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Bauern brachten das Licht

Von Eva Stanzl und Edwin Baumgartner

Wissen
Frühzeit der Antike: Die mykenische Kultur, zu der Kykladen und Minoer zählten, brachte kunstvolle Schätze hervor, wie das Fresko einer Tänzerin aus 1600-1450 v. Chr. auf Knossos.

Genetiker gewannen überraschende Erkenntnisse - die griechische Kultur entwickelte sich aus sich selbst heraus.


Mauern, gefügt aus schweren Steinquadern, Wände, geschmückt mit Malerei in perfekten Proportionen - die Kultur der Mykener. Die Kultur der Minoer: verwandt und ganz anders zugleich. Der Stierkult prägt die Darstellungen, die Bildnisse der Frauen sind erotisch aufgeladen, selbst an der Art des Mauerwerks erkennt man die Verfeinerung des Geschmacks.

Die mykenische Kultur, die sich 1700 bis 1100 vor Christus über das Festland des heutigen Griechenland bis in den Raum der heutigen Türkei erstreckt, steht ebenso wie die parallel dazu existierende minoische Kultur Kretas (3100 bis 1050 vor Christus) an der Wiege unserer europäischen Zivilisation. Die Mythen der griechischen Frühzeit berichten von den Taten der Menschen. Nur die Abstammung der beiden Völker blieb bisher ein Rätsel.

Sprache als Schlüssel

"Woher Menschen wie Homers Agamemnon stammten (in der Mythologie Herrscher von Mykene und Anführer der Griechen im Trojanischen Krieg, Anm.), war bisher nicht nachgewiesen und somit ein Mysterium der Geschichte", betont David Reich vom Howard Hughes Medical Institute in Chevy Chase im US-Staat Maryland. In der ersten genetischen Untersuchung an den sterblichen Überresten von Griechen der frühen Antike ist der US-Evolutionsbiologe dieser Frage zusammen mit griechischen, türkischen und deutschen Kollegen nachgegangen. Die überraschenden Ergebnisse: Den Grundstein für die abendländische Kultur legten Bauern aus der Umgebung.

Aus dem Studium der Kulturen ließen sich bisher mehrere Hypothesen zur Herkunft der beiden Völker ableiten. Die Minoer benutzten zwei Schriften. Eine beruhte auf Hieroglyphen mit möglicherweise ägyptischen Einflüssen. Die andere war eine Linearschrift, deren Ursprung im Nahen Osten vermutet wird. Da jedoch weder die eine noch die andere entziffert ist, rätseln Experten, in welchen Sprachen sich die Minoer unterhalten haben und mit welchen anderen Sprachen diese verwandt gewesen sein könnten. Anders als bei den Mykenern: Ihre Schrift wurde als früheste Form des Griechischen und als früheste Form einer indogermanischen Sprache in Europa entziffert. Zudem wird die mykenische Sprache mit der einer Völkerbewegung aus der Pontokaspis im Westteil der Eurasischen Steppe verbunden.

Auf diesen Grundlagen formten sich Theorien, wonach die Minoer aus dem Nahen Osten, Nordafrika oder Ägypten gekommen sein könnten, Kreta besiedelten und ihre Kultur dort aufgebaut haben. Über die Mykener war zusätzlich zur Sprache bekannt, dass sie kulturelle Einflüsse der Minoer hatten, sie somit durch sie nach Griechenland gekommen sein könnten.

Reich und seine Kollegen haben DNA aus den Zähnen von 19 Individuen aus der Bronzezeit entnommen, die bei Gräberfunden in der Ägäis und Anatolien entdeckt worden waren. Zehn Individuen waren Minoer, vier Mykener, drei kamen aus dem heute in der Türkei liegenden Südwestanatolien, einer lebte auf Kreta vor der Ankunft der Mykener und einer stammte vom Festland und bestritt sein Dasein vor der antiken Zivilisation in der Steinzeit um 5400 vor Christus. Die Forscher sequenzierten das Erbmaterial und verglichen es miteinander sowie mit 330 anderen antiken und 2600 heutigen Genomen. "Wir konnten diese Menschen vergleichen, zum einen miteinander und zum anderen mit modernen Populationen in Europa", erklärt Erstautorin Alissa Mittnik vom Max Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena.

Die Wissenschafter entnahmen Erbgut aus den Zähnen und Gehörschnecken. "Im Dentin ist die DNA vom Zahnschmelz geschützt und somit recht gut konserviert. Auch das Knochenmaterial, das die Gehörschnecke umgibt, ist besonders dicht und daher günstig zur DNA-Erhaltung", erklärt die Archäo-Genetikerin. Damit die Proben nicht durch den Kontakt mit Haut, Erde und Staub oder sogar Laborgeschirr verschmutzt werden würden, bestrahlen die Forscher sie mit UV-Licht und untersuchten sie unter sterilen Bedingungen. Dabei prüften sie das antike Erbgut auf Veränderungen, die in moderner DNA nicht auftreten.

Nur wenig Vergleichbares

Auf diese Weise konnte das Team herausfinden, dass beide Völker zu drei Viertel von den allerersten Siedlern der Ägäis abstammten und sowohl miteinander als auch mit den modernen Griechen eng verwandt sind. Ähnlichkeiten mit heute in Westanatolien lebenden Menschen lassen die Forscher darauf schließen, dass diese Bauern tausende Jahre davor aus der heutigen Türkei gekommen waren. Weiters haben beide Völker Wurzeln im Iran und auf dem Kaukasus. Bei den Mykenern entdeckten die Forscher außerdem Vorfahren aus Eurasien, wo auch Wurzeln der mykenischen Sprache zu liegen scheinen. "Der Stammbaum der Mykener reicht bis in die zentralasiatische Steppe zurück", erklärt Ko-Autor Josif Lazardis in einer Aussendung zu der im Fachmagazin "Nature" erschienen Studie.

"Für uns ist es sehr interessant zu sehen, dass Minoer und Mykener zum größten Teil von steinzeitlichen Bauern abstammen, die schon vorher diese Gegenden besiedelt hatten", fasst Mittnik zusammen. "Somit gab es keinen großen externen Einfluss bis zur Bronzezeit und keine Migration wie zuvor angenommen. Wohl aber existiert der genetische Einfluss einer östlichen Bevölkerung."

Die Wurzeln tief in der Erde

Das eigentlich Überraschende an der Untersuchung aber ist, dass die Migration offenbar erst wesentlich später einsetzte als gedacht und somit eine Sache der Bronzezeit und auf sie folgender Zeitläufe ist. Dass steinzeitliche Bauern weitestgehend selbständig, ohne Wechselbeziehungen zu anderen Kulturen (die sich in einer stärkeren Durchmischung der Völker und damit in den Genen niedergeschlagen hätten) eine Hochkultur mit einer auch an der modernen Welt gemessen erstaunlichen Fähigkeit zur Differenzierung entwickelten, erscheint in diesem Licht als eine Leistung, die nur wenig Vergleichbares kennt.

Damit muss nicht zuletzt die Archäologie ihre Vermutungen bezüglich des vor-bronzezeitlichen Griechenland überprüfen. So scheint es möglich, dass nachprüfbar korrekte Ergebnisse der Forschung seit der Bronzezeit voreilig auf die vor-bronzezeitlichen Völker der Ägäis übertragen wurden. Für die Zeit ab der Bronzezeit nämlich gilt, dass die Welt der Antike in weitaus stärkerem Ausmaß globalisiert war, als wir es uns gemeinhin vorstellen. Da war es tatsächlich, bezogen auf den Raum des heutigen Griechenland und eines Teils der Türkei, ein Wechselspiel von kleinen politischen Einheiten, kulturellen Im- und Exporten und langen Handelswegen.

Das Griechenland der Antike bestand aus Stadtstaaten, die wechselnde Allianzen eingingen. Vorbehalte im Umgang miteinander hatten, wenn überhaupt, politische Ursachen, nicht ethnische. Dafür sorgte nicht zuletzt der Polytheismus, der von vornherein einem Toleranzprinzip entgegenkommt und die Basis legt zu einem Umgang mit Ideen und kulturellen Errungenschaften, der nahezu als postmodern anzusprechen ist: Man nimmt, was gefällt - allenfalls setzt man es nicht unter ästhetische Anführungszeichen (obwohl auch das in der späteren Antike Äquivalente findet), sondern integriert es in das eigene Verständnis. Die Handelswege wiederum verliefen weniger direkt als heute, aber sie durchzogen die gesamte bekannte Welt der Antike. Und hier kommt es dann auch zu Wanderbewegungen im Sinn einer Wirtschaftsmigration.

Es schien nur logisch, diese Erkenntnisse auf die frühgriechische Kultur zu übertragen im Sinn einer Tradition. Doch nun widerspricht die Genetik: Zwar finden sich unter den Vorfahren der Mykener auch Völker aus dem Kaukasus und dem Iran, doch letzten Endes gilt, dass die Menschen, welche die Wiege der abendländischen Kultur gezimmert haben, ein lokales Volk waren, leicht durchmischt mit östlichen Völkerschaften: Der Stammbaum all dessen, was abendländische Kultur bedeutet, wurzelt tief in der Erde, die ein Bauer gepflügt hat.