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Was den Menschen ausmacht

Von Eva Stanzl

Wissen
© Fiddes et al./Cell

Wie ist unser Gehirn so groß geworden? Eine Gen-Familie könnte der Treiber sein.


Wien. In bloß 500 Generationen entwickelte sich der moderne Mensch von der Steinzeit über die Renaissance bis zur Industrierevolution, zu Internet, Smartphones und Weltraumforschung.

Die Forscher streiten, ob diese Leistung der Größe unseres Gehirns, seinem Volumen, seiner Struktur oder dem Zusammenspiel aller drei Faktoren zu verdanken ist. Einigkeit herrscht jedoch dazu, dass die Evolution des Gehirns in den vergangenen drei Millionen Jahren entscheidend war für die Fähigkeit zu denken, Probleme zu lösen und Zivilisationen zu entwickeln. Über die genetischen Veränderungen, die dazu führten, war bisher jedoch wenig bekannt. Da wir 99 Prozent unseres Genoms mit unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, teilen, ist diese Suche eine gewaltige Aufgabe. Zwei US-Forschungsteams sind dem, wie sie sagen, "Heiligen Gral der Wissenschaft" nun nachgegangen. Dabei entdeckten sie, dass eine Gen-Familie mit dem wenig klingenden Namen NOTCH2NL eine wichtige Rolle spielt. Sie könnte gar der Treiber für die Gehirngröße sein.

NOTCH2NL-Gene verlangsamen den Prozess, in dem sich Hirn-Stammzellen zu Nervenzellen entwickeln. Das hat zur Folge, dass im Laufe der Gehirnentwicklung mehr Nervenzellen entstehen. Das Team um David Haussler von der Universität Kalifornien in Santa Cruz und vom Howard Hughes Medical Institute konnte die Genfamilie ausschließlich im Menschen nachweisen. Sie sitzt in einem Teil unseres Genoms, der auch bei Störungen der Gehirnentwicklungen aktiv ist.

"Unsere Gehirne sind drei Mal so groß wie die von Primaten, da beim Menschen bestimmte Regionen der Hirnrinde einfach gewachsen sind", betont Haussler in einer Aussendung zu der im Fachmagazin "Cell" veröffentlichten Studie. "Es gibt kaum eine spannendere Frage, als jene nach den Entwicklungsschritten, die uns zu dem gemacht haben, was wir heute sind."

Die Forschenden verglichen die Genexpressionen im Zuge der Hirnentwicklung in Stammzell-Modellen von Menschen und Makaken. NOTCH2NL fanden sie nur in den menschlichen Labor-Modellen. In weiteren DNA-Vergleichen konnten nur inaktive Versionen der entscheidenden Gene nachgewiesen werden - und zwar bei unseren nächsten Verwandten, Gorillas und Schimpansen. Als das Team die Evolutionsgeschichte von NOTCH2NL rekonstruierte, entdeckte es, dass es sich dabei um eine rekonstruierte Version eines Vorgänger-Gens namens NOTCH2 handelt. Die nötigen Reparaturarbeiten wurden vor drei bis vier Millionen Jahren vollzogen. Der älteste fossile Nachweis für Gehirnwachstum bei Vorfahren des Homo sapiens zählt ähnliche viele Jahre.

Bis zu seiner Abspaltung vom Neandertaler erneuerte sich NOTCH2NL noch mindestens zwei Mal durch Duplikation, berichtet das zweite Forschungsteam um Pierre Vanderhaegen von der Freien Universität Brüssel. "Um evolutionäre Schritte zu erklären, untersuchen Entwicklungsbiologen Veränderungen in der Genregulierung", sagt er. "Da wir Menschen aber viele Gene selbst mit Würmern teilen, schauen wir weniger die Gene als die Gen-Duplikation an, die neuen Genen führen können und das Auftauchen typisch menschlicher Charakteristika begünstigen."

Die Forscher entdeckten eine ganze Reihe duplizierter Gene, die die Evolution der Hirnrinde beim Menschen beförderten. "Spannend wird es sein, zu untersuchen, ob sie auch zu anderen Aspekten der Hirnentwicklung beitragen", sagt Vanderhaegen.