
"Meine Haare fallen mir immer noch entsetzlich aus. Ich kann mich bald nicht mehr frisieren." Diese Zeilen schrieb die Hausfrau Hedwig Lauth in einem Brief am 25. September 1917. Und sie nannte sogleich den Grund: "Es liegt an der Ernährung." Drei Jahre war der Erste Weltkrieg bereits im Gange. Längst war die Begeisterung der Verzweiflung gewichen. Allen Durchhalteparolen zum Trotz war der Alltag im Krieg nur eines: zermürbend, trost- und hoffnungslos. Die Not hatte vor allem die Städte erreicht. Die Menschen litten im dritten und vierten Kriegsjahr immer öfter an Hunger.
Die ausfallenden Haare: dieses auf den ersten Blick unscheinbare Detail vermittelt auf berührende Weise das alltägliche Gesicht des Krieges. Wenn wir die gewaltigen Umbrüche in Europa, die zwischen 1917 und 1919 erfolgten, verstehen wollen, ist es wichtig, nicht nur auf die große Politik zu blicken, sondern auch auf den Alltag der Bevölkerung im Hinterland. In Briefen und Tagebüchern kommt die Stimmung der Menschen oft deutlicher zum Ausdruck als in den offiziellen Heeresmeldungen oder Zeitungsberichten, die allesamt durch die Mühlen der Zensur gegangen waren.

Wie lässt sich der dramatische Zusammenbruch der Alten Welt im Jahr 1918 erklären? Wie kam es dazu, dass am Ende des Krieges Großreiche wie Kartenhäuser zerfielen, Monarchen voller Zorn aus dem Amt gejagt wurden? Und auf den Trümmern des Krieges hoffnungsvoll neue Republiken gegründet wurden? Wie kam es zu dieser historischen Weggabelung 1918/19, an der das 20. Jahrhundert eine andere Richtung einschlug?
Der Krieg endete in Raten. Bereits Ende 1917 schwiegen an der Ostfront die Waffen, während an der West- und Südfront noch heftig gekämpft wurde. Am 15. Dezember 1917 war ein Waffenstillstand zwischen den Mittelmächten Deutschland und Österreich auf der einen und Russland auf der anderen Seite in Kraft getreten. Nicht die Militärs waren zur Einsicht gekommen, die Kämpfe zu beenden, sondern Hunger, Not und Unzufriedenheit hatten 1917 in Russland die Menschen auf die Straße getrieben. Anfang 1917 waren die Demonstrationen bewaffneter Soldaten und Arbeiter in offene Aufstände und schließlich in die Revolution (Februarrevolu-
tion) umgeschlagen. Unter dem Ansturm des Unmuts musste der Zar abdanken, die Macht ging auf die Arbeiter- und Soldatenräte über, die sich mit den Spitzen des Militärs auf zaghafte Reformen und zunächst eine Weiterführung des Krieges einigten.
Im Oktober 1917 (nach unserer Zeitrechnung im November) desselben Jahres übernahmen schließlich die Bolschewiken die Herrschaft in Russland und drängten auf ein rasches Kriegsende. Anfang Dezember begannen die Verhandlungen für einen Waffenstillstand, der am 15. Dezember in Kraft trat. Eine Woche später, am 22. Dezember 1917, begannen die Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk, die Anfang März 1918 zum Friedensvertrag führten. Am 17. Dezember 1917 notierte die Künstlerin Käthe Kollwitz in ihr Tagebuch: "Nun ist der Waffenstillstand zwischen Rußland und Rumänien und den Mittelmächten erklärt. Anfang zum Frieden."