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Enfant terrible des alten Österreich

Von Markus Grill

Wissen

Offizier, Publizist und Abenteurer: Vor 150 Jahren wurde Adalbert Graf Sternberg geboren, eine Kultfigur der Monarchie.


Ein Mann vieler Rollen, hier in der Positur des Publizisten: Adalbert Graf Sternberg (1868-1930).
© Fayer

Am 16. Juli 1925 muss Adalbert (Graf) Sternberg aus Wien abreisen. In der Habsburgermonarchie durfte er beharrlich gegen den Staatsapparat polemisieren. In der Republik Österreich wird er für seine Kritik des Landes verwiesen. Sternberg ist seit dem Zusammenbruch der Monarchie tschechoslowakischer Staatsbürger, und die öffentliche Herabsetzung durch einen Ausländer lassen sich die österreichischen Behörden nicht bieten.

Die Ausweisung gerät zur Posse. Rund zwanzig Personen finden sich am Wiener Ostbahnhof ein, um den beliebten "Montschi" Sternberg zu verabschieden. Einer von ihnen ist der Publizist und Stegreifredner Anton Kuh. In einem Artikel wird er später schildern, wie die Polizei den Bahnhof abriegelt und es zu Tumulten kommt. Als Kuh zu einer Ansprache anhebt, wird er von Beamten der Geheimpolizei festgenommen. "Ich bitte Sie wenigstens darum", ruft er Sternberg noch zu, "dass Sie als einer der letzten Europäer Wiens jetzt im Ausland diesen Staat nach Kräften diskreditieren, und gratuliere Ihnen dazu, dass Sie ihn verlassen müssen."

Konservativer Rebell

Ein Jahr später wird auch Kuh seiner Heimatstadt den Rücken kehren. Für ihn, und für viele andere Intellektuelle, ist Wien zum "Weandorf" - also zur Provinzstadt - abgesunken. Der kreative, multikulturelle Geist der einstigen Donaumetropole hat sich in der krisengebeutelten Republik verflüchtigt. Nur wenige halten wie Sternberg an einer übernationalen Idee fest.

Als stolzer Abkömmling eines bedeutenden böhmischen Adelsgeschlechts ist sein Selbstverständnis, auch nach der Aufhebung des Adels 1919, das eines altösterreichischen Aristokraten geblieben. Sprichwörtlich wurde seine Visitenkarte: "Adalbert aus dem urgräflichen Hause Sternberg. Geadelt unter Karl dem Großen - entadelt unter Karl Renner."

Sternberg wurde am 14. Jänner 1868 im mährischen Pohořelice geboren. Er wuchs auf "in einer reinen Atmosphäre konservativer Gesinnung", wie er in seinen Kindheitserinnerungen schrieb. Sternbergs Vater war ein hochdekorierter General, der sich bei der Niederschlagung der Revolution von 1848/49 verdient gemacht hatte. Der Sohn war traditionsbewusst genug, die Militärlaufbahn einzuschlagen. Der standesgemäßen Lebensart eines Offiziers und Adeligen jedoch sollte er sich herzhaft verschließen.

Im Umgang mit der europäischen Hocharistokratie zwischen London, Paris und Wien frönte der junge Sternberg dem Luxus und dem Exzess. Sein kompromissloser Charakter und seine Leidenschaft für Frauen, Alkohol und Glücksspiele bescherten ihm zahlreiche Ehrenhändel. Nicht selten mündeten sie in ein Duell. Mit 24 Jahren scheiterte ein Selbstmordversuch - angesichts einer Spielschuld hatte sich Sternberg eine Kugel in die Brust gejagt. Auf die vorübergehende Aberkennung seiner Offizierscharge folgte eine Einweisung in die Klinik für Geisteskranke in Graz. Der berühmte Psychiater Richard von Krafft-Ebing diagnostizierte "unheilbare Moraldefekte".

Die selbstzerstörerische Erlebnissucht legte Sternberg nie ganz ab. Im Jahr 1899 führte sie ihn nach Südafrika in den Burenkrieg. Der Kampf der europäischstämmigen Siedler gegen das Britische Empire wurde weltweit verfolgt. Weil Sternberg von den Briten abgewiesen wurde, nahm er auf der Seite der Buren am Krieg teil. Neben der offenkundigen Kriegslust war es ihm um das Sammeln militärischer Erkenntnisse.

Zurück in der Heimat, veröffentlichte er sie in einem viel beachteten Buch. Seine progressiven Bemerkungen über moderne Kriegsführung empfanden viele k. u. k. Militärs als Anmaßung. Aus heutiger Sicht befremdet der teils euphorische Ton: "Der Krieg ist etwas so Schönes, dass mir schier das Herz bei dem Gedanken brach, dass ich nun keine Granaten, keine Shrapnels, kein Gewehrfeuer mehr hören sollte."

Sternbergs frühe Ansichten zum Krieg sind Ausdruck eines schon damals überkommenen Ehrverständnisses. Dem Ideal heroischer Männlichkeit wird er zeitlebens anhängen.

Schlagfertig

Bald nach seiner Rückkehr wurde Sternberg politisch tätig. Er war ein weithin bekannter Mann und gut vernetzt. Mit Thronfolger Franz Ferdinand etwa verband ihn eine Freundschaft. Als wahrhaft "wilder Abgeordneter" wurde er 1904 in den Reichsrat gewählt. Eine große, kräftige Statur, eine dröhnende Stimme und eine lebhafte Gestik markierten Sternbergs rhetorische Präsenz.

Innerhalb kurzer Zeit folgte ihm der Ruf eines ebenso unterhaltsamen wie ungehaltenen Redners. In der Sitzung vom 4. Oktober 1905 drohte er dem Deutschnationalen Karl Hermann Wolf zunächst verbal ("Sie fassen noch ein paar Watschen von mir, Herr Wolf"), um dann tatsächlich handgreiflich zu werden: "Abgeordneter Graf Sternberg wirft gegen den Abgeordneten Wolf ein mit Wasser gefülltes Glas", vermerkte das stenographische Protokoll trocken. Eklats wie dieser gingen durch die Presse und förderten das populäre Bild des aufmüpfigen Volksvertreters.

Die Provokation ging wohl der Sachpolitik vor. Sternbergs politisches Programm basierte auf einfachen konservativen Prinzipien: Katholizismus, Militär, Krone. Dabei war er ein entschiedener Modernisierer. Als tschechischer Abgeordneter trat er für eine starke Position Böhmens innerhalb der Monarchie ein. Nach deren Ende wird er, entgegen dem Trend zur kleinstaatlichen Isolation, eine europäische Position beziehen.

Scharfe Worte fand er nicht nur für die ihm verhasste Sozialdemokratie. Gerade die Vertreter von Kirche, Armee und Adel bekamen ihr Fett ab. Über Jahre hinweg befehdete er den elitären Jockey Club und die sogenannte Hofkamarilla. Die Hofwürdenträger rund um den alten Kaiser - Sternberg sprach spöttisch vom "Greisenkonzil in Schönbrunn" - seien in ihrer Verkommenheit die wahren Schuldigen am Niedergang des habsburgischen Vielvölkerreiches.

Tollkühner Pilot

Trotz der ständigen Ausfälle gegen die Monarchie und ihre Repräsentanten war Sternberg ein Patriot durch und durch. Wie viele andere folgte er den vaterländischen Hurrarufen in den Ersten Weltkrieg. Mittlerweile 47 Jahre alt, meldete er sich an die vorderste Front und diente zunächst als Ordonnanzoffizier. Mit knapp 50 Jahren schulte er zum Flieger um. Tollkühn auch als Pilot, absolvierte er hochriskante Erkundungsflüge. Sein Wagemut wie sein Geschick brachten dem ehemaligen Abgeordneten etliche militärische Auszeichnungen ein.

Nach dem Krieg konzentrierte sich Sternberg auf seine publizistische Tätigkeit. Seit Jahren veröffentlichte er Bücher und Artikel und gab auch eigene Zeitschriften heraus. Sternberg war Autodidakt. Seine bisweilen eigenwilligen Überlegungen zu Politik, Geschichte und Philosophie zeugen nicht nur von einem breiten Weltwissen, sondern auch von einem aufrichtigen Interesse für fremde Kulturen. Unternehmungen führten ihn unter anderem nach Marokko, Afghanistan, Indien und Spitzbergen.

Auch an der Literatur versuchte sich Sternberg. Seine Erzählungen und Gedichte überraschen durch ihre Sentimentalität, weniger durch ihre ästhetische Qualität.

Sternbergs Schriften, wie seine Person überhaupt, sind so gut wie vergessen. Bis heute liegen nur zwei einschlägige Bücher vor: Eine Dissertation aus dem Jahr 1970, die den Politiker fokussiert, sowie eine Teilbiographie aus 1997. Die von Hans Rochelt besorgten "Memoiren eines konservativen Rebellen", so der Untertitel, brechen nach dem Südafrikaabenteuer ab. Ein lebendiges Bild von Sternberg ist durch die, allerdings ebenso vergessenen, Texte Anton Kuhs überliefert. Er würdigte den "präriefrohen Edelmann" in all seiner Widersprüchlichkeit.

Das Autoritäre, Martialische, ja Brutale, ging bei Sternberg mit einem ausgeprägten sozialen Sinn einher. Den grassierenden Antisemitismus verurteilte er aus christlicher Überzeugung. Mit geradezu anarchistischem Gerechtigkeitswillen ging er gegen die, so formulierte er es, "Bestie Staat" vor.

"Aristo-Demokrat"

Wie ein aus der Zeit gefallener Ritter kämpfte er für die oft sozial benachteiligten Opfer von Polizei und Justiz. Passend paradox nannte Kuh ihn einen "Aristo-Demokraten". Das feudale Weltbild Sternbergs war freilich nicht ins neue Österreich zu retten. Für Nonkonformisten wie ihn wurde es infolge der zunehmend repressiven Staatsgewalt eng. Die allgemeine Nostalgie in den schwierigen Jahren der Ersten Republik (Stichwort: Habsburgermythos) erhob ihn zum letzten "Original" der Kaiserzeit.

Letztlich meinte es auch das offizielle Österreich nicht allzu schlecht mit Sternberg. Bald nach der, übrigens wiederholten, Ausweisung durfte er in seine Wahlheimat zurückkehren. Als er am 25. April 1930 im Sanatorium Fürth in Wien starb, war das Echo in den Zeitungen groß. Selbst die "Neue Freie Presse", mit der Sternberg im Clinch lag, druckte auf der Titelseite einen Nachruf auf das "Enfant terrible des alten Österreich".

Das treffendste Resümee von Sternbergs bewegter Biographie lieferte dieser selbst, in einem Artikel zwei Jahre vor seinem Tod: "Ich war kein Tugendbold, kein heiliger Aloisius, kein feingesitteter, geschniegelter Salonmann, ich war auch nicht im Leben ununterbrochen nüchtern, ich habe nicht nur Visitenkarten, sondern auch andere Karten gekannt, ich habe viele Leute geohrfeigt, viele im Duell verwundet, ich bin mehr im Wirtshaus gewesen, als in Kirchen und Kapellen, ich habe viele Frauen und Mädchen in allen Farben und Rassen innig umarmt, aber ich habe überall auf der Welt mich der Schwachen angenommen."

So klingt keine Reue, aber ein ehrliches Bekenntnis zum Leben.

Markus Grill ist OeAD-(Österreichischer Austauschdienst)-Lektor am Institut für germanische Studien an der Karls-Universität Prag. Er forscht zum Werk von Anton Kuh.