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Ein Blattmacher unter Druck

Von Andrea Reisner

Wissen
Eine Wiener Freimaurerloge Ende der 1780er. Ganz rechts sitzend soll Mozart dargestellt sein. Ob man darauf auch "Wiener Zeitung"-Chef Conrad Dominik Bartsch (1759-1817) sieht, bleibt ungewiss. Von ihm ist kein Bild bekannt.
© Wien Museum

Vor 200 Jahren starb Conrad Dominik Bartsch, Journalist und Freimaurer. Als leitender Redakteur der "Wiener Zeitung" brachte er einen Hauch Demokratie in die Habsburgermonarchie.


Es war eben Mitternacht, in der Druckerei der "Wiener Zeitung" ging es wie immer zu dieser späten Stunde heiß her. Die Setzer hatten längst Feierabend gemacht, nun waren die Drucker am Werk: Blatt für Blatt kam aus den Pressen, 2000 Stück, datiert auf Donnerstag, den 24. März 1814, lagen schon fertig für den nächsten Morgen bereit. Da flatterte dem Chef des Blattes, Conrad Dominik Bartsch, ein Brief ins Haus, der wohl seinen Blutdruck gewaltig steigen ließ. Absender: Die Polizei-Hofstelle. Man verlangte, dass eine Meldung vom Kriegsschauplatz noch ins aktuelle Blatt zu rücken sei - um diese Uhrzeit freilich unmöglich: Die Zeitung erschien ohne die Information.

Ein anderer Umstand aber war es, der Bartsch in Rage versetzte: Das von Metternich gelenkte Konkurrenzblatt, der "Oesterreichische Beobachter", hatte die Nachricht viel früher erhalten - und das, obwohl der "Wiener Zeitung" vertraglich das Recht auf vorrangige Berichterstattung zugesichert war. Damit nicht genug: Nun wollte man auch noch, dass die "Wiener Zeitung" den Bericht aus dem "Beobachter" nachdrucke . . .

Wutentbrannt griff Bartsch am nächsten Morgen zur Feder und erklärte dem "verehrten Herrn Hofrath" die Grundsätze des Blattmachens im Zeitalter des Handsatzes: "Es wären Stunden erforderlich gewesen, einen oder mehrere (Setzer, Anm.) aus ihren entfernten Vorstadt-Wohnungen zur Druckerey kommen zu lassen, Stunden, um einen neuen Satz zu machen, neu umzubrechen und neu einzuheben". Ganz zu schweigen von der Aufregung, die es gegeben hätte, wäre die Zeitung mit so großer Verspätung erschienen. Schlichtweg als Affront empfand er den verlangten Nachdruck aus dem "Beobachter": "Noch niemahls ist dieses geschehen, noch nie ist es von uns verlangt worden: es ist auch wohl keine tiefere Herabwürdigung der Wien. Zeitung denkbar."

Bartschs zorniger Brief, archiviert im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien, wirft nur ein Schlaglicht auf eine finstere Epoche in der Geschichte der "Wiener Zeitung". Unter Metternich stand das Blatt auf der Abschussliste. Und mit ihm sein Redakteur Bartsch. Kein Wunder, sorgte dieser doch dafür, dass durch die "kaiserliche privilegirte Wiener Zeitung" ein Hauch Demokratie wehte - soweit es das enge Korsett der Zensur eben zuließ.

Grund genug für den Staatsmann, sowohl Blatt als auch Redakteur in den Ruin treiben zu wollen. Bei jenem verfehlte er sein Ziel bekanntlich, bei letzterem erreichte er es. Aber alles von Anfang an.

Förderer Sonnenfels

"Meine Geburt hat mich unter die kleinen Menschen gesezet", schrieb der spätere Blattmacher, Jahrgang 1759, als 17-Jähriger an seinen Freund József Hajnóczy. "Ich hab nie große Projekte und Entwürfe gemacht, und die kleinen, die ich machte, waren entweder klug angeleget, oder es geschah durch Zufall: (. . .) das Schicksal hat sie mir allzeit begünstiget." Dass der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Bartsch Karriere machen konnte, verdankte er vor allem seinem Lehrer und Förderer Joseph von Sonnenfels (ca. 1732-1817), der dem begabten jungen Mann manche Tür öffnete. Zum Beispiel jene zu einem exklusiven Zirkel von Intellektuellen, die sich Werten wie Humanität, Toleranz und Demokratie verpflichtet fühlten: den Freimaurern. Sonnenfels war Mitglied der Loge "Zur wahren Eintracht"; Bartsch suchte 1783 erfolgreich um Aufnahme in die "Gekrönte Hoffnung" an, wo er zeitweise das Amt des Sekretärs versah. Als solcher kümmerte er sich um die Abwicklung des umfangreichen Schriftverkehrs sowie um die Arbeitsprotokolle.

Als "Musterbeispiel eines Freimaurers" bezeichnet ihn Rüdiger Wolf, Historiker und selbst Freimaurer. Angeregt durch mehrere Beiträge zu Bartsch, die im "Wiener Zeitung"-Geschichtsfeuilleton "Zeitreisen" erschienen, begann der Forscher mit intensiver Archivrecherche auf den Spuren Bartschs, wobei er unter anderem auf den eingangs zitierten Brief aus 1814 stieß. "Er fühlte sich", so Wolf, "der Wahrheit verpflichtet und setzte sich unter Inkaufnahme von persönlichen Nachteilen für die Idee der Aufklärung ein." Und zwar nicht nur als Freimaurer, sondern auch als Journalist.

Bartsch hatte 1782 als 23-Jähriger die Redaktion der "Wiener Zeitung" und damit des wichtigsten Periodikums der Monarchie übernommen. Trotz Zensur, die auch unter Joseph II. herrschte, versuchte er aufklärerisches Gedankengut zu vermitteln. Der wohl größte Coup seiner Laufbahn gelang ihm 1789, als er die französische Menschenrechtserklärung ins Deutsche übersetzte und durch die "Wiener Zeitung" erstmals in der Monarchie verbreitete. Es waren unerhörte Sätze, die am 9. September im Blatt zu lesen waren: "Alle Menschen sind frey geboren, und bleiben frey und gleich in Ansehung der Rechte." (Artikel 1) Oder: "Der Grund aller Souverainität ist in der Nazion." (Artikel 3) Jedem absoluten Herrscher, auch dem aufgeklärten Joseph II., musste dabei mulmig werden. Eine solche Ak- tion erforderte also Mut und journalistisches Geschick. Bartsch verstand es meisterhaft, die Zensur zu umschiffen. Er platzierte die Sensationsmeldung nicht auf der Titelseite, sondern unauffällig mitten im Blatt - dafür in vollem Wortlaut. Artikel 13 bis 17 folgten am 16. September.

Angeschwärzt

Nach dem Tod des "Reformkaisers" 1790 drehte sich der politische Wind endgültig. Anhänger der Demokratie lebten gefährlich - auch Bartsch geriet ins Visier der Behörden. 1791 denunzierte ihn Leopold Aloys Hoffmann, einstiger Freimaurer und glühender Anhänger josephinischer Reformen, der sich zum Antiaufklärer gewandelt hatte. Seine früheren Bundesbrüder verunglimpfte er als "Jakobiner". An Kaiser Leopold II. schrieb er, dass die "Wiener Zeitung" "allmälig sehr gefährlich zu werden anfängt" und ihr Verfasser "ein eisenfester Illuminat" sei. Bartschs Name fiel auch bei den "Jakobinerprozessen", einem Schlag der Regierung gegen kritische Intellektuelle. In Verhören bezeichnete man den Blattmacher als "demokratisch gesinnt" - dies galt in reaktionären Kreisen damals nicht nur als Beschimpfung, sondern konnte das Todesurteil bedeuten.

Wie in Wien zum Beispiel Franz von Hebenstreit (1747- 1795) wurde in Ungarn Bartschs Freund József Hajnóczy (1750- 1795) als "Jakobiner" und "Hochverräter" hingerichtet. Bei seiner Verhaftung hatte man auch zahlreiche Briefe C. D. Bartschs beschlagnahmt. Dieser dürfte nur haarscharf der Verfolgung entgangen sein. Auch seinen Posten als Chef der "Wiener Zeitung" behielt er vorerst - und das obwohl er seinen Prinzipien nach wie vor treu blieb. 1799 entfernte man ihn aus der Redaktion. Aus der Böhmischen Hofkanzlei, wo er neben seiner Redakteurstätigkeit jahrelang Beamter war, schied er einige Zeit später aus. Über die folgenden Jahre weiß man wenig; es heißt, Bartsch habe sich erfolglos als Tuchhändler über die Runden zu bringen versucht.

1811 engagierte die private Herausgeberfamilie Ghelen Bartsch erneut als Chef der "Wiener Zeitung". Unter den gegebenen Umständen war freilich noch mehr Vorsicht geboten. Der Metternich-Berater Friedrich Gentz (1764- 1832) "lobte" Bartsch auf seine Weise: "Die Art, wie dieser Redakteur seine Artikel zu stellen und zu kombinieren weiß, spricht ebensowohl für seine Geschicklichkeit, als für seinen bestimmten Willen, Böses zu stiften", schrieb er 1813 und stellte außerdem fest, dass von den Zensoren "niemand (. . .) Einsicht und Takt genug besitzt, um einem so verschmitzten Patron (. . .) die Spitze zu bieten".

Im Schuldenarrest

Als Bartsch schließlich 1815 seinen Posten erneut verlor, gab man als fadenscheinigen Grund an, er habe "die Redaktion nicht mit der nötigen Umsicht und Klugheit" besorgt. In Wirklichkeit hatte er sich bei der Berichterstattung zur Rückkehr Napoleons aus Elba zu weit aus dem Fenster gelehnt. Zwar beschäftigten ihn die Ghelens weiterhin als freien Mitarbeiter im Inlandsteil, doch seine Existenz war ruiniert. Er starb etwa zweieinhalb Jahre später.

Zu seinem Tod war bisher nicht viel bekannt. Rüdiger Wolf stieß bei seinen Recherchen nun auf den Verlassenschaftsakt, der einige bittere Details ans Licht bringt: "An Vermögen", steht dort, "gibt die Witwe (Magdalena, Anm.) keines an"; ihr Mann war nämlich am 28. August 1817 "seiner Habschaften gepfändet" worden und daraufhin "auch wegen nicht hinlänglicher Bedeckung in das Pollizeihaus in den Schuldenarrest" gekommen, wo er "erkrankt, in das allgemeine Krankenhaus überbracht und auch allda verstorben ist".

In der Totenliste der "Wiener Zeitung" für den 14. Dezember 1817 finden sich lediglich zwei Zeilen: "Hr. Konrad Bartsch, Wiener-Zeitungs-Redakteur, alt 58 J. am Alsergrund Nr. 171, an der Leberverhärtung". Würdigen durfte das Blatt ihn damals nicht. Höchste Zeit, das jetzt, 200 Jahre später, nachzuholen.

Andrea Reisner, geboren 1982, ist Redakteurin des monatlichen "Wiener Zeitung"-Geschichtsfeuilletons "Zeitreisen".

Rüdiger Wolf war 2004 bis 2011 Direktor des Österreichischen Freimaurermuseums Schloss Rosenau und publizierte etliche Werke zur Geschichte der Freimaurerei, u.a. "Die Protokolle der Prager Freimaurerloge ,Zu den drei gekrönten Säulen‘ 1783-1785" (2013). Zuletzt verfasste er die noch unveröffentlichte Schrift "Conrad Dominik Bartsch - der mutige Redakteur".

Noch ein Literaturtipp: Hilde Koplenig, "C. D. Bartsch (...) Freimaurer und Journalist." In: Wiener Geschichtsblätter 3/1977.