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Von Bastia ins Nirgendwo

Von Susanne Schaber

Wissen
"Sicherlich bin ich der älteste Kampfflieger der Welt...": Antoine de Saint-Exupéry
© ullstein bild/Roger-Viollet/Albert Harlingue

Der rätselhafte letzte Flug des Antoine de Saint-Exupéry. Erkundungen auf Korsika.


Dear Mr. Eisenhower. Schon wieder eine dieser unsäglichen Interventionen. Dieser Saint-Exupéry ist hartnäckig. Eigentlich war er ausgemustert, zu alt fürs Cockpit, zu lange draußen aus dem Geschäft. Doch Washington hat ihm via Sondergenehmigung gestattet, wieder zu fliegen. Was aber nicht heißt, dass man ihn nun auch an den Steuerknüppel der brandneuen Maschinen lässt.

In der Lockheed P-38 Lightning, dem technisch wendigsten Aufklärer der US-Luftstreitkräfte, sitzen bestens trainierte, körperlich fitte Typen in ihren Zwanzigern. Älter als dreißig dürfen sie für derlei heikle Einsätze nicht sein, so die offiziellen Vorgaben. Und nun kommt dieser Saint-Exupéry daher und glaubt, er könne mit den jungen Burschen mithalten, ein 43-jähriger, etwas dicklicher Mann ohne jede Erfahrungen mit der P-38. Was also machen mit einem Kerl, der dafür brennt, gegen den Faschismus in den Krieg zu ziehen?

Hafenstadt Bastia: Letzte Spur des Piloten Saint-Exupéry.
© gemeinfrei

Die USA bleiben skeptisch. Die Zeit eines Saint-Exupéry scheint vorbei. Doch der alternde Held will nicht abtreten. Dwight D. Eisenhower, Oberbefehlshaber der alliierten Truppen bei der Landung in Sizilien, befiehlt seinem Team, Informationen einzuholen:

Antoine de Saint-Exupéry, 1900 in Lyon geboren, französischer Staatsbürger. Pilot, Journalist und weltberühmter Autor. Abenteurer, einige Versuche, Langstreckenflüge durchzustehen, etliche Abstürze. Reporter im Spanischen Bürgerkrieg. Wurde bei Kriegsausbruch 1939 zur Armée de l’air eingezogen, wo er Piloten ausbildete und Erkundungsflüge für die Aufklärungsstaffel II/33 unternahm. Exil in den USA seit 31. Dezember 1940. Abreise nach Nordafrika im April 1943.

Antoine de Saint-Exupéry ist nicht zu bremsen, das weiß man. "Die Intellektuellen halten sich in Reserve wie Marmeladetöpfe auf den Regalen der Propaganda, um nach dem Krieg aufgegessen zu werden", hat er in seinem Roman "Flug nach Arras" gespottet. Das würde ihm nicht passieren. Im Juni 1943 ist er zu den wenigen noch verbliebenen Kameraden von der früheren II/33 gestoßen. Das Geschwader wird Ende des Monats von Marokko nach Algerien verlegt.

Als die USA dort ihre P-38 präsentieren, sind die Piloten begeistert. Auch Saint-Exupéry, inzwischen zum Kommandanten befördert, will unbedingt an Bord. Wie es wirklich um ihn steht, verheimlicht er: Er ist psychisch und physisch ein Wrack, sein Körper von Unfällen und Abstürzen lädiert, seine Seele von Depressionen gebeutelt.

"Ich habe so viele Unfälle erlebt", hat er seiner Frau Consuelo kurz vor der Abreise nach Afrika geschrieben. "Ich kann nicht einmal mehr mit dem Fallschirm abspringen. Meine Leber ist an zwei von drei Tagen blockiert und an einem von zwei Tagen bin ich seekrank. Ein Ohr brummt seit einem Knochenbruch in Guatemala Tag und Nacht. [. . .] Ich fühle mich so schwach, so ungeheuer schwach. [. . .] Ich gehe nicht, um zu sterben. Ich gehe, um zu leiden und so mit den Meinen zu kommunizieren. Ich habe nicht den Wunsch, mich töten zu lassen, aber ich akzeptiere sehr gerne, so einzuschlafen."

Antoine de Saint-Exupéry bemüht sich hartnäckig, die Erlaubnis für das Flugtraining auf der P-38 zu erwirken. Eisenhower sei von den Eingaben und Vermittlungsversuchen durch in Algier stationierte französische Militärs so genervt gewesen, erzählt man sich, dass er schlichtweg explodierte, als man ihn neuerlich damit bedrängt: "This Frenchman is driving us crazy. Reenlist him! With luck he’ll bother us less in the air than on the ground." Kann man das verantworten? Außergewöhnliche Maßnahmen für eine außerordentliche Persönlichkeit, befindet Eisenhower. Bewilligung erteilt.

Am 21. Juli 1943 fliegt Antoine de Sainte-Exupéry von Tunesien aus einen ersten wichtigen Einsatz mit der P-38 und liefert gutes Fotomaterial aus Südfrankreich: ein erfolgreicher Start. Am 1. August muss er eine Mission wegen eines Motordefekts abbrechen. Er setzt unglücklich auf und hat Probleme mit den Bremsen. Der Flug endet in einem Olivenhain. Kurz darauf erreicht ihn die Nachricht, dass ihn die Amerikaner mit einem Flugverbot belegt haben. Aus der Traum.

Antoine de Saint-Exupéry reist nach Algier, frustriert und enttäuscht. Während er zum Warten verurteilt ist, beobachtet er, wie die Alliierten weiter vorrücken. Sie haben auch Korsika im Visier.

Wir gehören zu Frankreich: Eine ungewöhnliche Wendung in der Geschichte der Insel. Als Mussolini Ansprüche auf Korsika anmeldete, zogen 1938 Tausende von Menschen durch die Straßen von Bastia, um sich gegen die Vereinnahmung durch den Duce zu wehren. "Im Angesicht der Welt schwören wir aus ganzem Herzen, auf unsere Ehre, auf unsere Gräber, auf unsere Wiegen, als Franzosen zu leben und zu sterben", so der Text des berühmt gewordenen Eids von Bastia.

Aus Angst vor drohenden Repressionen, denen man sich ausgeliefert sah, schloss man sich mit dem einstigen Gegner zusammen: Festlandfranzosen und Korsen sahen dem Faschismus gemeinsam ins Auge. Im Juni 1940 flogen die Italiener Angriffe auf korsische Häfen, Flugplätze, Städte und Dörfer: zum Glück sehr ungeschickt und ohne größere Schäden zu verursachen. Man einigte sich in einem Waffenstillstand, dass die Insel nicht besetzt werde.

Eine italienische Abordnung ließ sich in Ajaccio nieder, Arisierungen und Verhaftungen innerhalb der jüdischen Gemeinde blieben aus: Ein einziger Mann wurde denunziert, und das von einem Beamten aus Paris. "Il n’était pas Corse", wie man im Musée de la Résistance in Zonza festhält: Der Satz ist mit gleich drei Rufzeichen versehen.

In Korsikas versteckten Buchten legten Schiffe an, die den Widerstand mit Waffen versorgten.
© © Karl Mühlberger

Auf die Nachricht, dass die Alliierten in Nordafrika eingetroffen sind, reagierte Italien mit der Okkupation Korsikas. Die Auflehnung gegen die fremden Soldaten trieb nun immer mehr Menschen in den Widerstand. Die Front National de lutte pour l’indépendance de la France erhielt Zulauf von Korsen aller politischen Richtungen.

Man wusste um die Gefahren für Leib und Leben: Danielle Casanova war Anfang 1943 nach Auschwitz gebracht worden, wo man sie ermordete. Die als Vincentella Perini in Ajaccio geborene Kommunistin war in Paris sehr engagiert für die Résistance tätig geworden und darin ein Vorbild und eine Identifikationsfigur für die korsischen Widerstandkämpfer.

Die Nachricht erschütterte ihre korsischen Mitstreiterinnen und Mitstreiter und stachelte sie weiter gegen die Italiener auf. Fred Scamaroni, der für de Gaulles Geheimdienst tätig war, reiste unermüdlich durch die Dörfer, um ein Netz aufzubauen. Als ihn die Ita-liener im März 1943 festnahmen und in der Zitadelle von Ajaccio grausam folterten, blieb er standhaft. "Ich habe nichts verraten. Es lebe de Gaulle, es lebe Frankreich", schrieb er mit Blut an die Zellenmauern, ehe er sich tötete: ein Held, den Korsika bis heute feiert. Ihm folgte Paulin Colonna d’Istria, ein gebürtiger Korse auch er. Ihn schickte man von Algier mit dem Auftrag in seine Heimat Korsika, ein Spionagenetz aufzubauen und die Mitglieder des Widerstands zu einen. Mit dem in Algier stationierten U-Boot Casabianca wurden an verschiedenen Punkten entlang der Küste Waffen, Munition, Radiogeräte und Elitesoldaten an Land geschmuggelt und auf die Zellen verteilt.

Mit dem Sturz Mussolinis und dem Vorrücken der Alliierten in Sizilien dramatisierte sich die Lage. Hitler entsandte eine Abordnung der "Sturmbrigade Reichsführer SS", aus Sorge, Korsika könnte als Stützpunkt für die Invasion des Festlands dienen. Dem sollte sich die Wehrmacht entgegen stellen. In der Bevölkerung wuchs die Angst vor stärkeren Aggressionen. Die Front National entschied, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen: Die Befreiung der Insel müsse ein Werk der Korsen sein, befand sie, und ignorierte damit die offiziellen Direktiven, die Ankunft der Alliierten abzuwarten und sich deren Befehlen und Strategien unterzuordnen.

Einen Tag nach Unterzeichnung des Waffenstillstands zwischen den anglo-amerikanischen Alliierten und Italien am 8. September 1943 rief man den Volksaufstand aus und setzte die Vichytreuen Bürgermeister ab. Ajaccio war noch am gleichen Abend befreit, die Gefechte um das restliche Korsika dauerten vier Wochen. Besonders die Schlacht um Bastia und dessen Hafen wurde aufreibend, die Stadt blieb nach dem Abzug der Wehrmacht schwer beschädigt und zerstört zurück.

Am 4. Oktober 1943 war Kor- sika frei. Wenig später landete General de Gaulle auf der Insel. In einer legendären Rede in Ajaccio feierte er Korsika als erste Region des befreiten Frankreich: Korsen und Franzosen lagen einander in den Armen, ein historischer Moment.

Der Poet als Kampfpilot

Die Freude und die Trauer um die großen Verluste einte die früheren Kontrahenten - zumindest für kurze Zeit. Es gab knapp tausendachthundert Tote und Hunderte Verwundete auf beiden Seiten: so die Zahlen der korsischen Behörden. Auch der Widerstand hatte zahlreiche Opfer gefordert, wie sich nach Ende des Zweiten Weltkriegs herausstellen sollte: 37 Korsen wurden hingerichtet, 465 in italienischen Gefängnissen festgehalten, etliche von ihnen - und darüber gibt es keine exakten Daten - in deutschen Konzentra-tionslagern ermordet.

In jenen Monaten, da sich Korsika in der Freiheit einrichtet und die Alliierten die dortigen Flugplätze in Besitz nehmen, um die Landung in der Provence vorzubereiten, quält sich Antoine de Saint-Exupéry in Algier durch die Tage. Er arbeitet am Manuskript für "La Citadelle", ein Konvolut an Meditationen, Gebeten, Bildern und Gesprächen.

Zugleich hält er an seinem Traum vom Fliegen fest und sucht unbeirrt um die Erlaubnis an, bei den Vorbereitungen für die Landung in Korsika und in der Provence mitwirken zu dürfen. Und wieder ist er so hartnäckig mit seinen Interventionen, dass man ihn neuerlich einrücken lässt. Die Amerikaner beschäftigen regelmäßig französische Piloten, weil man hofft, dass diese bei den Aufklärungsflügen besser mit den geographischen Gegebenheiten zurechtkommen können als ihre amerikanischen Kollegen, die die Provence und das Hinterland nur vom Kartenmaterial her kennen.

Am 16. Mai 1944 reiht sich Antoine de Saint-Exupéry in den Kreis seiner Kameraden von der Staffel II/33 ein, die inzwischen im sardischen Alghero stationiert ist, und beginnt mit dem Training auf der P-38 Lightning. Im Juni - die alliierten Truppen nähern sich dem Arno, die Invasion in der Normandie ist geglückt - fliegt er einige Einsätze im Süden Frankreichs. Am 29. Juni steuert er auf dem Rückweg von Grenoble den Flughafen von Borgo-Bastia an: Die Tour war ein Geburtstagsgeschenk seines Vorgesetzten, Kapitän René Gavoille, der ihm den Flug überlassen hat. Mitte Juli wird die gesamte Staffel II/33 nach Korsika verlegt.

Zum Gärtner geschaffen

Saint-Exupéry bezieht ein Zimmer in der Villa Beausoleil nahe Erbalunga, etwa fünfzehn Kilometer nördlich von Bastia. Dort kommt es zu einer folgenschweren Begegnung mit René Gavoille, von dem er sich einen Freundschaftsdienst erbittet. Er möge seinen kleinen Schweinslederkoffer an sich nehmen und in Sicherheit bringen, so Saint-Exupéry, und diesen, falls ihm etwas zustoßen würde, einem Freund in Algier übergeben. Gavoille ist irritiert: Hat Antoine Todesahnungen? Neben Fotos und Briefen enthält der Koffer das Manuskript seines Buches "La Citadelle".

Für den 31. Juli ist ein weiterer Erkundungsflug vom Aéroport Borgo ins Alpengebiet von Annecy und Grenoble geplant. "Ich widme mich, so gut es geht, meinem Kriegsdienst", resümiert Saint-Exupéry in einem seiner letzten Schreiben. "Sicherlich bin ich der älteste Kampfflieger der Welt. [. . .] Sollte ich abgeschossen werden, werde ich nicht das geringste Bedauern empfinden. Mir graut vor dem Termitenhaufen in der Zukunft. Und ihre Robotermentalität ist mir verhasst. Ich bin zum Gärtner geschaffen."

Am 30. Juli isst Saint-Exupéry mit etlichen seiner Kameraden im Restaurant Les Sablettes in Miomo zu Abend. Die Stimmung ist aufgeräumt. Von dort zieht er in die Bars von Bastia weiter. Spürt er, dass sein letztes Abenteuer bevorsteht, wie seine Vorgesetzen entschieden haben? Er weiß zu viel. Piloten, die im Besitz von derart geheimen Informationen sind, gelten als so gefährlich und zugleich gefährdet, dass ihnen Flüge über das feindliche Gebiet nicht mehr gestattet sind. Also will man ihn noch einmal in die Luft lassen und danach als Flieger in Rente schicken.

Mythos & Projektion

Wo Antoine de Saint-Exupéry die Nacht verbracht hat, bleibt ein Geheimnis. Sein Bett ist unberührt. Am Morgen ist er zeitig im Dienst, frühstückt und klemmt sich schließlich ins Cockpit der P-38 Lightning F5B: eine zweimotorige Maschine, nicht die Jagdversion, sondern ein unbewaffneter Aufklärer. Die Kanonen sind durch Kameras ausgetauscht. Für den Pilot bedeutete dies, dass er sich nicht verteidigen kann und der Wendigkeit des Flugzeugs und der außerordentlichen Steigkraft vertrauen muss.

Zwischen 8.15 und 8.45 hebt Commander Antoine de Saint-Exupéry ab und nimmt Kurs auf die Nordspitze von Cap Corse. Nach fünfundzwanzig Minuten stellt die Radarüberwachung fest, dass er die französische Küste überflogen hat, um 10.30 reißt die Verbindung ab. Für die Fotoaufnahmen hat man etwa vier Stunden veranschlagt. Als Saint-Exupéry um 13.00 noch nicht zurück ist, bittet ihn der Funkoffizier der Bodenstation um dringende Kontaktaufnahme. Vergeblich. Die Radarstation meldet, dass keine Maschine in den Luftraum der Alliierten eingedrungen ist. Um 14.30 scheint klar: Die P-38 wird wohl zu Boden gegangen sein, der Treibstoff ist aufgebraucht. "Pilot did not return and is presumed lost . . . No pictures."

Das Verschwinden des Antoine de Saint-Exupéry bleibt myste-riös: keine Spuren eines Absturzes, kein Wrack. Am 8. September 1944 wird er für tot erklärt. Sein Schicksal avanciert zum Mythos und zur Projektionsfläche für absurde Phantasien. Saint-Exupéry habe sich in den Selbstmord geflüchtet, heißt es, er habe sich zu italienischen Partisanen abgesetzt, sei in der Schweiz untergetaucht und lebe unerkannt in einem Kloster.

Am 7. September 1998 bricht ein Fischer von Marseille aus zur Île de Riou auf. Als er seine Netze einholt, findet er darin ein Stück Metall. Er säubert es und entdeckt unter der Schmutzschicht ein Armband mit einer Plakette. Sie trägt die Namen von Antoine de Saint-Exupéry und seiner Frau Consuelo.

Frankreich ist in Aufregung. Nun beginnt man, nochmals nach dem Wrack zu tauchen. Im Jänner 2000 werden Teile des abgestürzten Flugzeugs geortet und identifiziert. Ein deutscher Jagdflieger behauptet Jahre später, die P-38 Lightning abgeschossen zu haben. Doch wieso war Saint-Exupéry in der Gegend von Marseille unterwegs, also weit weg von der eigentlich geplanten Route? Das Geheimnis verschließt sich.

"Es wird aussehen, als wäre ich tot", hat der Kleine Prinz versichert, "und das wird nicht wahr sein. . ." Und ist es nicht. Irgendwo, über den Wolken von Korsika, könnte er sein. Das Paradies liegt von dort nur einen kleinen Schritt entfernt. Die Leiter steht bereit.

Der Text ist dem Band "Korsika" entnommen, der am 19. Februar im Wiener Verlag Picus in der Serie Lesereisen erscheint.
Susanne Schaber, Studium der Germanistik und Anglistik in Innsbruck; lebt als Literaturkritikerin und Reiseschriftstellerin in Wien. Bücher u.a. über die Provence, Island und die Wiener Kaffeehäuser.