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Unduldsame Tugend

Von Anna Sigmund

Wissen

Bei all ihren Qualitäten hatte Maria Theresia auch einen Hang zur Herrschsucht, zur Prüderie und zur religiösen Intoleranz.


Im Vordergrund der vielen zum 300. Geburtstag von Kaiserin Maria Theresia erschienenen Publikationen stehen die unbestreitbaren Verdienste der Herrscherin: die Verteidigung ihres Imperiums bei Regierungsantritt im Alter von 23 Jahren gegen eine Koalition von Feinden, die großen Reformen der maria-theresianischen Epoche, ihre modern anmutende Doppelrolle als berufstätige Frau und Mutter.

Den ebenfalls vorhandenen negativen Seiten ihrer Herrschaft wird im Allgemeinen wenig Raum gegeben. Diese Aussparungen haben Tradition. Sie finden sich bereits bei patriotischen Historikern des späten 19. Jahrhunderts. Nach der verlorenen Schlacht von Königgrätz und dem Verlust der Vormachtstellung Österreichs in Deutschland suchte man Erinnerungen an die glanzvolle Zeit der Monarchie unter Maria Theresia zu wecken. Diesem Bestreben diente auch die Errichtung des prunkvollen Denkmals in Wien.

Maria Theresias Zeitgenosse Giacomo Casanova, der sich zweimal in Wien aufhielt, sah die Monarchin kritischer. Er bescheinigte ihr "alle Tugenden, aber nicht Duldsamkeit" und bezog sich dabei auf die von ihr geschaffene Sittenkommission zur Überwachung der Moral ihrer Untertanen. Ein Unikum zu einer Zeit, die bereits im Banne der von der Kaiserin abgelehnten Ideen der französischen Aufklärung stand.

"Bigotterie"

In Casanovas berühmten Memoiren heißt es: "In Wien war alles schön, viel Geld und Luxus. Aber infolge der Bigotterie der Kaiserin war es außerordentlich schwierig, sich die Freuden der Liebe zu verschaffen. Eine Legion elender Spitzel, die man mit dem schönen Namen von Keuschheitskommissaren versehen hatte, waren die unerbittlichen Bewacher aller Mädchen. Die Kaiserin hatte nicht die sublime Tugend der Toleranz, wenn es um illegale Liebe ging." Drastische Strafen warteten auf "incorrigible Weibspersonen" - Abschneiden der Haare, Teeren des Kopfes, Einweisung in ein Zucht- oder Spinnhaus oder Ausweisung und Verschiffung mittels "Wasserschüben" Donau abwärts in die neuen Siedlungsgebiete.

In die Kompetenz der Kommissare fielen auch Männer - "Standespersonen" ausgenommen - , die sich unzüchtig benahmen oder Frauen belästigten, wobei man Fremden besonderes Augenmerk schenkte. Zahlreiche Erlässe der Kaiserin betrafen umherziehende Abenteurer: "Alle solche Aventuriers sind abzuweisen; gar nicht zu gestatten, das solche Charlattaneries produciren." Auch das Glücksspiel war den Untertanen bei Androhung von Zwangsarbeit verboten, obwohl sich die Kaiserin selbst oft mit Hasardspielen vergnügte, hohe Summen riskierte und zum Ärger ihrer Mitspieler oft gewann.

Während im Spätbarock lockere Sitten herrschten, galt der Wiener Hof als der sittenstrengste in Europa. Maria Theresia duldete keine Mätressenwirtschaft und behielt auch den von ihr "Maitre" genannten, geliebten Gatten stets im Auge - Franz Stephan war galanten Vergnügungen nicht abhold.

Der pro forma zum Mitregenten ernannte Gemahl blieb von den Regierungsgeschäften vollkommen ausgeschlossen. Friedliebend, gutmütig und ohne Ehrgeiz ordnete sich der begabte Finanzexperte und Kunstsammler seiner Frau unter. Auch der übrigen Familie wurde schnell klar, dass Maria Theresia keine Einmischung in ihre Politik duldete. Überzeugt, von einer gottgegebenen Herrschaftsordnung an die Spitze des Staates gestellt worden zu sein, entfernte sie sukzessive alle Verwandten, die gerne Einfluss genommen hätten, vom kaiserlichen Hof. Dies traf vor allem ihre ehrgeizige Mutter Marie Christine, die in Schloss Hetzendorf eine eigene Witwenresidenz erhielt. Innerhalb der Familie herrschte ein strenges, von Maria Theresia dominiertes Regime. "Wir liebten, aber wir fürchteten sie sehr", klagte eine ihrer Töchter.

"höchst gefährlich"

Ein düsteres Kapitel in der Biographie Maria Theresias - ihr Wahlspruch lautete: Iustitia et Clementia (Gerechtigkeit und Milde) - stellt jedoch die durch nichts zu erschütternde Intoleranz Maria Theresias auf religiösem Gebiet dar. Protestanten erschienen ihr "höchst gefährlich", wurden aber aus Staatsräson als Unternehmer geduldet. Sie blieben straffrei, solange sie ihren Glauben verbargen. Ansonsten zwang man sie in die Emigration.

Noch härter waren die Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung, wobei sich die Herrscherin am Vorbild ihres Vaters, Karl VI., orientierte, der drei strenge Judenordnungen erlassen und das Tragen der mittelalterlichen gelben Kennzeichnung befohlen hatte. So ging man in Prag gegen die größte jüdische Gemeinde der Monarchie mit schikanösen Vorschriften und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit vor. 1741, bei der Besetzung Prags durch die Preußen beschuldigte man die Juden - zu Unrecht, wie sich herausstellte - der Kollaboration mit den Truppen König Friedrichs II..

Als es nach der Rückeroberung Prags im November 1744 zu wüsten Übergriffen auf das jüdische Ghetto kam, ordnete die Herrscherin die Ausweisung von rund 30.000 böhmischen Juden an. 1745 wurde diese Maßnahme auf den rückeroberten Teil Schlesiens erweitert. 1748 bestätigte Maria Theresia den Status von Innsbruck als "judenfreie Stadt", nachdem die Provinzialregierung Tirols die Ausweisung aller Innsbrucker Juden verlangte, weil "sie den christlichen Charakter der Stadt bedrohten". Nur zwei jüdische Familien, Mäzene des städtischen Krankenhauses, durften bleiben.

Die massenhafte Vertreibung der jüdischen Bevölkerung - darunter viele Händler, Kaufleute und Gewerbetreibende - erwies sich als wirtschaftliches Desaster, sodass Maria Theresia auf Drängen ihrer Berater und gegen ihre Überzeugung den Juden befristeten Aufenthalt in den Ländern der böhmischen Krone gewährte - gegen die Entrichtung einer hohen jährlichen Sondersteuer, die noch unter ihrem Sohn und Nachfolger, Joseph II. eingehoben wurde.

"Hofjuden"

Die strenggläubige Kaiserin war eine Vertreterin des damals weit verbreiteten Antijudaismus, der religiösen Judenfeindschaft, die das Christentum mit theologischen Motiven begründete. Konvertiten hieß sie am Wiener Hof allerdings willkommen. So schätzte sie Joseph von Sonnenfels, den Juristen, Freimaurer und Vertreter der Aufklärung, und übertrug dem getauften Juden die Durchführung von Justiz- und Verwaltungsreformen.

Eine kleine Gruppe von Juden erhielt - wie schon unter früheren Habsburgern - den Status von "Hofjuden" oder "Hoffaktoren". Wie Diego d’Aquilar, der Pächter des Tabakmonopols und Gründer der sephardischen Gemeinde in Wien, bekleideten sie wichtige Funktionen. Ihre Abgaben an die Hofkammer betrugen ein Zehntel der Gesamteinnahmen der Staatskasse. Maria Theresia sah die "Schutzgeld-Juden" als lästiges, aber notwendiges Übel. Nur selten erhielten sie Audienz bei der Kaiserin. War ein persönliches Gespräch aber unumgänglich, dann empfing Maria Theresia ihre jüdischen Besucher verborgen hinter einem Paravent.

Die zwei 1753 und 1764 erlassenen Judenordnungen der Monarchin enthielten eine Fülle von Schikanen: Vierteljährliche Überprüfung aller Juden, deren Kennzeichnung - Hut mit gelbem Band - ernsthaft erwogen wurde. Kleidervorschriften, Heiratsbeschränkungen, Ausgehverbot an kirchlichen Feiertagen, nur befristete, an Toleranzsteuern gebundene Aufenthalte in den habsburgischen Ländern mit willkürlichen, kostspieligen Verlängerungsmöglichkeiten, dazu hohe Sondersteuern bei allen erdenklichen Anlässen. Jüdische Besucher, auch Verwandte von "Hofjuden", durften die Residenzstadt nur mit Passierzettel nach Entrichtung einer Leibmaut betreten.

Es waren Beiträge von Juden, die in Wien den Bau der Karlskirche und der Hofbibliothek ermöglichten. Sie finanzierten auch maßgeblich die Sammlertätigkeit des kaiserlichen Gemahls Franz Stephan. Vor allem jedoch konnte die Kaiserin mit Hilfe von Diego d’Aquilar, der ihr 300.000 Gulden lieh, ihre geliebte Sommerresidenz Schloss Schönbrunn bauen und ausgestalten Der Judenerlass von 1764 kam einer Zwangsenteignung gleich. Demnach hatten Wohlhabende ihr gesamtes Vermögen zur Förderung des Merkantilismus in den neu gegründeten Fabriken anzulegen.

Todesstrafe und Folter

Ein düsteres Kapitel ist auch die "Constitutio Criminalis Theresiana", die "Nemesis Theresiana". Obwohl von Staatskanzler und Staatsrat wegen Rückständigkeit vehement abgelehnt, trat sie 1768 in Kraft. Maria Theresia bestand auf dem Strafgesetz, das Todestrafen durch Verbrennung, Schwert oder Strang vorsah, bei Frauen als Strafverschärfung das "Brustreissen", das Abschneiden der Brüste, vor der Hinrichtung. Auch die in Preußen bereits abgeschaffte Folter war enthalten und wurde in zwei "Beylagen" mit Konstruktionsplänen der Folterinstrumente sowie Anweisungen zur korrekten Durchführung der Tortur anschaulich dargestellt.

Auch an der Zerschlagung des durch innere Streitigkeiten geschwächten Königreichs Polen, "einer der übelsten Akte der Großmachtpolitik des 18. Jahrhunderts" (Erich Zöllner), war Kaiserin Maria Theresia beteiligt. Eigenen Aussagen zufolge hegte sie moralische Bedenken, bevor sie der ersten Teilung Polens zwischen Preußen, Russland und Österreich zustimmte. Dies wurde vom preußischen König Friedrich II. sarkastisch mit "Sie weinte, aber sie nahm" kommentiert.

Sittenkommissionen, Judenordnungen, die Constitutio Criminalis, aber auch die Aufteilung des polnischen Staates werfen Schatten auf die erfolgreiche Regierungszeit der Herrscherin. Das Los der religiösen Minderheiten wurde 1781, ein Jahr nach dem Tod der Monarchin, durch das "Toleranzedikt" ihres Sohnes Joseph gemildert. Auch die Keuschheitskommissare mussten ihre Tätigkeit einstellen. 1786 wurden Todesstrafe und Folter abgeschafft. Polen jedoch erhielt erst 1918 mit dem Vertrag von Versailles seine Souveränität zurück.

Anna Sigmund ist Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung und Autorin zahlreicher historischer Bücher.