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Adel im Widerstand

Von Manfried Welan

Wissen
© WZ-Illustration: Martina Hackenberg

Ein Österreicher und ein Deutscher gegen das NS-Regime: Freiherr von Spitzenberg und Graf von Stauffenberg.


Beide gaben für ihre Ideale ihr Leben hin. Der eine starb am 1. August 1938 im Konzentrationslager Dachau an den Folgen von Misshandlungen, der andere am 21. Juli 1944 im Hofe des Bendlerblocks in Berlin durch ein Erschießungskommando.

Stauffenberg starb mit den in das Kommando hinein geworfenen George-Worten "Es lebe das geheime Deutschland". Nach anderen Quellen mit den Worten: "Es lebe das heilige Deutschland!"

Zeßner hatte auf die Frage des Lagerkommandanten von Dachau, ob er wisse, warum er in das KZ gekommen sei, geantwortet: "Weil ich im Glauben an Gott und an ein christliches Österreich unter Führung des Hauses Habsburg die einzige Rettung für die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit meines Vaterlandes sehe." Seine letzten Worte waren: "Nimm hin, Herr, meine Freiheit." Sie haben eine unterschiedliche Aufnahme durch die Nachwelt erlebt. Der eine wurde bald nach 1945 zum Helden und Thema vieler Abhandlungen, einiger Bücher und Filme, der andere wurde im Laufe der Zeit zum Vergessenen und Unbekannten, obwohl er ein wirklicher Österreicher im Sinne Hermann Bahrs war. Aber er war Legitimist und Habsburg-Fan.

Wegen der unterschiedlichen Rezeption wurden sie bis jetzt auch nicht verglichen. Wir versuchen diesen Vergleich: Für uns ist es auch ein Vergleich von Deutschland und Österreich, genauer ein Vergleich eines Österreichers und eines Deutschen im Kampf gegen Hitler.

Idealisten & Patrioten

Der 1901 geborene Claus Schenk Graf von Stauffenberg gehörte einer anderen Generation an als der 1885 geborene Freiherr Hans-Karl Zeßner von Spitzenberg. Stauffenberg kämpfte jahrelang für Hitler, ehe er zum Widerstandskämpfer gegen Hitler wurde, Zeßner kämpfte seit dem Aufstieg Hitlers gegen ihn.

Trotz großer Unterschiede gibt es Gemeinsamkeiten: Beide waren Aristokraten und Katholiken, beide entstammten altem Adel, aber nicht der Metropole, beide waren in guten Familien groß geworden, beide lebten familienhaft, liebten ihre Frauen, hatten mehrere Kinder, die sie liebten. Beide waren in ihrer Heimat und in ihrem Glauben tief verwurzelt. Beide waren Konservative, in mancher Hinsicht Reaktionäre. Beide waren Idealisten und Patrioten, aber ganz verschiedener Art. Citoyens waren sie nicht, auch keine Bourgeois. Sie waren sich als Adelige verpflichtet und verantwortlich. Noblesse oblige.

Beide hatten mit dem Ersten Weltkrieg ihren alten Staat verloren und einen neuen erhalten. Zeßner hatte mehr verloren und weniger erhalten. Der Verlust des Kaisers, des Vielvölkerreiches, der Monarchie und der Verlust des Hauses Habsburg, das war für ihn ein Verlust der Mitte. In der Idolatrie des Kaisers und seiner Familie baute er sie sich wieder auf. Sein Glaube half ihm, 1938 aber verlor er alles. Er war ja Österreicher durch und durch und übernational eingestellt. "Ein guter Österreicher kann nicht Nationalist sein."

Widerstand mit unterschiedlicher ideologischer Grundierung: Kaiser-Karl-Verehrer Hans-Karl Zeßner Freiherr von Spitzenberg (l.) und Stefan-George-Verehrer Claus Schenk Graf von Stauffenberg.
© DÖW, CC

Stauffenberg war Nationalist. Sein Deutschland ging ihm über alles. Aber es war nicht Hitlers Deutschland. Er hatte das alte Reich verloren. Aber es war trotz allem ein großes Land und wurde Großdeutschland.

Zeßner war Jurist, braver Staatsbeamter und Professor, Stauffenberg war tapferer Soldat, Kämpfer, Offizier. Beide waren auf ihre Art Staatsmenschen und nicht Gegner des Staates.

Zeßner dichtete, insbesondere auch Kaiser-Karl- und Otto-Preisungen, und verfasste Gebete, Stauffenberg schrieb Gedichte, sogar in Georges Handschrift. Beide hatten Idole, deren Ideen sie zu ihren Idealen machten. Zeßners Idol war Kaiser Karl, der mit ihm fast gleichaltrig war. Stauffenbergs Idol war Stefan George, der große Dichter, dessen charismatische Führerfigur mehrere Generationen junger Männer anzog und beeinflusste.

Neuheidnische Religion

Zeßner erkannte schon in den frühen Dreißigerjahren das Gottlose und Verbrecherische am Nationalsozialismus und kämpfte dagegen mit den Waffen des Geistes und durch Engagement in Institutionen. Sein katholischer Glaube und der Verlust der Vielvölkermonarchie schärften seinen Blick für das Unmenschliche und das Böse am Nationalsozialismus. Er wurzelte in der übernationalen Tradition des österreichischen Vielvölkerreiches. Deshalb wurde ihm die Problematik der neuen deutschen Staatlichkeit bewusst: Der Nationalismus ging hier einen verhängnisvollen Sonderweg und stülpte der deutschen Staatsmetaphysik eine neuheidnische Religion auf.

Stauffenberg war lange in seiner Einstellung gegenüber dem Hitlerregime loyal bis ambivalent. Er wurzelte in der Tradition deutschen Militär- und Staatsdenkens und war von Gehorsam und Pflichtbewusstsein gegenüber der jeweiligen Führung erfüllt. Soldat durch und durch, tat er auch im und für das Nazisystem seine Pflicht. Erst spät entdeckte er in der Pflichterfüllung sein Gewissen. Die Massenmorde an Juden, Kriegsgefangenen und an der Zivilbevölkerung brachten ihn zum Denken und zum Widerstand. Das aber wurde erst im Sommer 1942 wirklich aktuell.

Da war Zeßner schon vier Jahre tot. Was hätte Stauffenberg gedacht, gesagt, getan, wenn er Zeßners Schicksal gekannt hätte? Hätte er sich um den Fall angenommen? Er hätte ihn wahrscheinlich als Unfall und Zufall abgetan. Er begrüßte ja die Besetzung Österreichs durch Hitlerdeutschland.

Zeßner leistete Widerstand vor dem Fall, verbalen Widerstand, als Mann des Wortes und des Geistes. Stauffenberg brauchte lange, um den Unrechtsstaat zu erkennen; sein Pflichtbewusstsein ließ ihn Dienst machen, er leistete Widerstand erst nach dem Fall. Es war letztlich seine Ehre als Offizier und seine Familienehre, die ihm die NS-Verbrechen bewusst machten. Er war ein Mann der Tat, eine Führernatur, der seine Verantwortung durch seinen "königlichen Opfertod" - so sein Bruder Alexander Stauffenberg - erfüllte. Wie allen Männern des 20. Juli 1944 war ihm gegeben, was sonst im Krieg verwehrt war: "Die Öffentlichkeit des Martyriums". Dass es Widerstand gab - und zwar von Männern höchsten Ranges -, das war nun offenbar geworden, die Fiktion des geschlossenen, "wie ein Mann unter dem Führer stehenden Volkes" entlarvt.

Anonymes Martyrium

Zeßner war kein Führer, er war kein Mann der Tat, der seine Verantwortung bewusst durch seinen menschlichen Opfertod erfüllte. In seinem Leiden erkannte er wie sein Vorbild Kaiser Karl die Krönung seines Lebens. Ihm war die "Öffentlichkeit des Martyriums" versagt. Im Konzentrationslager herrschte Anonymität. Diese "Anonymität des Martyriums" war und blieb ein Kontrapunkt zum Massenwahn und zur Massenhysterie vom März 1938, die zu unserer "Gedächtniskultur" gehört. Der Tod Zeßners am 1. August 1938 und der anderen ersten Toten im KZ Dachau gehört noch nicht dazu.

Stauffenberg wollte mit seinem Attentat das andere Deutschland, das geheime Deutschland, das bessere Deutschland beweisen. Er wollte Deutschlands wahres Gesicht zeigen und damit in die Geschichte eingehen. Er ist auch als Held in die Geschichte eingegangen. Zeßner wollte mit seinem Leiden Österreicher sein und bleiben. Beide blieben sich bis zur letzten Konsequenz treu. Das ist ihre fortwirkende Herausforderung an die nachgeborenen und nachlebenden Deutschen und Österreicher.

Beider Tragödie bestand in ihrer Loyalität und Pflichterfüllung in und zu Diktaturen, in denen sie zum Establishment gehörten. Stauffenberg distanzierte sich zu spät von der deutschen Diktatur Adolf Hitlers, obwohl sie "hard dictatorship" war, Zeßner distanzierte sich nie von der österreichischen Dollfuss-Schuschnigg-Diktatur, weil sie ihm gegenüber Deutschland als einziges Bollwerk und als "soft dictatorship" erschien. Sie war ihm außerdem das einzige Mittel zum Zweck der Rückkehr seines Kaisers Otto, an den er noch 1937 den offenen Brief "Dem jungen Kaiser" mit der Bitte um Heimkehr schrieb:

". . . Es gibt nur mehr eine Wahl: Deine Heimkehr, Deine Thronbesteigung in Österreich, Deine Krönung des Dollfusswerkes - oder: den Verlust der österreichischen Staatsselbständigkeit, die ihr Jahrhunderte altes und bewährtes Lebensprinzip wieder haben muss: den angestammten Landesfürsten und Landesvater!"

Otto hatte ihm, dem "Baron Zeßner-Spitzenberg" noch 1938 ein "kaiserliches Telegramm anlässlich der zehnten Herausgabe des Kaiser-Karl-Kalenders" voll Dank und Anerkennung und Gottes Segen und Schutz senden lassen.

Zeßner sah die demokratische Republik tief schuldig; sie hatte Kaiser Karl und seine Familie verbannt, beraubt, gedemütigt. Er diente zwar der Republik und legte Amtseide auf sie ab. Er sah sie nicht als legitim, wohl aber als legal an. Loyal diente er sowohl der demokratischen Republik als auch der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur.

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Dem Nationalsozialismus stand Zeßner schon vor dessen Machtergreifung in Deutschland ablehnend gegenüber - und zwar grundsätzlich. Er war von jeher gegen jeden Nationalismus welcher Art immer. Das Habsburgische Vielvölkerreich war seine Tradition und Vision. Er war begeistert von der übernationalen Völkerfamilie Österreich, er war für ein europäisches Völkerreich, begründet und geführt durch das Haus Habsburg, das er schwärmerisch und abgöttisch bis zu seinem Tod verehrte.

Stauffenberg war dagegen Nationalist. Deutschland ging ihm über alles. Das deutsche Kaiserhaus und seine Mitglieder und das Haus Habsburg und seine Mitglieder interessierten ihn wenig. Er wollte Deutschland als Führer der Völker Europas und glaubte an ein deutsches Mysterium, das eine Bewegung aus der Tiefe sein sollte.

Seligsprechung Karls

Zeßner sah sich gegenüber dem Kaiser, sei es Karl, sei es Otto, tief verpflichtet. Karl war für ihn noch bis zu seinem Tod sein Kaiser. Dann war Otto der Kaiser, der niemals stirbt, als Kind sein "Kaiserlein". Karl war in seiner tiefen Frömmigkeit sein Vorbild, und schon in den Zwanzigerjahren setzte er sich für seine Seligsprechung ein, die 2004 durch Papst Johannes Paul II. erfolgte. Karel Wojtilas Vater hatte seinem Sohn im Gedenken an den Kaiser den Namen Karl geben lassen.

Zeßner sah sich nicht als Auserwählten, wie Stauffenberg sich wohl verstand, er hatte kein Rettersyndrom, seine Aktionen richteten sich nicht gegen eine Person, sondern gegen das System des Nationalsozialismus. Er arbeitete für Österreich, für seine Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. Nur das Haus Habsburg, das "Haus Österreich", war ihm dafür Gewähr.

Stauffenberg hatte dazu überhaupt keine Beziehung. Er war geprägt von der Idee eines "neuen deutschen Reiches", wie sie der George-Kreis vertrat. Stefan George wollte als Führer eines auf geistiger Verbundenheit beruhenden Kreises von jungen Männern die deutsche Gesellschaft neu bilden. Dieses geheime Deutschland wurde durch die prophetischen Gedichte Georges metaphysisch übersteigert. George war der geistige Führer eines hierarchischen Bundes von Jüngern, die ihn als Meister verehrten. In der Weimarer Republik wurde er nicht zuletzt aufgrund seiner Visionen, in denen er die allgemeine Zerstörung und das Chaos vorausgesagt hatte, zum Idol einer idealistischen Jugend.

Klaus Mann umschrieb seine Bedeutung wie folgt: "Inmitten einer morschen und rohen Zivilisation verkündete, verkörperte er eine menschliche künstlerische Würde, in der Zucht und Leidenschaft, Anmut und Majestät sich vereinen." Max Weber entwickelte am Beispiel des George-Kreises seinen Realtypus der charismatischen Herrschaft. "Das neue Reich", das 1928 veröffentlicht wurde, beinhaltet eine hierarchische Gesellschaftsform, die von Geistmenschen und Aristokraten geführt werden sollte.

In gewisser Weise war George "der Antihitler", der "andere Führer" und sein System "die andere Seite" Deutschlands, das geheime Deutschland. Die Naziführung warb um ihn, aber George ließ sich nicht instrumentalisieren. Am 4. Dezember 1933 starb er in Locarno und wurde auf dem Friedhof von Minusio beerdigt. Berthold und Claus Graf Schenk von Stauffenberg nahmen am Begräbnis teil und hielten Totenwache. Als George-Jünger hatte Stauffenberg eine schwärmerische Erhabenheit in der Gewissheit herrschaftlicher Auserwähltheit, katholischer Ethik und Ritterlichkeit. Er wurde im Widerstand selbst ein "Antihitler" und ein "Führer" eines geheimen Deutschlands.

Seine Wende nach der Erkenntnis des Verbrecherischen und der Sinn- und Skrupellosigkeit des Krieges entspricht der Haltung und dem Verhalten vieler Offiziere, vor allem adeliger Herkunft. Die Erfahrungen des Russlandfeldzuges mit seinen Erscheinungsformen des Holocaust und der Versklavungen und nicht zuletzt die absehbare Niederlage führten seinen Gesinnungswandel herbei, während Zeßner von Anfang an eine feste Gesinnung gegen den Nationalismus und gegen den Nationalsozialismus im Besonderen hatte, ohne dessen Realität, geschweige denn dessen große Verbrechen zu kennen.

Für Zeßner galt "principiis obsta", "principiis . . . obstemus!" Den Anfängen wollen wir entgegentreten! Diese Klarheit war er seinen Kaisern schuldig. Bei Stauffenberg lässt sich eine lange Ambivalenz der Haltung feststellen.

"Das Kapitel deutscher Geistesgeschichte, das ,George - Hitler - Stauffenberg‘ heißt, wartet noch darauf geschrieben zu werden", notiert Sebastian Haffner in seinen "Anmerkungen zu Hitler". Das Kapitel österreichischer Geschichte, das "Kaiser Karl - Dollfuss - Schuschnigg - Zeßner-Spitzenberg" heißt, wartet ebenfalls.

Beider Leben verlief mehrfach tragisch. Die besondere Tragödie schon vor ihrem tragischen Ende bestand darin, dass sie sich mit der Republik und der Demokratie, in denen sie vor den Diktaturen lebten, nicht identifizieren konnten. Sie hatten beide Träume von einer anderen Welt. Aber sie protestierten nicht gegen den Übergang von der Demokratie zur Diktatur. Sie arbeiteten in ihr und für sie, weil die jeweilige Diktatur ihren Vorstellungen in mancher Hinsicht entgegenkam.

Elitäre Führung

Zeßner hatte den Traum von einer neuen alten österreichischen Monarchie mit dem jungen Otto als Monarchen. Er dachte, wahrscheinlich auch zu Recht, dass Otto eher integrierenden Widerstand hätte leisten können und Hitler eher hätte fernhalten können als der letztlich doch deutschnational und nicht österreichisch-national eingestellte Schuschnigg. Freilich hat er das nie so deutlich ausgesprochen.

Stauffenberg träumte von einem anderen Deutschland unter vielleicht humanistischer, aber sicherlich nicht demokratischer, sondern elitärer Führung und von einem Europa unter der Führung eines solchen anderen Deutschland. Aber welches Deutschland wäre das gewesen? Einen Versuch der Verdeutschung Europas haben wir schon einmal erlebt. Jetzt haben wir einige Jahrzehnte einer Europäisierung Deutschlands erlebt. Vielleicht macht die Europäisierung Deutschlands aus Deutschen und anderen Europäern Weltbürger. Und wir Österreicher?

Vielleicht hätten wir in einer parlamentarischen Monarchie unter einem Kaiser oder Erzherzog Otto ganz gut leben können und wollen. Aber hätten wir in der elitären Republik Deutschland Stauffenbergs, die Europa hätte führen sollen, leben wollen? Die Antwort kann nur "Nein" lauten.

Diese elitäre Republik wäre außerdem innen- und außenpolitisch unmöglich gewesen. Stauffenberg konnte daher nur im Widerstand und wahrscheinlich nur im Widerstand gegen Hitler sein Heil finden. Zeßner konnte unter den gegebenen Verhältnissen des von innen und von außen bedrohten und schließlich vom Hitlerschen Deutschen Reich besetzten Österreich nur im Leiden sein Heil finden.

Gegenaufklärer

Stauffenberg forderte die Führung der Nation für das Offizierskorps. Er war für die Wiederherstellung der bürgerlichen Rechte und eine Volksvertretung ohne politische Parteien bisheriger Art. Wie Zeßner war er aber kein Mann der Aufklärung, sondern der Gegenaufklärung. Wie Zeßner war er kein Demokrat, jedenfalls nicht im heutigen Sinne. "Ordnung" steht im "Schwur" Stauffenbergs, einer Art Zukunftskonzept, gegen "zügellose Freiheit" und die "Gleichheitslüge". Seine fixe Idee: Das deutsche Volk habe - in der Verschmelzung des Hellenischen und des Christlichen - den europäischen Menschen geschaffen.

Dieser Anspruch begründet im "Schwur" die abendländische Sendung der Deutschen. "Wir wissen im Deutschen die Kräfte, die ihn berufen, die Gemeinschaft der abendländischen Völker zu schönerem Leben zu führen." Deutschland sollte Europa führen! Das war Stauffenbergs Vision.

Zeßner war da ganz anders. Oder etwa doch nicht? Er war begeistert von der völkerverbindenden Sendung des österreichischen Volkes, das der sittlichen Ordnung in Europa dienstbereit sei und eine Kultur trage, die über jeden Nationalismus erhaben und hinausgewachsen sei. Diese völkerverbindende und völkerverbindliche Mission Österreichs in Europa bewahre die friedensvollen und gerechten Ideen der völkerversöhnenden Wege der Rechtsordnung und der Völkerordnung der Zukunft.

Aber trug das österreichische Volk diese Kultur? Trägt das österreichische Volk heute diese Idee?

Zeßner und Stauffenberg hatten sich neben der realen eine andere, irreale Welt geschaffen, in der sie mit ihren Hoffnungen lebten. Man kann das auch in der Formulierung Heimito von Doderers als "Apperzeptionsverweigerung" sehen. Sie sahen vor lauter Illusionen und Idealen nicht oder zu spät die Wirklichkeit. Peter Altenbergs Spruch: "An seinen Idealen zugrunde gehen, das heißt lebensfähig sein", fällt einem zu beiden ein.

Manfried Welan, geboren 1937, Verfassungsrechtler, Politikwissenschafter, Autor und Politiker, war u.a. Rektor der BOKU Wien und Dritter Landtagspräsident in Wien.