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"Freudentaumel" über Ephesos

Von Eva Stanzl

Wissen
Sabine Ladstätter will ab heuer den Tempel der Artemis weiter erforschen.

Österreich darf die Grabungen in der antiken Stadt wieder aufnehmen. Grabungsleiterin Sabine Ladstätter über die Pläne 2018.


Wien. Österreichs Archäologen dürfen die Grabungen in der antiken Stadt Ephesos wieder aufnehmen. Das gaben Außenministerin Karin Kneissl und ihr türkischer Amtskollege Mevlüt Cavusoglu am Donnerstag überraschend in Istanbul bekannt. Im September 2016 hatte die Türkei dem Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) seine seit 120 Jahren bestehenden Grabungs-, Konservierungs- und Restaurierungslizenz aufgekündigt. Als Reaktion auf die ultimative Forderung Österreichs, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen, musste das Team das Grabungshaus binnen 48 Stunden verlassen.

ÖAI-Chefin Sabine Ladstätter reagierte im Telefonat mit der "Wiener Zeitung" am Freitagnachmittag erfreut. Sie gab Einblick in ihre Pläne für das Unesco-Weltkulturerbe 2018. Ephesos ist eine der ältesten, größten und bedeutendsten Städte Kleinasiens, die mit dem Tempel der Artemis eines der Sieben Weltwunder beherbergte.

"Wiener Zeitung": Seit Herbst 2016 sind Sie um die Erneuerung der Grabungsgenehmigung bemüht. Wo waren Sie, als Sie die gute Nachricht erfahren haben?Sabine Ladstätter: Ich war am Donnerstag in den Vereinigten Arabischen Emiraten, um dort ein neues Projekt zu initiieren. Ich befand mich gerade in der Abschlussbesprechung mit dem österreichischen Konsul, der kurz ins Internet blickte. Da ich keine Brille dabei hatte, las er mir die gute Nachricht vor - wenn ich ganz ehrlich bin, kamen mir die Tränen. Es ist eine echte Erleichterung. Dann riefen auch schon meine Mitarbeiter aus Wien an - Freudentaumel.

War die Entscheidung denn so gar nicht absehbar?

Nicht jetzt. Vor Weihnachten sagte mir die Außenministerin zwar, dass Ephesos ihr ein persönliches Anliegen sei und dass sie dafür einstehen werde. Auch der türkische Botschafter in Wien wirkte zurückhaltend optimistisch. Ich dachte jedoch, eine Entscheidung würde frühestens im April oder Mai fallen.

Warum der Sinneswandel?

Ich habe heute Nacht kaum geschlafen, weil ich mir die ganze Zeit überlegt habe, warum das jetzt so schnell gegangen ist. Meines Wissens nach war die Antikendirektion in Ankara immer dafür, dass wir weiter in Ephesos arbeiten. Auf türkischer Seite setzte zudem ein Diskussionsprozess ein, der dahin ging, dass es (die Reaktion auf Österreichs Forderung, die EU-Beitrittsverhandlungen abzubrechen, Anm.) die Falschen getroffen hatte.

War es schwierig für die Türkei, eine neue Grabungsleitung zu finden?

Fachlich gesehen wäre es nicht schwierig gewesen. Aber von den türkischen Kollegen hat niemand die Leitung angenommen, weil sie sich mit uns solidarisch erklärten - möglicherweise führte auch das zu einem Umdenken auf politischer Ebene.

Generell stehen die Zeichen in der Türkei eher auf Einschränkungen für die Wissenschaften. Hat man die Freiheit, einen Auftrag nicht anzunehmen?

Das ist eine ganz schwierige Frage. Ich denke jedoch, dass der Sektor Archäologie weniger im politischen Fokus liegt. Außerdem könnte sich die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass die Qualität unserer Grabungen so hoch war, dass alles andere nur zum eigenen Schaden wäre. In der Türkei spielt auch die Tradition eine große Rolle. Der Aspekt, dass ich Teil der türkischen Kommission bei der Unesco zur Aufnahme ins Weltkulturerbe war, könnte Gewicht gehabt haben.

Wann fliegen Sie nach Ephesos?

Ich möchte so bald wie möglich dort sein, um meine Kollegen zu umarmen, die quasi die Statthalterschaft gemacht haben.

Was erwarten Sie vorzufinden, nachdem die Grabungssaison 2017 ausgefallen ist?

Uns erwartet jede Menge Arbeit, um unsere über viele Jahre aufgebauten Strukturen wieder in Gang zu bringen. 30 bis 50 freiberufliche Restauratoren mussten sich nach etwas anderem umschauen. Privatsponsoren sind stark verunsichert, wir müssen wieder Vertrauen aufbauen. Etwa hätten wir für den Wiederaufbau des Serapeion (eine der best-erhaltenen Tempelanlagen aus dem 2. Jahrhundert, Anm.) bereits einen Sponsor gehabt. Nun muss ich fragen, ob er noch Interesse hat. Wir müssen eine Bestandsaufnahme im Depot machen, denn wir mussten das Grabungshaus überfallsartig verlassen. Der Zustand von Funden aus Eisen oder Bronze, die zwei Jahre lang ohne Schutz lagen, ist möglicherweise katastrophal. Es ist ein bisschen, als würde man eine Wohnung zwei Jahre nicht betreten.

Welche Pläne haben Sie 2018?

Ich möchte zunächst die Brunnen-Grabungen im byzantinischen Sektor fortsetzen. Ein großes Zukunftsprojekt ist jedoch die Erforschung des Tempels der Artemis. Wir wollen uns der römischen Geschichte des Heiligtums widmen, die praktisch unerforscht ist. Das Artemision in römischer Zeit muss man sich wie eine kleine Stadt vorstellen. Es ist ein ummauerter Bezirk, in dem es Wohnhäuser gab, in denen Menschen Asyl bekamen, und es alles gab, was der antike Mensch brauchte: kleine Theater, mehrere Tempel, Hallen und Banketthäuser. In literarischen Quellen gibt es Beschreibungen, aber da das Artemision sieben Meter unter der Erde liegt, ist davon kaum etwas bekannt. Wir werden versuchen, mit modernen geophysikalischen Methoden und gezielten Bohrungen die Ausmaße des Areals zu erfassen und einzelne Gebäude zu finden.

Welche anderen Projekte haben Sie in der Zeit ohne Ephesos in Angriff genommen?

Es war sicher die herausforderndste Zeit meines Lebens, weil ich mein Team weiterführen und vor allem jüngeren Kollegen Schienen bauen musste, dass ihre Karrieren nicht beschädigt würden. Dissertationen waren zu zwei Drittel geschrieben. Eine neue anzufangen, ist ein Verlust von vier Jahren, was in der Wissenschaftswelt, wo Beantragungen für Stipendien nur bis 35 Jahren möglich sind, die Karriere beendet. Wir mussten die Fragestellungen so ändern, dass Aufenthalte vor Ort nicht nötig sind. Und wir mussten zwei Forschungspläne machen - einen mit und einen ohne Ephesos. Daher haben wir neue Projekte begonnen - etwa in der hellenistisch-römischen Stadt Trogir in Kroatien.