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Meuterei in Cattaro

Von Leo Leitner

Wissen
Vor 100 Jahren übernahmen Matrosen die Gewalt über den Panzerkreuzer St. Georg.
© heeresgeschichten.at

Die Matrosen der k.u.k. Kriegsmarine rebellierten gegen extreme Belastungen. Das Startsignal zum Aufstand erfolgte am 1. Februar 1918.


Um die Mittagszeit des 1. Februar 1918 wurden auf dem Admiralsschiff "Sankt-Georg" der in der Bucht von Cattaro (Boka Kotorska) liegenden Kreuzerflottille und auf einigen weiteren Schiffen dieser Einheit rote Flaggen gehisst. Die Offiziere wurden entwaffnet und eingesperrt; unter "Hurrah"-Rufen übernahmen die aufständischen Matrosen die Gewalt über die Schiffe. In einem wichtigen Abschnitt schien die k.u.k. Kriegsmarine in den Sog einer revolutionären Bewegung zu geraten. Das Beispiel der Revolte russischer Matrosen in der Ostseefestung Kronstadt (Oktober/November 1917) und deren Auswirkung auf die Machtübernahmen durch die Bolschewiki konnte ebenso wenig verdrängt werden wie die revolutionären Vorgänge in deutschen Häfen.

Die Sorgen der Meuterer von Cattaro waren hautnäher: Monotonie der Dienst- und Übungsprogramme, Abgeschiedenheit von der Umwelt, zusammengepferchtes Leben auf engstem Raum, wenige Einsätze und eklatante Mangelernährung waren entscheidende Faktoren, die den aufgestauten Unmut noch verstärkten und zur ständig wachsenden Belastung der Disziplin an Bord wurden. Vor allem bestimmend aber war die Sorge um das Leben in der Heimat, um die Familien und das Ungewisse des Künftigen.

"Torpediertes" Torpedoboot 11

Der Fall "Tb 11" (Torpedoboot 11) gilt als Beispiel einer Reaktion auf die kaum fassbaren Belastungen, denen die jungen Matrosen ausgesetzt waren: Das Boot stand im Wachtdienst und fuhr auf vorgeschriebener Route, als zwei Männer der Besatzung die Offiziere überwältigten und die übrigen Besatzungsmitglieder in drastischer Weise einschüchterten. Meuterei und Desertion vermischten sich, das Torpedoboot wurde auf Kurs Ancona gebracht. Während der Flucht wurden, auch mit Hilfe der Meuterer, die Geheimpapiere zerstört. Von den Italienern wurde die gesamte Besatzung in ein Kriegsgefangenenlager gebracht.

Dieser Vorfall im Oktober 1917 war zwar nur ein kleines, aber doch deutliches Zeichen für einen drohenden Zerfall des bis dahin sehr homogenen Kräftefeldes in den Schiffsbemannungen. Die Marine wurde dafür gerühmt, dass an Bord der Schiffe nahezu alle Nationalitäten des Kaiserreiches vertreten waren und einen geschlossenen "Körper" bildeten. In diesem Körper zeigten sich nun Schwachstellen, über die Agitation und Verrat eindringen konnten.

Im vierten Kriegswinter hatten Kriegsmüdigkeit und die katastrophal schlechte Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln zu angespannten Situationen und, besonders in Industriegebieten, zu Protestaktionen und Streiks geführt. Verhandlungen der Regierung mit Vertretern der Arbeiterschaft im Jänner 1918 erbrachten vorläufige Klärungen und einige Besserungen. Eine allgemein anerkannte Vermittlerrolle spielte dabei der sozialdemokratische Gewerkschafter und Reichsratsabgeordnete Franz Domes.

Kontakte zu sozialdemokratischen Politikern wurden bei Protestaktionen immer wieder gesucht, diese allerdings auch als "Einfluss von außen" kritisiert. Für die Kriegsmarine war die Arbeit in den Werften ein besonders sensibler Bereich. Auf Arbeitsniederlegungen wurde stets rasch reagiert, teils durch Zusagen, teils durch militärischen Druck.

Bindend und trennend zugleich ist die Vielfalt der Küstenlandschaft Dalmatiens und der vorgelagerten Inselwelt. In der "großen Bucht" drückt sich dieser Charakter in besonderem Maße aus. Wie ein Fjord schneidet das Meer in die düstere Zone des Schwarzen Gebirges (Montenegro), schafft enge Durchgänge und weitet sich in drei großen Buchten aus. Im Kon-trast zur düsteren Bergwelt gedeiht in den schmalen Uferstreifen eine üppige tropische Vegetation.

Etwa 30 Kilometer vom Meer entfernt befinden sich Stadt und Hafen Cattaro (Kotor). Hier, in der südlichsten Region der Donaumonarchie, wo das griechische Akronion und später das römische Catera lagen, wo über Generationen Piraten Unterschlupf fanden, wurde der nach Pola (Pula) wichtigste Kriegshafen der k.u.k. Kriegsmarine gebaut. Leichte Einheiten wie Kleine Kreuzer, Zerstörer, Torpedo- und Kanonenboote hatten hier ihre Stationen, ebenso deutsche und österreichische U-Boote (der wohl berühmteste österreichische U-Bootkommandant, Korvettenkapitän Baron Georg Trapp, war längere Zeit Kommandant der österreichischen U-Bootstation). Die Station der Marineflieger und die Küstenbatterien des Heeres ergänzten die Anlagen.

Überragt wird Cattaro vom gewaltigen Massiv des Lovcen (1750 Meter Seehöhe), auf dem die Montenegriner eine stark armierte Befestigungsanlage mit Beobachtungsstation errichtet hatten. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs verursachte der Beschuss durch montenegrinische und französische Artillerie vom Lovcen aus beträchtlichen Schaden an Schiffen und Hafenanlagen. Mit dem schweren Artilleriefeuer eines österreichischen Kriegsschiffes, das im Hafen von Cattaro künstlich gekrängt worden war, konnte die Festung auf dem Lovcen zerstört und der Gegner zum Rückzug gezwungen werden.

Verhandlungen mit Aufständischen

Etwa 3000-3500 aufständische Matrosen werden in den einschlägigen Berichten geschätzt. Das war zwar nicht die Mehrheit der Schiffsbemannungen insgesamt, aber doch eine starke, bewaffnete und dadurch äußerst gefährliche Macht. Der ruhigen Beurteilung der Lage durch Konteradmiral Oskar Hansa, dem Kommandanten der im Hafen liegenden Kreuzerflottille, war es zu verdanken, dass auf radikale Maßnahmen zur Unterdrückung des Aufstandes verzichtet wurde und so ein Kampf mit vermutlich hohem Blutzoll vermieden werden konnte.

In den Gesprächen, die der Admiral mit den Vertretern der Aufständischen führte, wurden deren Forderungen präzisiert: Beendigung des Krieges und Friedensverhandlungen, Entlassung in die Heimat, gleiche Verpflegung wie die der Offiziere. Als eigentlicher Betreiber des Aufstandes deklarierte sich ein Seefähnrich der Reserve aus Tschechien. Dieser betonte wiederholt, dass die Gewalt über die Schiffe bei den Aufständischen bleiben würde, bis eine entsprechende Reaktion auf diese Forderungen erfolgt sei. Im Falle eines feindlichen Angriffes würden sie aber die Gewalt über die Schiffe an die Offiziere zurückgeben und die Bereitschaft zum Kampf gegen den Feind unvermindert beweisen.

Aufrufe an die Politiker in der Heimat sowie die Schiffsbemannungen in anderen Häfen blieben ohne Resonanz oder kamen über die üblichen Informationswege erst gar nicht durch. Der Aufstand begann im Laufe des zweiten Tages allmählich zu bröckeln. Die daran nicht beteiligten Matrosen (deutschsprachige Österreicher, Ungarn, aber auch größere Gruppen von Kroaten) trugen durch Gespräche mit ihren Kameraden viel zur Entspannung bei. Arg in Bedrängnis aber kamen die Meuterer, als nun scharfe Gegenmaßnahmen vorbereitet und angekündigt wurden. Schiffe mit den Aufständischen würden beschossen und versenkt werden, die Küstenbatterien ihre Kanonen auf die Schiffe richten, große Kampfschiffe von Pola aus in Marsch gesetzt werden.

Am 3. Februar um 10 Uhr war der Aufstand beendet. Die roten Fahnen wurden eingezogen, auf den Schiffen wurde wieder die österreichische Kriegsflagge gehisst. Der tschechische Seefähnrich hatte sich bereits abgesetzt und war mit zwei Fliegerunteroffizieren, die er zur Flucht überreden konnte, per Flugzeug nach Italien unterwegs.

Die Urteile des Kriegsgerichtes waren hart, aber doch - so schwer diese Formulierung auch fällt - von Maßhalten bestimmt. Vier verantwortliche Anführer der Meuterei wurden zum Tode verurteilt und erschossen; vier weiteren wurden schwere Kerkerstrafen auferlegt. Eine große Gruppe, als Mitläufer qualifiziert, wurde den zivilen Gerichten übergeben. Viele von ihnen erfuhren Begnadigung durch den Kaiser. Im so-zialistischen Jugoslawien nach 1945 wurden die hingerichteten Anführer der Meuterei von Cattaro als Helden verehrt.

Neubesetzung der Flottenführung

Die durch die Meuterei entstandenen Defizite konnten relativ rasch ausgeglichen werden. Es gab zwar praktisch keine weitere Belastung für die Kriegsführung der Flotte; aber die Sorge um die Weiterentwicklung war spürbar.

Bezeichnend dafür sind vor allem die personellen Maßnahmen in der obersten Etage. Nach Großadmiral Anton Haus, der im Fe-bruar 1917 an Bord seines Flaggenschiffes "Viribus Unitis" gestorben war, folgte in allen Funktionen der obersten Leitung der aus Kroatien stammende Admiral Maximilian Njegovan ("gemächlich Vorgehen" dürfte sein Arbeitsmotto gewesen sein). Nach den Ereignissen von Cattaro musste er in Pension gehen.

Kaiser Karl I. berief nun den relativ jungen Linienschiffskapitän Nikolaus (Miklos) Horthy de Nagybanya als Flottenkommandant. Horthy war ein knappes Jahr zuvor durch den Erfolg im Seegefecht bei der Otranto-Sperre, in dem er schwer verwundet worden war, hervorgetreten. Seine Beförderung zum Konteradmiral außerhalb der üblichen Reihe kam einer Sensation innerhalb der streng hierarchischen Ordnung des Beamtenstaates gleich.

Die Gesamtstruktur des Marinekommandos war nun äußerst kompliziert. Der Kaiser selbst übernahm den Oberbefehl, dem ein "Admiral zur Disposition beim allerhöchsten Oberbefehl" beigegeben wurde. In der Marinesek- tion des Reichskriegsministeriums mit Sitz in Wien verblieben sämtliche Verwaltungs- und Budgetangelegenheiten. Das Flottenkommando selbst behielt seinen Sitz in Pola, der Flottenkommandant musste jeweils bei größeren Aktionen die Zustimmung der genannten obersten Stellen einholen. Dadurch schienen die wesentlich älteren Admirale einigermaßen beruhigt worden zu sein.

Die Gönnerschaft des Kaisers bzw. des Königs von Ungarn hatte Horthy, der noch kurz vor Ende des Krieges zum Vizeadmiral befördert wurde, in diese höchst verantwortungsvolle Position gebracht. Drei Jahre später verwehrte der ungarische Reichsverweser Nikolaus Horthy seinem Gönner die Rückkehr auf den ungarischen Königsthron.