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Klimaforscherin: Zwei Grad mehr - 50 Prozent mehr Hitzetote

Wissen

Experten beklagen die fehlende Vorsorge auf die Auswirkungen des Klimawandels.


Alpbach. "So warm war ein Juni global noch nie." Für die Klimaforscherin Veronika Huber sind die Rekordtemperaturen des heurigen Sommers in Europa ein weiterer Beleg für die fortschreitende Erwärmung: "Wir spüren den Klimawandel heute schon." Bei den Gesundheitsgesprächen im Rahmen des Europäischen Forums Alpbach stellte die Expertin an der Universität in Sevilla auch klar, welche dramatischen Folgen die Hitze für die Gesundheit und Sterblichkeit der Menschen hat. Allein ein Anstieg der Durchschnittstemperatur um zwei Grad führe in Europa zu 50 Prozent mehr hitzebedingten Todesfällen. Bei drei oder vier Grad im Schnitt mehr würde sich die Zahl der Todesfälle sogar vervierfachen.

Mehr Tote als Folge der Erderwärmung sind das eine. Aber die erhöhten Durchschnittstemperaturen haben noch andere gesundheitliche Auswirkungen auf Menschen. Eine unmittelbare Folge ist die Ausbreitung sogenannter Tropenkrankheiten wie Dengue-Fieber in Europa, weil sich Mückenarten in neuen Regionen ansiedeln. Das könne auch durch die Ausbreitung von Tigermücken in Ostösterreich passieren, erläuterte Huber.

Es drohen aber noch weiterreichende gesundheitliche Auswirkungen durch die Klimakrise. So könne die Hitze möglicherweise zur Ausbreitung von Antibiotika-Resistenzen führen, meinte die Klimaforscherin. Ähnliches gelte für Allergien durch eine verstärkte Pollenbelastung. Der Anteil der Bevölkerung, der darauf sensibel reagiert, droht ebenfalls anzusteigen. Schließlich seien auch Auswirkungen und mehr Probleme auf die psychische Gesundheit der Bevölkerung durch Hitze zu erwarten.

Noch gebe es für die weitere Entwicklung zwei Pfade, betonte Huber. Entweder man kratze die Kurve und es bleibe bis Ende des Jahrhunderts bei unter zwei Grad Erwärmung oder die Welt werde bis dahin um drei bis vier Grad wärmer. Nur die Umsetzung des Pariser Umweltabkommens könne dazu führen, dass es zur günstigeren Variante kommt. Die Klimaforscherin schloss mit einer eindringlichen Warnung: "Wir sind im Augenblick auf dem roten Pfad." Man sei auf dem Weg in Richtung drei bis vier Grad Erwärmung.

Gegen das Schnitzel, das über den Tellerrand hängt

Mit einer anderen Warnung schaltete sich Hans Peter Hutter, Umweltmediziner an der Universität Wien, in Alpbach in die Diskussionen um die Klimakrise ein. Früher habe man sich um dieses Thema "nicht gekümmert", analysierte er, jetzt sei man jeden Tag damit konfrontiert. Hutter befürchtet, dass dadurch bei der Bevölkerung ein gewisser Sättigungsgrad bezüglich der Problematik des Klimawandels eintreten könnte. Der Umweltmediziner sah bei der Debatte über Konsequenzen des Klimawandels noch eine andere Gefahr. Es seien dabei weder Panik und Hysterie noch ein Verharmlosen der Problematik gut: " Beides führt zu Handlungsunfähigkeit."

Es gebe bei der Bewältigung der Folgen des Klimawandels jedenfalls "kein einfaches Rezept", betonte Hutter: "Ich bezeichne mich als mobile Spaßbremse." Wenn man für ein bisschen weniger Autofahren und etwas weniger Fleischessen eintrete, "dann ist man in Österreich schon am Höhepunkt der Provokation". Es gebe aber mittlerweile viel wissenschaftliche Evidenz dafür, dass Fleischproduktion die Umwelt stärker belaste. Dabei würde es schon genügen, ein Fünftel weniger Fleisch zu essen. "Wenn das Schnitzel über den Tellerrand drüberhängt, ist das doch kein Qualitätskriterium", sagte er und hatte damit die Lacher im Auditorium im Alpbacher Congress Centrum auf seiner Seite.

"Wir sind schlecht vorbereitet"

Der Klimawandel führt aber auch vermehrt zu Unwettern, Überflutungen und anderen Naturkatastrophen, die besonders für die Einsatz- und Rettungsorganisationen wie die Freiwillige Feuerwehr und das Rote Kreuz zur Herausforderung werden. Der frühere, langjährige Generalsekretär des Roten Kreuzes, Werner Kerschbaum, beklagte bei der Diskussion bei den Alpbacher Gesundheitsgesprächen die mangende Vorsorge für die Klimakrise. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) habe festgestellt, dass von 53 europäischen Staaten überhaupt nur 18 dafür Gesundheitspläne entwickelt hätten, diese würden teilweise auch noch Lücken aufweisen. "Wir sind schlecht vorbereitet", lautete Kerschbaums Schlussfolgerung. Ähnlich problematisch ist für ihn die Situation auf regionaler Ebene. Das gelte etwa für spezielle Hitzepläne. "Kennen Sie eine Stadt, die solche Pläne schon ausgearbeitet hat?", wollte der Ex-Rot-Kreuz-Generalsekretär wissen. (ett)