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Der Durchbruch des Jahres

Von Alexandra Grass

Wissen

Forscher beobachteten die Kollision zweier Neutronensterne - damit wissen sie mehr über Anfänge des Universums.


Wien. Das Top-Wissenschaftsereignis 2017 fand schon vor 130 Millionen Jahren statt: Am 17. August wurden Wissenschafter Zeugen eines Ereignisses, wie sie es nie zuvor in der Geschichte der Astronomie erlebt hatten. In einer Entfernung von 130 Millionen Lichtjahren rotierten zwei Neutronensterne immer enger umeinander, bis sie in einer spektakulären Explosion zusammenstießen. Gemessen wurde das kosmische Großereignis von den Gravitationswellen-Observatorien Ligo in den USA und Virgo in Italien, sowie an der Europäischen Südsternwarte in Garching bei München.

Sowohl in Pressekonferenzen als auch in den Fachjournalen "Nature", "Nature Astronomy" und "Science" berichteten die Wissenschafter vom ersten Nachweis einer Neutronenstern-Kollision durch Gravitationswellen und Strahlung. "Science" hat die kosmische Sensation, die sich Kilonova nennt, zum wissenschaftlichen Durchbruch 2017 erkoren.

Besonders außergewöhnlich war die Art und Weise, wie die Kilonova zum Vorschein gekommen war. Die Observatorien hatten ihre Gravitationswellen - also die von Albert Einstein vorhergesagte Krümmung der Raumzeit, die Großereignisse wie dieses verursachen - eingefangen. Gravitationswellen waren erst 27 Monate zuvor am Ligo-Observatorium erstmals gemessen worden. Der Nachweis war bei einem weiteren kosmischen Spektakel - der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher - gelungen. Die Entdeckung war folglich auch zum Durchbruch 2016 erkoren worden. Im Herbst erhielten die Ligo-Forscher dann den Nobelpreis für Physik.

Gammastrahlenblitz

Nahezu zeitgleich mit der Verschmelzung der beiden Neutronensterne - ein Neutronenstern ist das, was nach einer Supernova von einem Stern übrig bleibt - maß das Fermi-Weltraumteleskop der US-Raumfahrtagentur Nasa eine intensive Gammastrahlung. Ein solcher Strahlungsausbruch ist so gewaltig, dass man ihn selbst am anderen Ende des Universums erkennen kann. Seine Messung ist für die Astronomie von Bedeutung, da mehr als 99 Prozent des Alls dunkel sind. Mit Detektoren belauschen die Forscher den Weltraum - erst Gravitationswellen und Strahlung ermöglichen es, auch unsichtbare kosmische Ereignisse wahrnehmen zu können.

Unmittelbar nach dem Gammastrahlenblitz hatten zahlreiche weitere Teleskope und Observatorien ihre Messgeräte auf das Ereignis gerichtet und eine Fülle von Daten gesammelt. Weltweit widmeten sich 4156 Wissenschafter in 953 Instituten dieser Neutronenstern-Kollision, berichtet "Science". Sie brachten in Zusammenarbeit einen ausführlichen Report zuwege, der sich der Explosion und ihren Nachwirkungen widmete. Nie zuvor in der Geschichte der Astronomie war ein Ereignis so ausführlich studiert worden.

Der Nachweis der Neutronenstern-Kollision ermöglichte auch neue Einblicke, wie Gold, Platin und andere schwere Elemente entstehen. Nur solche Verschmelzungen schaffen dafür geeignete Bedingungen. Zur Erklärung: Nach dem Urknall gab es im Kosmos nur leichte Elemente wie Wasserstoff, Helium und Spuren von Lithium. Erst die Entstehung der Sterne trug dazu bei, dass sich in ihrem Inneren durch die Kernfusion auch schwere Elemente wie Sauerstoff, Kohlenstoff oder Eisen bilden konnten. Diese wurden erst frei, als die ersten Sterne am Ende ihrer Lebenszeit zu Supernovae explodierten. Klar war aber nicht, wo die besonders schweren Elemente wie Gold, Silber oder Platin entstehen. Seit der gemessenen Neutronenstern-Kollision scheint dieses Rätsel gelöst.

Gold, Silber, Platin

Ein Neutronenstern hat einen Durchmesser von nur etwa 20 Kilometern, besitzt aber eine Masse, die der unserer Sonne bis zu etwa 1,6 Sonnenmassen entspricht. Somit ist er extrem dicht: Ein Teelöffel Neutronenstern-Material wiegt etwa eine Milliarde Tonnen, wie das an der Entdeckung beteiligte Massachusetts Institute of Technology in einer Mitteilung erläutert. In dieser Dichte dürften sich die Edelmetalle gebildet haben, die in Folge der Kollision freigesetzt wurden. Nach der Explosion fanden die Forscher in der Region um das Ereignis enorme Mengen an neu entstandenem Gold und Platin. Bei dem Großereignis könnten 200 Erdmassen Gold und 500 Erdmassen Platin freigesetzt worden sein, hieß es.

Von der technischen Weiterentwicklung der Detektoren erhoffen sich die Astrophysiker, Gravitationswellen auch mit geringerer Frequenz einfangen zu können - etwa, wenn supermassive Schwarze Löcher im Zentrum von Galaxien verschmelzen. Sie erwarten weitere äußerst seltene Sensationen im All - etwa die Verschmelzung eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Loch. Roger Blandford von der Universität Stanford im kalifornischen Palo Alto hofft gar auf Außergewöhnliches: "Ich würde gerne etwas sehen, das all unsere Erwartungen übertrifft."