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Die deutsche Traumfabrik

Von Anton Holzer

Wissen

Die UFA, der zweitgrößte Filmkonzern der Welt, schrieb Kinogeschichte. Gegründet wurde sie vor hundert Jahren, mitten im Ersten Weltkrieg.


Die österreichische Autorin Ilse Aichinger war eine passionierte Kinogängerin - bis ins hohe Alter. In ihren späten Kurztexten kam sie immer wieder auf ihre Filmerlebnisse zu sprechen. Dabei mischte sie kürzlich Gesehenes mit Erinnertem, lange Vergangenes mit Gegenwärtigem.

Bereits in frühester Jugend, so erinnerte sie sich, war sie Stammgast in den Kinos. Ihre "Kinosucht, selbst die nach Nazifilmen" sei unermesslich gewesen, meinte sie einmal. Lange habe sie das Büchlein "Die Stars der UFA" mit sich herumgetragen. Denn diese Stars, die der deutsche Filmkonzern in der Zwischenkriegszeit hervorgebracht hat, haben ihre Jugend geprägt.

"Wie verhält sich", fragte Aichinger einmal, "die Filmindustrie zur Geschichte? Was nimmt sie wahr von dem, was um sie herum gerade an Katastrophen geschieht?" Ihr Fazit ist klar. Die Filmindustrie, und insbesondere die deutsche UFA, habe "versagt", weil sie "allzuoft parteitreu" gewesen war. Und dennoch: die wunderbaren Stunden, die ihr die Filme dieser Jahre beschert haben, will sie keineswegs missen. Soll man, so fragte sie, die UFA also "an ihrem Unglück messen oder an ihrem Glück?"

Eine große, grundlegende Frage, die ins Herz des Phänomens Film zielt: Das Kino ist eine Ware, ein Geschäft, mit dem sich mitunter viel Geld verdienen (oder verlieren) ließ. Film: das sind aber auch wunderbar erzählte Geschichten. Film: das sind große Gefühle, von der Angst über das Mitleid bis hin zum Trost.

Wie verhält sich also die Filmindustrie zur Geschichte? Wenn wir die Geschichte der UFA, dieses großen deutschen Medienkonzerns, Revue passieren lassen, sollten wir Ilse Aichingers kluge Vignette zum Kino im Hinterkopf behalten. Denn jenseits des Geschäfts, jenseits der Institutionen und seiner politischen Verwicklungen gibt es noch das flüchtige Flimmern auf der Leinwand, die Filme selbst, die einen oft jahrzehntelang anhaltenden faszinierenden Sog erzeugen. Dennoch: In den Filmen allein ist das Räderwerk dieses Konzerns nicht recht fassbar zu machen. Es bedarf trotz allem eines Blicks hinter die Leinwand, um die Geschichte dieses einst so mächtigen, weltweit agierenden Medienunternehmens zu verstehen.

Das beginnt schon bei der Gründungsgeschichte. Oft wird vergessen, dass die Geschichte der UFA nicht im Berlin der Goldenen Zwanziger Jahre begann, sondern mitten im Ersten Weltkrieg, im Jahr 1917. Der Filmkonzern entstand als Teil des umfassenden Medien- und Propagandakrieges. 1916 wurde auf Initiative der deutschen Obersten Heeresleitung eine Bildpropagandastelle namens BUFA (Bild- und Filmamt) gegründet. Ihre Aufgabe war es, Wochenschaustreifen zu drehen, aber auch Kriegsfotos an Zeitungen zu liefern.

Die ersten Filme waren dokumentarähnliche Streifen ohne größere Erzählansprüche. Im Laufe des Krieges wuchs aber die Nachfrage nach Spielfilmen. Und auch das Militär erkannte, dass der Film ein geeignetes Propagandamittel für die Massen ist. "Der Krieg hat die überragende Macht des Bildes und Films als Aufklärungs- und Beeinflussungsmittel gezeigt", schrieb der deutsche Generalstabschef Erich von Ludendorff 1917. Und weiter meinte er: "Leider haben unsere Feinde den Vorsprung, den sie auf diesem Gebiet hatten, so gründlich ausgenutzt, daß schwerer Schaden für uns entstanden ist."

Geförderter Start

Man wollte daher gegensteuern. So unterstützte das Militär tatkräftig die Gründung eines neuen Filmkonzerns, der stärker in der Produktion von aufwendigen Lang- und Spielfilmen tätig sein sollte. Zu den Finanziers der im Dezember 1917 gegründeten "Universum Film Aktiengesellschaft" (UFA) zählte auch die deutsche Bank und mehrere große Indus-triebetriebe. Stolze acht Millionen Mark schoss die deutsche Regierung bei. Dieser massiv geförderte Start mitten im Krieg katapultierte die UFA innerhalb kürzester Zeit an die Spitze der deutschen Filmindustrie.

Bereits während des Krieges ging der Konzern Kooperationen mit konkurrierenden Filmfirmen (etwa Messter) ein. Viele Konkurrenten überlebten diese "Umarmung" nicht. Der rasante Aufstieg zum international agierenden Medienkonzern begann aber erst in den 1920er Jahren. Kreativer Motor hinter diesem rasanten Expansionskurs war Erich Pommer, der zuvor das konkurrierende Unternehmen Decla-Bioscop geleitet hatte. Nach der Übernahme dieser Firma durch die UFA Ende 1921 wurde Pommer UFA-Chef. Er steuerte den Konzern durch die turbulenten 1920er Jahre und verlegte die Studios nach Potsdam-Babelsberg, die bald zur größten Filmproduktionsstätte Europas wurde. Über 5000 Mitarbeiter waren Ende der 1920er Jahre für die UFA tätig.

Nach dem finanziellen Desaster, das der überteure Monumentalstreifen "Metropolis" von Fritz Lang 1927 einbrachte, musste Pommer kurzzeitig den Konzern verlassen. Aber er kehrte an seinen Platz zurück, als die UFA 1927 vom konservativen Medienmogul Alfred Hugenberg übernommen wurde.

Flotte Nazi-Komödien

In den folgenden Jahren stieg das Unternehmen hinter Hollywood zum zweitgrößten Filmunternehmen weltweit auf. Zahlreiche Schauspieler und Schauspielerinnen wurden unter dem Firmenzeichen des legendären UFA-Rhombus zu internationalen Stars: Marlene Dietrich, Peter Lorre, Zarah Leander und viele andere. Auch berühmte Regisseure wie Georg Wilhelm Pabst, Fritz Lang, Billy Wilder, Ernst Lubitsch oder Josef von Sternberg begannen ihre Weltkarrieren in den Jahren vor 1933 bei der UFA.

Auf den ersten Blick arbeitete die Traumfabrik UFA nach dem Machtantritt der Nazis im Jahr 1933 bruchlos weiter. Flotte Komödien sollten Normalität signalisieren. Aber der politische Einschnitt hinter den Kulissen war tiefgreifend. Jüdische Produzenten, Regisseure und Schauspieler wurden gekündigt. Unter ihnen war auch Erich Pommer, der nach Frankreich floh. Neben den vielen unverfänglichen Produktion wurden nun auch propagandistische Streifen gedreht. 1937 stieg die Regierung kommerziell in den Konzern ein, um ihn besser kon-trollieren zu können.

Nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 wurde die gesamte deutsche Filmindustrie unter staatliche Kuratel gestellt. Die UFA wurde 1941, zusammen mit den ehemaligen Konkurrenten Terra, Tobis und Bavaria, unter dem Namen UFI (Universum Film GmbH) zu einem quasistaatlichen Megakonzern vereint, der sich nun ganz in den Dienst der Propaganda stellte. Noch Ende Jänner 1945 wurde der monumentale Propagandastreifen "Kolberg" uraufgeführt. Wenige Monate später, Ende April 1945, marschierte die Sowjetarmee in Babelsberg ein. Die legendäre "UFA-Story", wie sie der Filmhistoriker Klaus Kreimeier in seiner klassischen Überblicksdarstellung nannte, war damit zu Ende.

Was folgte, gehört in die Rubrik "Ausschlachtung". In der DDR trat die DEFA das Erbe des Konzerns an, im Westen wechselten die UFA-Besitztümer, darunter zahlreiche Kinos, nach 1945 mehrmals den Eigentümer. 1966 wurden die rund 3000 Filme des Konzerns in die mit staatlichen Mitteln gegründete "Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung" mit Sitz in Wiesbaden eingebracht. Der letzte Abschnitt der UFA-Geschichte hatte begonnen - im Filmmuseum, wo die alten Streifen erneut zu leuchten beginnen.

Anton Holzer ist Fotohistoriker, Publizist und Herausgeber der  Zeitschrift "Fotogeschichte". www.anton-holzer.at