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Die unerklärliche Kriegserklärung

Von Christoph Rella

Wissen

Als Adolf Hitler am 8. Dezember 1941 vom Angriff der Japaner auf Pearl Harbor erfuhr, reagierte er erfreut. Drei Tage später erklärte er den USA den Krieg. Warum? Versuch einer Antwort.


11. Dezember 1941: Hitler erklärt im Reichstag den USA den Krieg.
© Dt. Bundesarchiv/Bild 183-B06278

Berlin, 11. Dezember 1941. Hitler hatte den Reichstag zu einer Sitzung einberufen. Das kam selten vor, folglich wussten die Abgeordneten nicht recht, was sie erwartete. Tatsächlich waren nur wenige - Außenminister Joachim Ribbentrop, Propagandachef Josef Goebbels - über Hitlers Vorhaben informiert. Die Rede zur Kriegserklärung selbst zog sich über eineinhalb Stunden hin. Vom Kampf um Deutschland und das Überleben der europäischen Zivilisation und Kulturgemeinschaft war die Rede, von der "Vorsehung" und den schweren Entscheidungen, die Deutschland aufgezwungen wurden - namentlich von US-Präsident Franklin D. Roosevelt, dem Hitler Kriegshetze, Wortbruch und Geisteskrankheit unterstellte. Den größten Jubel empfing er aber, als er gegen Ende die entscheidenden Worte sprach: "Ich habe daher heute dem amerikanischen Geschäftsträger die Pässe zustellen lassen."

Während Hitler im Reichstag unter "Sieg Heil"-Rufen vom Podium abtrat, reagierten andere Angehörige des NS-Regimes mit blankem Entsetzen. Wehrmachtskommandeure, Politiker und Diplomaten waren über die Kriegserklärung fassungslos, sprachen von einem schweren Fehler. Hatte man nicht aus den Erfahrungen des Ersten Weltkrieges gelernt, als man die Feindschaft der USA auf sich gezogen und den Krieg verloren hatte? Wie töricht konnte man sein und ausgerechnet jetzt, wo die allgemeine Lage ohnehin schlecht war, die wirtschaftlich wie militärisch stärkste Nation der Welt zum Feind erwählen?

Dreimächtepakt

Tatsächlich muss man den Moment des deutsch-italienischen Kriegseintrittes gegen die USA als die entscheidende Wende im Zweiten Weltkrieg bezeichnen. Über die Motive, die Hitler dazu veranlassten, lässt sich nur mutmaßen. Sicher ist: Die Kriegserklärung erfolgte aus freien Stücken und war weder politisch noch militärisch zwingend.

Darüber hinaus tat der Diktator dem Präsidenten Roosevelt, der bereits am 8. Dezember Japan den Krieg erklärt hatte, einen großen Gefallen. Statt die US-Bürger von einem unpopulären Waffengang gegen Deutschland selbst überzeugen zu müssen, nahm ihm Hitler diese Verantwortung ab und ermöglichte es Amerika, sein Rüstungsprogramm voll zur Entfaltung zu bringen und den Alliierten in Europa zu Hilfe zu eilen. Wie lassen sich also die Ereignisse vom 11. Dezember 1941 erklären?

Deutschland, Italien und Japan waren seit September 1940 durch den sogenannten Dreimächtepakt zur gegenseitigen Waffenhilfe verpflichtet. Allerdings handelte es sich bei dem Vertrag um ein Defensivbündnis, das nur für den Fall eines Angriffs von außen galt (wovon bei der Attacke auf Pearl Harbor freilich keine Rede sein konnte). In der Literatur ist oft die Behauptung zu lesen, Japan habe sich die deutsche Waffenhilfe mit der Zusicherung erkauft, im Gegenzug von China aus einen Entlastungsangriff gegen die UdSSR führen zu wollen.

Diese Darstellung ist nicht richtig. Denn tatsächlich dachten die Japaner, deren Interessen ja in Südostasien lagen, nicht im Traum daran, für die Nazis die Kastanien aus dem russischen Feuer zu holen. Das gab man auch offen zu, zumindest verlor Tokio in dem nach Berlin gekabelten Waffenvertrag kein einziges Wort darüber. Hitler unterzeichnete den Text nach einigen Tagen Bedenkzeit trotzdem. Nicht aus Nibelungentreue, sondern aus Staatsräson. "Wenn wir nicht auf Japans Seite treten, ist der Pakt politisch tot", sagte er zu Ribbentrop. "Aber das ist nicht die Hauptsache. Die Hauptsache ist, dass die USA bereits auf unsere Schiffe schießen."

Atlantikschlacht

Womit bereits das zweite Motiv für Hitlers Handeln angesprochen ist, befanden sich doch Amerika und Deutschland schon lange vor dem 11. Dezember de facto im Kriegszustand. Die Ursache lag in der großzügigen Auslegung der US-Neutralitätspolitik Washingtons im Allgemeinen und seiner zunehmenden Hilfe für England im Besonderen. Was mit Waffenlieferungen (Pacht- und Leihgesetz) und Hilfestellungen bei der U-Boot-Aufklärung begann, artete im Lauf der Zeit zu einem "bewaffneten Nicht-Krieg" im Atlantik aus. Die Torpedierung von US-Geleitzügen stand ebenso auf der Tagesordnung wie der Beschuss deutscher U-Boote mit Wasserbomben.

Genau genommen hätte Hitler also schon im Sommer 1941 jedes Recht gehabt, den USA den Krieg zu erklären, allerdings kam ihm der verspätete Angriffskrieg gegen die Sowjetunion dazwischen. Erst als Roosevelt Island besetzen ließ und seine Marine anwies, auf deutsche Schiffe zu schießen, erwog der Diktator den Kriegseintritt - und setzte dieses Vorhaben auch um.

Ein weiterer Beweggrund für die Kriegserklärung ist gewiss in der militärischen Krise, in der die Achsenmächte im Dezember 1941 steckten, zu suchen. Am 28. November 1941 hatte die italienische Ostafrika-Armee in Äthiopien kapituliert, und auch in Libyen stand das deutsche Afrikakorps unter Erwin Rommel davor, von den Engländern aus Ägypten und der Cyrenaika vertrieben zu werden.

Am schlimmsten stellte sich aber die Situation in Russland dar, wo die Wehrmacht mit dem Scheitern des Angriffs auf Moskau ihre erste Niederlage eingestehen und angesichts des einsetzenden Winters den Rückzug antreten musste. So gesehen kam für Hitler die Nachricht vom japanischen Angriff auf Pearl Harbor gerade richtig. Mit keiner Rechtfertigung hätten sich wohl die Verluste günstiger überdecken, mit keinem Appell die eigene Stärke besser demonstrieren lassen, als durch den spektakulären Akt einer Kriegserklärung.

Einen gewissen Reiz hatte für Hitler wohl auch das Motiv, Amerika durch die Kriegserklärung zu einer Allianz mit der Sowjetunion zu zwingen. Das musste nicht von Nachteil sein. Es spricht einiges dafür, dass der Diktator die Kooperationsunfähigkeit der beiden weltanschaulich unterschiedlichen Mächte bewusst ins Kalkül zog und hoffte, einen "Kalten Krieg" zwischen Roosevelt und Stalin auszulösen und seinen Kopf "als lachender Dritter" doch noch aus der Schlinge zu bekommen.

Streitpotential gab es genügend, wobei hier vor allem der lange Zeit ungehörte Ruf der UdSSR nach einer zweiten Front im Westen die alliierten Beziehungen schwer belastete. Hätten die Deutschen vor diesem Hintergrund 1942/43 mit den aus allen Wunden blutenden Sowjets einen Sonderfrieden - und eine gegen die USA gerichtete Kooperation - geschlossen, das Experiment hätte aufgehen können. Denn nichts fürchtete Roosevelt mehr als einen Separatfrieden zwischen Berlin und Moskau. Der Preis, den die Amerikaner 1945 in Jalta für die sowjetische Treue zahlten, war hoch: die Auslieferung Osteuropas an Stalin.

Antisemitismus

Ein fünftes, sehr wichtiges Motiv für die Kriegserklärung ist in Hitlers Hass auf die Juden zu suchen - und deren angebliches Bestreben, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Immer wieder hatte er gegen den "jüdischen Bolschewismus" Moskaus und die "jüdische Clique" in Washington gewettert und behauptet, Kommunismus und Kapitalismus seien das Werk der Juden.

Das betonte der Diktator auch am 11. Dezember 1941 vor dem Reichstag: "Wir wissen, welche Kraft hinter Roosevelt steht. Es ist jener ewige Jude, der seine Zeit als gekommen erachtet, um das an uns zu vollstrecken, was wir in Sowjetrussland alle schaudernd sehen und erleben mussten."

Die Abgeordneten kapierten: Warum sollte 1941 nicht das Jahr werden, da der Nationalsozialismus den in seiner Sicht größten Feinden der Menschheit den totalen Krieg erklärte: dem internationalen Marxismus (Sowjetunion) und dem internationalen Finanzkapital (Amerika) jüdischer Prägung?

Ob der Krieg militärisch so noch zu gewinnen war, spielte für Hitler keine Rolle. Er wechselte, wie Timothy Snyder richtig schrieb, "von einem Verständnis des Krieges zu einem anderen". "Ich werde euren Präsidenten Roosevelt noch überleben", drohte der Diktator gegenüber dem US-Korrespondenten Pierre Huss. "Ich kann mir Zeit lassen, ich kann diesen Krieg auf meine eigene Weise gewinnen."

Vernichtung

Was Hitler damit ankündigte, war der Startschuss für den totalen Krieg und den Holocaust. Was auf den ersten Blick mit der Kriegserklärung an die USA wenig zu tun haben scheint, wird erst klar, wenn man die zeitliche Nähe des deutschen Scheiterns in Russland (5. Dezember), der Reichstagsrede (11. Dezember), der Übernahme des Oberbefehls (19. Dezember) und der Beschlüsse der Wannsee-Konferenz zum Judenmord am 20. Jänner 1942 berücksichtigt.

Es ist, als habe Hitler für den (aus seiner Sicht bereits unabwendbaren) Fall einer militärischen Niederlage "vorsorgen" wollen, indem er zunächst sicherstellte, dass das Reich durch die tödliche Fracht der US-Bomberflotten gründlich vernichtet würde. "Ich bin auch hier eiskalt", hatte er am 27. November 1941, 14 Tage vor dem Kriegseintritt gegen Amerika, gegenüber dem dänischen Außenminister Erik Scavenius gemeint. "Wenn das deutsche Volk einmal nicht mehr stark und opferbereit genug ist, sein Blut für seine Existenz einzusetzen, so soll es vergehen und von einer anderen, stärkeren Macht vernichtet werden. Ich werde dem deutschen Volk keine Träne nachweinen."

Tatsächlich unternahm Hitler von da an nichts mehr, um die Katastrophe abzuwenden. Statt schöpferischer Initiativen wie zu Zeiten des Blitzkrieges, waren aus dem Führerhauptquartier nur noch Durchhalteparolen und Nerobefehle zu vernehmen. Und: Während die Deutschen an den Fronten und in den brennenden Städten starben, rollten zur gleichen Zeit tausende Judentransporte in die Vernichtungslager im Osten.

"Der Weltkrieg ist da. Die Vernichtung des Judentums muss die notwendige Folge sein", prophezeite Hitler damals der Welt. Das war am 12. Dezember 1941. Einen Tag nach jener Kriegserklärung, die das Gesicht der Welt für immer veränderte.

Christoph Rella, geboren 1979, ist Historiker und arbeitet als Redakteur bei der "Wiener Zeitung".