Zum Hauptinhalt springen

Groß war nur Goliath

Von Edwin Baumgartner

Wissen

Der Fund eines Philisterfriedhofs nährt die Hoffnung, mehr über die Seevölker der Bronzezeit zu erfahren.


Es war, mit ein paar Lautverschiebungen, versteht sich, der erste Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Was geschah, ist aktenkundig: Die Palästinenser schickten einen Provokateur vor, der sein freches Geschäft so lange verrichtete, bis ihn ein zufällig vorbeikommender Jude mithilfe überlegener Technik erledigte.

Israel war damals vor allem das Volk Israel, die Palästinenser nannten sich noch Philister, und ob sich die Sache mit David und Goliath wirklich so abgespielt hat, wie sie in den hebräischen Schriften der Bibel verzeichnet ist, darf angezweifelt werden. Obwohl der Archäologe Aren Maeir von der Bar-Ilan-Universität 2005 bei Grabungen in der einstigen Philisterstadt Gat eine Tonscherbe fand, auf welcher (mit ein paar Lautverschiebungen, versteht sich, aber das hatten wir schon) der Name Goliath eingeritzt war. Das ist freilich kein Beweis, wie ja auch ein Kapitän namens Odysseus Karadimas, der heute eine Fähre von Anek Lines steuert, kein Beweis für Homers Heimatsucher wäre. Aber immerhin: Den Namen Goliath gab es.

Wer die Philister waren?

Mauern und Tonscherben

Es ist ein seltsamer Fall: Man hat wohl einige Funde, aber sie zeichnen kein wirkliches Bild von den Menschen.

Deshalb ist der jüngste Fund eines Philister-Friedhofs in der Nähe der israelischen Stadt Aschkelon, die in biblischen Zeiten ein Zentrum der Philister war, auch von solch exorbitanter Bedeutung - wenn es denn tatsächlich ein Philister-Friedhof ist. Wolfgang Zwickel, der an der Universität Mainz Professor für Altes Testament und Biblische Archäologie lehrt, ist skeptisch und meint, nur weil Aschkelon eine Philister-Stadt gewesen sei, müsse es nicht zwangsläufig ein Philister-Friedhof sein, da wohl in der betriebsamen Hafenstadt auch andere Ethnien lebten.

Wenn es aber ein Philister-Friedhof ist, dann ist es ein archäologischer Haupttreffer, denn zum ersten Mal hat man nicht Mauerwerk, Tonarbeiten oder Schmuck, sondern die Menschen selbst in Form ihrer sterblichen Überreste gefunden.

Fest steht auf den ersten Blick: Besonders groß waren die Philister nicht. Goliath war entweder ein Sonderfall, oder, was wahrscheinlicher ist, er wurde in der Erzählung zum Riesen gemacht, entweder, um die Gefahr zu verdeutlichen, die von den Philistern ausging, oder um David zu erhöhen, der aus scheinbar unterlegener Position siegte. Vielleicht wollte der Verfasser der Geschichte aber auch berichten, dass Know-how wichtiger ist als Kraft. Das wäre in einer Zeit, in der man den Kraftlackel Herkules verehrte, eine kühne Botschaft.

Im Aschkelon der Philister-Zeit lebten bis zu 12.000 Menschen. Sie unterhielten Handelsbeziehungen mit Griechen und Ägyptern. Archäologen fanden heraus, dass die Schiffe bis zu 30 Tonnen an Waren tragen konnten. Man handelte unter anderem mit Kupfer, Zinn, Glasrohlingen und Bernstein; sogar Straußeneier aus Afrika fanden sich in der Ladung.

Die Toten wurden außerhalb der Stadtmauer begraben. Der Friedhof aus der Zeit zwischen dem elften und achten Jahrhundert v. Chr. Der Archäologe Daniel Master, Professor an der Harvard University (Boston) ordnet den Fund ein: "Wir werden ihre Geschichte erzählen, und nicht mehr die Geschichte über sie."

Goliath aß Schweinefleisch

Die Geschichte, die in der Bibel über sie steht, ist denkbar unvorteilhaft. Kein Wunder: Die Philister stellten ziemlich genau all das dar, was den Juden ekelhaft war: Sie waren Polytheisten und glaubten an Götter wie Dagon und Baal Zebul (aus dem Teufel Beelzebub geworden ist: Lautverschiebung samt Dämonisierung, sozusagen), sie waren keine Semiten, waren nicht beschnitten und aßen auch Schweinefleisch.

Woher sie kamen, ist vorerst noch ein Rätsel. Die gängigste These ist, dass sie den Seevölkern zuzurechnen sind - und auch die werfen für die Archäologen mehr Fragen auf als sie Antworten zulassen.

Diese Seevölker, die ihren denkbar unbestimmten Namen durch ägyptische Quellen haben und wahrscheinlich aus dem nordöstlichen Mittelmeerraum kamen, begannen um 1200 v. Chr. im ägäischen Raum eine Hochkultur nach der anderen zu vernichten. Die Hethiter und Mykene sind ihnen zum Opfer gefallen, Troja möglicherweise auch. Was die Seevölker auf ihre Wanderschaft trieb, ist unbekannt. Eine für die Zeit um 1200 durch Sedimentanalysen nachgewiesene anhaltende Dürre ist die wahrscheinlichste Ursache.

Wie groß die Streitmacht dieser Seevölker war? Zypern warnt den kanaanäischen Stadtstaat Ugarit (erfolglos) vor 20 Schiffen mit 1000 Kriegern. Obwohl das viel ist für die Zeit, ist es keine so überwältigende Menschenmenge, dass man ihr die Vernichtung eines ganzen Kulturraums zubilligen würde. Wahrscheinlich handelte es sich um mehrere Migrationsströme unterschiedlicher Intensität.

Ramses III. jedenfalls besiegte 1177 v. Chr. die Seevölker - so verkündet es der Lebensbericht im Totentempel des Pharao. Der Papyrus Harris berichtet freilich anderes - und das ist in Hinblick auf die Philister interessant: Demnach erkannte Ramses, dass die Seevölker im Grunde Land suchten, um sesshaft zu werden. So siedelte er die Peleset (wahrscheinlich die Philister) und die Tjeker in Kanaan an. Wo sie früher oder später auf das Volk Israel treffen mussten.

Duelle statt Schlachten

Dass die Philister zu den Seevölkern gehörten, legt auch ihre schwarz-rote Keramik nahe, die sie, wie es im ägäischen Raum der Brauch war, mit Fischen und Pflanzen verzierten - und vor allem mit Vögeln. Die Seevölker gestalteten sogar die Steven ihrer Schiffe als Vogelköpfe, was auf eine besondere Bedeutung dieses Tiers hinweist.

Ein weiterer Punkt ist die Kampftechnik der Seevölker: Es wird berichtet, dass sie sich ihrem Gegner nicht mit einer großen Streitmacht stellten, sondern im Zweikampf. Eines oder eine Abfolge mehrerer Duelle entschied über Sieg oder Niederlage der gesamten Nation. Diese Methode der Kriegsführung schont nicht nur Menschenleben: Vor allem ermöglicht sie es, dass ein zahlmäßig unterlegener Gegner aufgrund der besseren Kampftechnik eines einzelnen oder einiger weniger siegen kann.

Nicht nur der Kampf zwischen Goliath und David würde zu dieser Kriegsführung passen: Auch Homer schildert in der "Ilias" vor allem Zweikämpfe. Daraus schließen manche Forscher, dass die historische Grundlage des Epos der Kampf einer hochentwickelten Zivilisation mit den Seevölkern war.

Doch der Gräberfund mit 150 Skeletten lässt hoffen, dass alles an "möglicherweise", "wahrscheinlich", "vielleicht" und "es ist anzunehmen" konkretere Formen gewinnt. Aus einigen der Knochen bargen die Forscher DNA-Material - das wird nun in den USA untersucht, wo man Vergleichsmaterial hat. Die Hoffnung ist groß, den Vorfahren der Philister auf die Spur zu kommen und hinter all den bereits bekannten Artefakten endlich auch die Menschen erkennen zu können.