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Diplomatie und Mystik

Von Hans Göttel

Wissen

Am 18. September 1961 verstarb der zweite UNO-Generalsekretär Dag Hammarskjöld bei einem Flugzeugabsturz. Er war vehementer Vertreter einer Weltregierung - und Vorbild für "Perry Rhodan".


Dag Hammarskjöld (hier 1959) war von 1953 bis 1961 UNO-Generalsekretär.
© UN/DPI

Es war kein Geringerer als Albert Einstein, der den zweiten UN-Generalsekretär und schwedischen Diplomaten Dag Hammarskjöld (1905-1961) in seiner Intention bestärkte, die Vereinten Nationen zur Weltregierung zu formen, statt sich auf gutmeinende Pseudo-Aktivitäten einzulassen. Hier haben sich zwei getroffen, die einer Verstaatlichung der Welt durch die vielen Staaten nicht weiter zusehen, sondern eine Weltregierung als Ausdruck einer internationalen Gemeinschaft installieren wollten. Doch bis heute wollen weder die Eliten der Nationalstaaten, noch globale Aktivisten soweit denken. Sie bevorzugen das von großen Polizeiaufgeboten geschützte Schaulaufen zu den Weltgipfeln der Staatsmänner, die merkwürdigerweise weit abseits der Vereinten Nationen stattfinden, mit dem jeweiligen UNO-Generalsekretär als gelegentlichen Zaungast.

Für die globale Friedens- und Entwicklungsarbeit war aus Hammarskjölds Sicht nicht die Politik, sondern die Diplomatie zuständig, und er machte mit seiner Chinareise im Jänner 1955 gleich vor, wie das funktionieren könnte. Die Weltöffentlichkeit staunte nicht schlecht, als der Generalsekretär der Vereinten Nationen ohne Mandat in ein Land aufbrach, das gar nicht Mitglied der UNO, vielmehr völlig isoliert war, um dort inhaftierte US-Piloten, die im Zuge des Koreakrieges abgefangen und der Spionage verdächtigt wurden, zu befreien.

Begegnung mit KP-Chef

Es verbreiteten sich Legenden, wonach Hammarskjöld mit dem damaligen Premierminister und Führer der Kommunistischen Partei, Chou En-Lai, gar nicht über die gefangenen Piloten, sondern nächtelang über östliche und westliche Philosophien geplaudert haben soll, was allerdings so nicht stimmt. Die Verhandlungen waren hart und Hammarskjöld war in der Sache mitsamt seinen hervorragenden Beratern auf verlorenem Posten. Aber, in der historischen Begegnung des westlichen und östlichen Mandarins war die Sympathie als Dritte mit im Bunde - und so ist es gekommen, dass Hammarskjöld ein paar Monate später einen Großteil der inhaftierten Amerikaner freibekam, und zwar genau an seinem Geburtstag (29. Juli), verbunden mit persönlichen Glückwünschen Chou En-Lais. Das verschaffte ihm mit einem Schlag die Reputation, die er so dringend für sein Amt brauchte.

Mit seinem Einsatz zur Lösung der Suezkrise 1956 und der Gründung der UN-Friedenstruppen avancierte Hammarskjöld zum allseits anerkannten trouble shooter. "Leave it to Dag" hieß es nun immer öfters, wenn ein internationaler Krisenherd zu managen war - und Hammarskjöld nützte seine Möglichkeiten, um die Vereinten Nationen Schritt für Schritt als eigenständigen Akteur auf die Weltbühne zu stellen.

Seine überragenden diplomatischen Fähigkeiten, die er in Stellung brachte, um die verstaatlichte Welt zu überwinden und internationale Gemeinschaften zu formen, zehrten von einer besonderen Kraftquelle. Erst nach seinem Tod, als sein Tagebuch "Zeichen am Weg" erschienen war, vernahm die Welt den bisher verborgenen Mystiker. Nun begann man auch seine vielen Reden und Korrespondenzen mit Schriftstellern und Künstlern genauer zu lesen.

Viele, vor allem seine Landsleute in Schweden, erschraken angesichts einer Überzeugung, wonach das Weltgeschehen ein geistiges Gebilde sei, für das die Politik besser keine Zuständigkeit reklamieren sollte. Hammarskjöld dachte an internationale Gemeinschaften, die nicht aus den Interessen der Staaten, sondern aus einem gemeinsamen Geist der Menschen und Völker geformt werden sollten. Universitäten, Kirchen, Künstler und Intellektuelle waren für ihn die Agenten solch internationaler Gemeinschaften, während sich seine internationalen Beamten diplomatisch um die vielen Krisen in allen Erdteilen kümmerten.

Vorlbilder Kant, Linné

Auch der Philosoph Immanuel Kant, Autor des Aufsatzes über die "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht", nahm, um kosmopolitisch weiter zu kommen, eine Abtrennung von der Politik vor und verwies auf den Unterschied zwischen moralischem und politischem Ideal: letzteres hat kein umfassendes Commonwealth im Sinn, sondern nur eine Föderation von Staaten.

Ein Modell für die Figur des Weltbürgers fand Hammarskjöld in seinem Landsmann, Carl von Linné (1707-1778), der den Pflanzen und Tieren ihren Namen gab. In ihm sah er das Vorbild für einen Europäer und Weltbürger, einen representative man im Sinne von Ralph Waldo Emerson (1803-1882). Ein solcher Mensch hebt sich aus der Masse der Mitmenschen durch die höchstmögliche Aktualisierung von Eigenschaften, die im Prinzip in allen Menschen angelegt sind, heraus.

An den paradigmatischen Gestalten von Linné und Hammarskjöld wird deutlich, dass Internationalität und Verwurzelung in der eigenen Nation programmatisch verbunden gehören: demnach sind nur weltoffene Bürger "wahre Schweden" - so wie "Deutschheit" sowohl bei den Aufklärern wie auch bei den Romantikern mit weltbürgerlicher Gesinnung verknüpft war. Für Novalis etwa bedeutete Deutschheit eine Verbindung von "Kosmopolitismus mit der kräftigsten Individualität".

Am Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert bezog etwa der dänische Aufklärer Jens Baggesen (1764-1826), der sich, wie Hammarskjöld, an der Philosophie und Poesie Friedrich Schillers orientierte, den erhabenen Standpunkt des Weltbürgers: "Ich war Weltbürger, ehe ich Staatsbürger wurde, und ich bleibe Weltbürger, wenn ich einmal aufgehört habe, Staatsbürger zu sein. Als Weltbürger betrachte ich alles von einem erhabenen Standpunkt. - Was sich aus dem Gesichtspunkt des Untertanen als unübersteigbarer Berg darstellt, verliert sich aus dem Gesichtspunkt des reflektierenden Denkers, der das Ganze übersieht, zum Ameisenhaufen. Arbeite im Einzelnen, heißt es, aber denke im Ganzen".

Wille zur Hingabe

Baggesen formulierte damit eine frühe, wenn nicht sogar die erste Fassung des im 20. Jahrhundert populär gewordenen Slogans "Global denken - lokal handeln". Der Mensch, so ließe sich folgern, muss erst wieder zum Weltbürger werden, der wieder sehen kann, was er, seit er zum Staatsbürger geworden war, nicht mehr sehen hat können.

Mystische Versenkung und technische Einrenkung waren für Hammarskjöld zusammenwirkende Momente von Gestaltung, dazu ein Wille zur Hingabe, verbunden mit eigensinniger Steuerung; wie ein Schiff, das sich den überwältigenden Kräften der hohen See ausliefert, um darin genau seinen Kurs zu halten. Er war ein fabelhafter Geist, der den Kosmos oder die Landschaft wie beseelte Wesen wahrzunehmen vermochte, während er die Krisenfelder der Welt nüchtern analysierte und administrierte. Hammarskjölds Staatskunst lässt die Magie nicht hinter sich, um die Probleme der Welt vernünftig zu lösen, sondern sie pendelt zwischen der Mystik und der Technik, um vernünftig handeln zu können.

Wenn sich die G 20, wie zuletzt in Hamburg, mit all ihren Schlachtenbummlern im Gefolge treffen, sprechen Politiker und Journalisten vom Ansatz einer Weltregierung. Sie leben, wie die globalen Aktivisten, ganz im Medium der Politik, treu dem Slogan der 68er-Bewegung, "Alles ist politisch". Hammarskjölds Lebenswerk wäre ihnen kein Zeichen am Weg zum Fortschritt, eher ein Stolperstein.

Mysteriöser Absturz

Dag Hammarskjöld starb in der Nacht auf den 18. September 1961, weil sein Flugzeug in Afrika abstürzte. Mit ihm starben 15 Menschen. Offizielle Untersuchungen sprachen von einem Unglück, doch weder damals noch heute traut(e) die Öffentlichkeit dieser Auskunft. Unter den vielen Mutmaßungen und Erklärungsversuchen zu seinem Tod sind Verschwörungstheorien nach wie vor die glaubwürdigsten.

Der UN-Generalsekretär war im Kongo eigensinnig unterwegs gewesen, um die Abspaltung der rohstoffreichen Provinz Katanga rückgängig zu machen. Dazu hatte er im Sommer 1961 die Blauhelme in zwei Aktionen, die sich gegen ausländische Söldnertruppen richteten, erstmals offensiv eingesetzt, was ihm eine Resolu-tion des UN-Sicherheitsrates zwar formal erlaubte, für die nicht ausreichend informierten und konsultierten Großmächte aber überraschend kam.

Als US-Präsident Kennedy davon hörte, soll er außer sich gewesen sein. Doch ein halbes Jahr nach Hammarskjölds Tod, am 14. März 1962, bat Kennedy dessen engsten Mitarbeiter, Sture Linnér, ins Weiße Haus, um sich für seine, wie er bekannte, ungerechtfertigte Kritik an Hammarskjölds Kongo-Politik zu entschuldigen. Er ergänzte: "I realize now that in comparison to him, I am a small man. He was the greatest statesman of our century." Als einziger Mensch bisher bekam Dag Hammarskjöld den Friedensnobelpreis 1961 postum verliehen.

Im September 1961 erschien die Nr. 1 der Romanheft-Serie "Perry Rhodan". Der deutsche
Sciencefiction-Autor Karl Herbert Scheer hatte eine Figur geschaffen, die die Welt vor dem Untergang zu retten und die Menschheit zu vereinen versucht. Das Vorbild für die Figur, so behauptet eine schwedische Studie, war Dag Hammarskjöld. Die Weltregierung wurde erfolgreich utopisiert. Auf der Welt war kein Platz mehr für sie.

Hans Göttel ist Studienleiter des Europahauses Burgenland und Autor des Buches "Dag Hammarskjöld für kosmopolitische Passagen" (erschienen im Verlag Akademie Pannonien), das am 19. September in der Donaucitykirche (bei der UNO-City) präsentiert wird (18.00 Uhr).