Wenige Tage später traf sich Chruschtschow mit Kennedy in Wien. Nach diesem Treffen am 3. und 4. Juni war er nicht mehr ganz so sicher. Am 25. Juli kündigte Kennedy nämlich ein massives Aufrüstungsprogramm an. Chruschtschow sah jetzt doch offensichtlich ein größeres Kriegsrisiko, denn es kam bekanntlich alles anders, als er in der Sitzung am 26. Mai im Politbüro lauthals verkündet hatte. Es wurde auch kein amerikanisches Flugzeug abgeschossen. Stattdessen wurde am 13. August die Mauer gebaut, das "Maximum dessen, was aus West-Berlin herauszuholen war", wie er am 6. Februar 1962 Ulbrich zu dessen Enttäuschung klarmachte.

Panzer gegen Panzer

Wenige Tage nach dem Mauerbau hatte Kennedy den "Helden der Luftbrücke", General Lucius Clay, als seinen persönlichen Vertreter nach Berlin geschickt. Der war im Übrigen der einzige hochrangige Amerikaner, der die Stacheldrahtverhaue am liebsten niederreißen hätte lassen. Das führte dazu, dass am 27. Oktober am Checkpoint Charlie 16 Stunden lang zehn amerikanische Panzer zehn sowjetischen gegenüberstanden - jeweils mit scharfer Munition. Der spätere sowjetische Botschafter in Bonn, Valentin Falin - damals im Außenministerium in Moskau tätig -, erinnerte sich, dass, hätten die Amerikaner etwas gegen die Mauer unternommen, die sowjetischen Panzer das Feuer eröffnet und damit die USA und die Sowjetunion "näher als je zuvor an den Rand des Dritten Weltkrieges gebracht hätten. Hätte das Duell der Panzer damals in Berlin begonnen - und alles sah so aus, als ob es dazu kommen würde -, dann wären die Ereignisse wahrscheinlich außer Kontrolle geraten."

Zu der geschilderten Konfrontation war es ohne das Wissen Kennedys und Chruschtschows gekommen, die beide nicht an einer Eskalation interessiert waren. Nach diesen 16 Stunden war denn auch alles vorbei. Kennedy hatte Chruschtschow eine Botschaft zukommen lassen, in der er ihn gebeten hatte, die Panzer zurückzuziehen, mit der Zusicherung, dass unmittelbar danach auch die amerikanischen Panzer zurückgezogen würden. Es war eine Botschaft, in der es um gegenseitige Zurückhaltung ging, wobei Chruschtschow den ersten Schritt tun sollte. Der stimmte dem zu, da aus seiner Sicht damit die Gefahr einer Eskalation beseitigt wurde - und zwar von ihm.

"Besser als Krieg"

Der Mauerbau beeinträchtigte im Übrigen keinerlei Interessen der Westmächte und war in jedem Fall besser als Krieg, wie Kennedy gesagt haben soll. Intern sagte er nachweislich Folgendes:

"Es ist doch einfach idiotisch, dass wir wegen eines Vertrages, der Berlin als zukünftige Hauptstadt eines wiedervereinten Deutschland vorsieht, mit der Gefahr eines Atomkrieges konfrontiert sind - wo wir doch alle wissen, dass Deutschland wahrscheinlich nie mehr wiedervereinigt wird!"

Angesichts der westlichen Untätigkeit unmittelbar nach dem Mauerbau kam es zu einer ernsten Vertrauenskrise im deutsch-amerikanischen Verhältnis.

Zwei Jahre später schienen alle Querelen vergessen. Vom 23. bis 26. Juni 1963 besuchte Kennedy die Bundesrepublik. Unvergessen sind jene Bilder von den etwa 400.000 jubelnden West-Berlinern vor dem Schöneberger Rathaus, wo Kennedy jenen Satz auf Deutsch sprach, der wohl immer mit ihm verbunden bleibt: "Ich bin ein Berliner."

Für jeden war sichtbar geworden, was US-Außenminister Dean Rusk gegenüber seinem sowjetischen Kollegen Andrej Gromyko wenig später in New York so formulierte: Berlin sei von nun an "Staatsinteresse der USA". Und das wiederum bedeutete, es würde keine Berlinkrise mehr geben. Und in der Tat: In den folgenden Jahren gab es keine Berlinkrise mehr.