Truppen seit längerem keinen Sold ausbezahlt bekommen. Kein Interesse an der Monarchie hatten auch die Militärführer in den südlichen Provinzen. Kaum hatte Yuan sein Kaisertum proklamiert, erklärte dort ein Gouverneur nach dem anderen die Unabhängigkeit von Peking und setzte Truppen in Marsch.<p>

Balkanisierung Chinas

<p>Obwohl besser ausgebildet und ausgerüstet, erlitt die Nordarmee in der Folge mehrere schwere Niederlagen. Als sich dann auch noch die Japaner aufseiten der Republikaner in den Konflikt einschalteten, blieb Yuan kein anderer Ausweg, als die Monarchie nach nur 83 Tagen am 22. März 1916 wieder abzuschaffen. Allein, der Schaden war bereits angerichtet. Als Yuan am 6. Juni desselben Jahres überraschend starb, hinterließ er ein politisch zerrissenes, im Bürgerkrieg versinkendes Reich. Aus China war mitten im Ersten Weltkrieg nahezu unbemerkt ein fernöstlicher Balkan geworden, in dem nicht mehr eine Zentralregierung in Peking, sondern zahllose Warlords das Sagen hatten.<p>Und auch wenn es den Kuomintang unter Chiang Kai Shek später gelang, das Land zu einen und 1937 in den Kampf gegen die eindringenden Japaner zu führen, - der lachende Dritte war ein anderer: Mao Zedong. Heute ist dem kommunistischen Revolutionsführer auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking ein monumentales Mausoleum gewidmet. Yuan Shikai, der letzte Kaiser, fand seine Ruhestätte wiederum in der Stadt Anyang in der Provinz Henan. Ein ebenfalls stattliches Grabmal, und eines Kaisers durchaus würdig.

Christoph Rella, geboren 1979, ist promovierter Geschichtswissenschafter und arbeitet als Redakteur bei der "Wiener Zeitung".