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Der große Sieg des jungen Staates

Von Christoph Rella

Wissen
Juni 1967: Israelische Soldaten mit dem erbeuteten Porträt des ägyptischen Präsidenten Nasser.
© UllsteinBild/Sven Simon

Vor 50 Jahren erreichte der Nahostkonflikt zwischen Arabern und Israelis seinen Höhepunkt im Sechstagekrieg. Dessen Auslöser war der Rückzug der UNO, Ursache der Suezkrieg von 1956.


Die Israelis kamen in den Morgenstunden des 5. Juni 1967. Durch einen Überraschungsangriff ihrer Luftwaffe gelang es ihnen, den größten Teil der ägyptischen Luftstreitkräfte am Boden zu zerstören. Unter dem Schutz ihrer praktisch unbeschränkten Luftüberlegenheit besetzten ihre Truppen binnen sechs Tagen die Halbinsel Sinai bis zum Suezkanal, den Gazastreifen, die westlich des Jordan gelegenen Teile Jordaniens mit Ost-Jerusalem sowie die syrischen Golanhöhen, von denen aus die Syrer seit Jahren durch Beschießung israelischer Dörfer Zwischenfälle provoziert hatten.

Großen Teilen der ägyptischen Armee, die sich als wenig kampftüchtig erwies, wurde der Rückzug nach Westen abgeschnitten, die Truppen wurden gefangengenommen. Beträchtliches Kriegsmaterial sowjetischer Herkunft fiel den Israelis als Beute in die Hand - die nach ihrer Meinung für den Wüstenkrieg ungeeigneten sowjetischen Panzer verkauften sie später nach Rumänien.

Das Präludium

Der Sechstagekrieg war damit geschlagen, und sollte als der glänzendste Sieg in der Geschichte des damals noch jungen Judenstaates eingehen. Die Vereinten Nationen verurteilten zwar den Feldzug und forderten, als der Krieg am 11. Juni 1967 durch einen Waffenstillstand beendet war, den Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten auf die bisherigen Grenzen. Allein die Regierung von Premier Levi Eschkol dachte nicht im Traum daran.

Sie hatte aus ihrer Sicht auch gute Gründe, die mittlerweile zu hoher Bekanntheit gelangte UN-Resolution Nr. 242 zu ignorieren - waren doch diese Grenzen die Waffenstillstandslinien des Unabhängigkeitskrieges von 1949, die aber von den arabischen Nachbarstaaten niemals anerkannt worden waren. Israel forderte direkte Friedensverhandlungen mit Ägypten, Syrien und Jordanien. Vorher war man nicht gewillt, das politische Pfand, das man schon einmal durch einen überwältigenden Blitzsieg in die Hand bekommen hatte, ohne Gegenleistung herzugeben.

Um 1967 zu verstehen, muss man zunächst einmal 1956 verstehen; handelt es sich doch bei der sogenannten Suezkrise, welche die Welt im Oktober 1956 in Atem hielt, um das Schlüsselereignis des Nahostkonflikts - sie kann auch als Präludium zum Sechstagekrieg bezeichnet werden.

Eine wichtige Figur in diesem Ensemble war - wie 1967 - ein Mann namens Gamal Abd el Nasser. Der ägyptische Oberst und Postmeisterssohn aus Alexandria hatte 1954 in Kairo die diktatorische Macht an sich gerissen und zunächst zarte Bande mit Amerika, das ihm für das gewaltige Projekt des Assuan-Staudammes finanzielle Hilfe zugesagt hatte, geknüpft. Um nicht "von den westlichen Imperialisten gekauft" zu erscheinen und seinen Neutralismus zu demonstrieren, kaufte Nasser jedoch Waffen von der Tschechoslowakei und brüskierte damit die USA, mit dem Ergebnis, dass diese die Finanzierung in Frage stellten. Daraufhin verkündete Nasser im Sommer 1956 plötzlich die Verstaatlichung des in britischem und französischem Besitz stehenden Suezkanals.

Die Wogen der Erregung gingen hoch. Die arabische Welt, soweit sie von antiwestlichen und antikapitalistischen Ressentiments erfüllt war, jubelte. Der Westen wiederum war empört über den Rechtsbruch, die Provokation und darüber, dass die Durchfahrt durch den Kanal, die grundsätzlich für alle Schiffe offen sein sollte, nun von Nasser den Handelsschiffen im Verkehr mit Israel versagt wurde.

Während der Westen noch mit Nasser verhandelte, griffen am 29. Oktober 1956, als die Aufmerksamkeit der Welt auf den Freiheitskampf Ungarns gerichtet war, israelische Truppen Ägypten an und stießen siegreich und blitzartig ans Rote Meer und gegen den Suezkanal vor. Unmittelbar danach setzten sich britische und französische Flotteneinheiten Richtung Suez in Bewegung.

Konfuse Weltpolitik

Und dann geschah das Unerklärliche: Briten und Franzosen benötigten dank offenbar miserabler Vorbereitung und Organisation ungefähr eine Woche, bis sie endlich am 5. November in der Lage waren, mit Fallschirmtruppen
Suez zu besetzen. Während dieser Zeit hatte sich die UNO eingeschaltet, wo sowohl die Sowjet-union als auch die USA den Angriff verurteilten und England und Frankreich sich isoliert sahen - umso mehr, als ihnen die klägliche Durchführung ihrer militärischen Aktion wenig internationalen Respekt einbrachte.

Unter dem Druck der beiden Weltmächte gaben London und Paris nach. Am 7. November wurde ein Waffenstillstand geschlossen, wonach sich Engländer, Franzosen und Israelis aus Ägypten zurückziehen mussten. Nasser hatte den Triumph, wenn auch vergällt durch den glänzenden Sieg der israelischen Truppen.

Der Regierung in Tel Aviv wiederum hatte die Suez-Episode eine bittere Erkenntnis gebracht: Nicht nur war man um die Früchte des eigenen Erfolgs gebracht worden, sondern es hatte sich drastisch gezeigt, wie ohnmächtig die beiden stärksten europäischen Staaten weltpolitisch geworden waren. Mit Hilfe von außen, das sollte sich noch im Sechstagekrieg 1967 deutlich zeigen, durfte man in Zukunft nicht mehr rechnen. "Niemand in Israel hatte die Lektion der Krematorien vergessen", schrieb die Außenministerin und spätere Regierungschefin Golda Meir über die Situation im Herbst 1956. "Wir wussten, was totale Vernichtung bedeutet. Wenn wir uns nicht damit abfinden wollten, umgebracht zu werden, nach und nach oder durch einen plötzlichen Überfall, mussten wir die Initiative ergreifen."

Die arabischen Staaten lehnten auch weiterhin eine Anerkennung Israels und einen Friedensschluss ab, und so entsandten die Vereinten Nationen Friedenstruppen, die den Waffenstillstand überwachen und durch ihre Präsenz zwischen den Feinden einen erneuten militärischen Zusammenstoß verhindern sollten.

Dass es im Mai 1967 zum folgenschweren Abzug der rund 3400 stationierten UN-Soldaten kam, war der Naivität des damaligen UN-Generalsekretärs Sithu U Thant geschuldet. Der Burmese war ein ängstlicher Mann, sehr darauf bedacht, bei keiner Großmacht oder wichtigen Mächtegruppe Ärgernis zu erregen.

U Thant wurde von Nassers Forderung, die Blauhelme abzuziehen, weil sie in Ägypten nur geduldet seien, regelrecht überrumpelt. Um ein Blutvergießen zu verhindern, beugte er sich Kairo - sehr zum Entsetzen der israelischen Militärs, die aber angesichts ihrer Erfahrungen mit Nasser wussten, was zu tun war.

Volksheld Nasser

Dass der ägyptische Staatschef in jenen Maitagen erneut mit den Säbeln rasselte, von der Zerstörung Israels sprach und die arabische Welt auf einen letzten siegreichen Kampf einschwor, war weniger auf konkrete militärische Optionen, als auf schiere Selbstüberschätzung zurückzuführen.

Elf Jahre lang hatte sich Nasser, der nach dem Suezkrieg rasch über Ägypten hinaus populär geworden war, als moralischer und politischer Sieger feiern lassen. Sein Bild wurde von Casablanca bis Bagdad aufgehängt; Radio Kairo wurde zu einer Art von "politischem Koran"; für alle arabisch-nationalistischen und fortschrittlichen Strömungen wurde der "Rais", der ägyptische Führer, zum Idol. Es schien so, als wäre ein neuer "Prophet" gefunden und in seinem "arabischen Sozialismus" auch die gesuchte Ideologie, die das glorreiche alte Arabertum zurückbringen könnte.

Allerdings vermochte es auch Nasser - mit der Ausnahme des kurzlebigen Zusammenschlusses mit Syrien zur Vereinigten Arabischen Republik (1958-1962) - nicht, den Nationalismus von der Ebene der einzelnen Staaten auf die Ebene einer arabischen Nation zu heben, in der sich Tradition und sozial-industrieller Modernismus hätten vereinen können. Ein Widerspruch, den übrigens auch die 1945 gegründete Arabische Liga nie auflösen konnte. Auch sie blieb ein lockeres Bündnis einzelner Staaten, die sie nach Möglichkeit für ihre eigenen Zwecke zu nützen suchten und manchmal, wenn dies schiefging, boykottierten. Gleichzeitig war und ist die Liga symbolischer Ausdruck des Fernziels arabischer Einheit, zu der jeder Politiker jedes arabischen Staates jederzeit Lippenbekenntnisse abgab, unter deren Verwirklichung sich aber jeder etwas anderes vorstellte.

Der gemeinsame Feind

Wie die Geschichte des Nahostkonflikts gezeigt hat, erwies sich für die arabische Welt bis heute nur eine Methode als wirksam, die Rivalitäten untereinander zugunsten vordergründiger arabischer Solidarität in den Hintergrund zu drängen: ein gemeinsamer Feind. Israel wurde seit dem Versprechen des britischen Außenministers Arthur James Balfour 1917, den Juden eine "Heimstatt in Palästina" zu geben, in Ermangelung eines einigenden "modernen Propheten" zu einer Art "negativer Prophet" und Katalysator des Arabertums.

An diesem Befund hat sich bis heute wenig geändert. Auch wenn Israel weitläufige Gebiete an seine Nachbarn zurückgegeben (Sinai 1982, Südlibanon 2000, Gazastreifen 2006) und Friedensverträge mit Ägypten und Jordanien geschlossen hat, so lebt die Feindschaft zwischen Israelis und Arabern - vor allem wegen der ungelösten Palästinenserfrage und der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik Israels - fort.

Es kann nicht geleugnet werden, dass diese Feindschaft auch für Israel eine nützliche Funktion erfüllt; etwa, indem sie das Volk zusammenhält und es mit einem dynamischen Nationalismus beseelt. So gab es zwar im Augenblick der Staatsgründung eine jüdische Bevölkerung, aber noch keine israelische Nation. Die nach Sprache, Kultur, Tradition und Bildungsgrad außerordentlich verschiedenen Einwanderer aus Westeuropa, Osteuropa, Russland, Nord- und Ostafrika und dem Mittleren Osten waren sich fremd, es gab fanatisch religiöse Dogmatiker und westlich denkende Liberale, es gab Verfechter totaler Gütergemeinschaft, die sich in Kibbuzim organisierten, und Sozialisten.

Aus alldem musste erst "im Feuer des Krieges" eine Nation werden. Dessen war sich auch der Begründer des Zionismus, Theodor Herzl, bewusst, als er 1896 notierte: "Wir sind ein Volk - der Feind macht uns ohne unseren Willen dazu, wie das immer in der Geschichte so war. In der Bedrängnis stehen wir zusammen, und da entdecken wir plötzlich unsere Kraft."

Christoph Rella, geboren 1979, ist Historiker und Redakteur bei der "Wiener Zeitung".