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Die Leuchtkraft des Geistigen

Von Ingeborg Waldinger

Wissen

Volker Weidermanns faszinierendes Buch "Träumer".


Es war eine Revolution von Schöngeistern - voller Ideale, aber ohne Masterplan. Die Grauen des Großen Kriegs, die Volksferne der alten Machthaber wiesen in eine dunkle Zukunft. Es bedurfte einer Radikalwende. Sie kam in München, drei Tage vor Ende des Ersten Weltkriegs: In der Nacht zum 8. November 1918 suchte Bayernkönig Ludwig III. samt Familie das Weite, nachdem ein Theaterkritiker ihn abgesetzt, das Land zum (sozialistischen) Freistaat erklärt und sich selbst auf den Landesthron gehievt hatte; mühelos, unblutig. Kurt Eisner war sein Name.

"Träumer" heißt das Buch, in dem der renommierte Literaturkritiker Volker Weidermann die Episode dieser Sozialutopie in Szene setzt: kenntnisreich, atmosphärisch dicht, perspektivisch breit.

Eisner hat "seine Weltsekunden gehabt", doch nach nur drei Monaten wird der "Volkskönig ohne Volk" erschossen, von einem völkisch Gesinnten. Auf das Machtvakuum folgt die Münchner Räterepublik unter Ernst Toller (der überlebt), dann Eugen Leviné (er wird hingerichtet). Anfang Mai 1919 setzt die Reichswehr dem Traum ein gewaltsames Ende.

Weidermann lotet die Traumwelten der Ära aus, in all ihrer Brisanz: Neben den Dichter-Revolutionären, die an der Ummünzung der "Leuchtkraft des Geistigen" in Politik scheiterten, holt er Oskar Maria Graf, Rilke, Thomas und Klaus Mann ins Bild. Und Hitler. Sie alle waren in München zugegen. - Ein Wimpernschlag der Geschichte, faszinierend erzählt.

Volker Weidermann
Träumer. Als die Dichter die Macht übernahmen
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2017, 288 Seiten, 22,70 Euro.