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Nur noch kurz das Klima retten

Von Eva Stanzl

Wissen
Laut Berechnungen des Weltklimarats muss die Menschheit nicht nur weniger CO2 emittieren, sondern bis zum Jahr 2100 der Atmosphäre rund 730 Milliarden Tonnen davon entziehen.
© reuters / Alaa Al-Marjani

Wie Forschung, Technologie und Wissenschaft die Erderwärmung wirklich aufhalten können.


Man kann es sich auch leicht machen, wie Jair Bolsonaro. Brasiliens extrem rechter Präsident ist der Ansicht, zum Klimaschutz könnten die Menschen "ein bisschen weniger essen. Es reicht, nur jeden zweiten Tag zu kacken. Das wäre besser für die ganze Welt", beantwortete Bolsonaro laut der britischen BBC die Frage eines Journalisten, wie denn der Umweltschutz verbessert werden könne.

Glücklicherweise macht sich die Welt der Wissenschaft ernsthaftere Gedanken über den Klimaschutz. Sie tüftelt an Möglichkeiten, Emissionen aus der Luft zu waschen, arbeitet an stromsparenden Supraleitungen und nachhaltigen Heizungen und erforscht den Einsatz von CO2 vertilgenden Hefepilzen. Es geht um den Umbau der Energiegewinnung, die Veränderung des Antriebs, die Bindung von Schadstoffen und die Verhinderung von neuen Emissionen.

Die Zahlen: 2015 hatte sich die Staatengemeinschaft im Klimaabkommen von Paris das Ziel gesetzt, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad, möglichst aber 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Laut dem Mercator Research Institute, einem Thinktank des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, haben wir dazu nur noch um die 25 Jahre Zeit. Die Beschlüsse der Klimakonferenz im Dezember in Madrid gelten freilich als zu vage, um die Erderwärmung wirkungsvoll zu stoppen. Die Klimaschutz-Bewegung fordert ein Ende des Wachstums, worin die Wirtschaft aber nur ein Wachstum der Armut sieht. Fazit: Die Ökonomie muss klimaneutral werden, ohne auf Konsum und Wachstum zu verzichten und so drastisch zu schrumpfen. Innovation bietet die Möglichkeit dazu.

Bio-Treibstoffe aus Abfall, Stroh und Rinde

Laut einer Studie des Austrian Institute of Technology in Wien ist eine Energieversorgung der österreichischen Industrie mit 100 Prozent erneuerbarer Energie machbar. Theoretisch könnten alleine Wind und Sonne den gesamten Strombedarf decken, allerdings nicht rund um die Uhr. Eine innovative Form der Speicherung testet das Fraunhofer-Institut bei Karlsruhe, wo ein Windrad eine riesige Flüssigbatterie speist. Wenn der Wind weht, wird seine Energie in chemischen Verbindungen gespeichert. Bei Windstille wird sie freigesetzt und versorgt die Institutsgebäude mit Öko-Strom. Zwar beansprucht diese Redox-Flow-Batterie eine ganze Halle, doch im Praxistest lassen sich bereits zwei Megawatt für zehn Stunden speichern. Das ist immerhin die Nennleistung eines großen Rundfunksenders.

Auf den Transport entfällt ein Drittel des europäischen Energiebedarfs. Um seinen CO2-Ausstoß zu senken, sollen künftig Bio-Treibstoffe in die Tanks fließen. Jene der ersten Generation wuchsen allerdings auf Ackerland: Mais und Raps nährten plötzlich nicht mehr die Menschen, sondern die Autos. Die Technische Universität Wien arbeitet an einer zweiten Generation von "Biofuels". Die Forschenden um Anna Mauerhofer wollen sie aus Stoffen herstellen, die es schon gibt: aus Abfällen der Forst- und Landwirtschaft, Reststoffen der Nahrungsmittelindustrie, Rinde, Stroh, Lignin, Traubentrester und sogar Nussschalen und Klärschlamm. "Künftig könnten Treibstoffe aus umweltfreundlichen Quellen kommen", sagt Mauerhofer. Wir fahren mit dem Wagen, der Tank ist leer, und wir müssen ihn füllen. Aber könnte das Auto vielleicht seinen Treibstoff während der Fahrt selbst erzeugen? Mit dem - derzeit von Österreich forcierten - Wasserstoff-Verbrennungsmotor theoretisch schon. Er wird nicht mit Öl, sondern mit Wasser betankt, das elektrolytisch, also mit Strom, in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt wird. In der Brennstoffzelle reagiert der Wasserstoff mit Sauerstoff und Elektrolyten unter Freisetzung von Energie, die wiederum jenen Strom erzeugt, der den Wagen antreibt. Das Endprodukt sind nicht Abgase, sondern - Wasser. Alleine: Seine Explosivität macht den Wasserstoff zu einer gefährlichen Fracht. Eine bedeutende Rolle könnte das chemische Element hingegen bei der Beheizung von Gebäuden spielen, wo es kein Transport- und Kollisionsrisiko gibt.

Elektroflugzeuge, E-Taxis und Energie aus dem All

Derzeit sind laut dem deutschen Institut für Energie- und Umweltforschung allerdings E-Autos klimaverträglicher als andere Antriebsformen, vorausgesetzt die Stromquelle ist CO2-neutral. Sogar erste Elektroflugzeuge gehen an den Start. Mitte Dezember feierten Nordamerikas größte Fluggesellschaft für Wasserflugzeuge, Harbour Air, und die US-Firma Maginix den Jungfernflug des ersten vollelektrischen Verkehrsflugzeugs. Der Sportwagenbauer Porsche will in dieses Geschäft ebenso einsteigen wie das deutsche Start-up Volocopter, ein Partner des Autobauers Daimler: Sein Ultraleicht-Flugtaxi kreiste vor kurzem erstmals über Stuttgart.

Noch weiter ihrer Zeit voraus sind Vorschläge zur Nutzung kosmischer Strahlung. Die Idee: Neutrinos treffen mit hoher Geschwindigkeit und enormer Energie auf die Erde. Die Nutzung dieser hochenergetischen, kleinsten Teilchen soll Atomenergie und fossile Rohstoffe ablösen. Investoren ist der Ansatz bereits etwas wert: Die börsenotierte US-Firma Neutrino Energy Group will die Teilchen nutzbar machen.

Ob irdischen oder kosmischen Ursprungs: Elektrizität muss dorthin gebracht werden, wo sie benötigt wird. Dabei gibt es ein Problem: Selbst in den effizientesten Netzen geht pro 100 Kilometer 1 Prozent der Energie verloren, bei vielen Netzen ist es sogar doppelt so viel. Zahlen für Deutschland belegen einen Netzverlust von 5,7 Prozent der gesamten Stromproduktion oder gigantischen 24,6 Terawatt-Stunden. Abhilfe könnte eine Supraleitung schaffen: Unter bestimmten Bedingungen fließt Strom praktisch widerstandslos durch die Leitungen. Dies setzte bisher aber extrem tiefe Temperauren voraus. Doch neue Experimente mit Schwefelwasserstoff und Lanthan-Decahydrid zeigen, dass eine Supraleitung auch bei wesentlich höheren Temperaturen möglich ist. Ein supraleitendes Stromnetz würde Millionen Tonnen CO2 einsparen.

Laut Berechnungen des Weltklimarats muss die Menschheit aber nicht nur weniger CO2 emittieren, sondern bis zum Jahr 2100 der Atmosphäre rund 730 Milliarden Tonnen davon entziehen, um den Temperaturanstieg auf nahe 1,5 Grad zu begrenzen. Das entspricht dem Fünfzehnfachen der derzeitigen jährlichen Emissionen von 43 Milliarden Tonnen CO2. Die einfachste Form, das zu tun, ist simple Aufforstung. Mehr Pflanzen auf dem Planeten binden mehr CO2 in der Biomasse. Der Plan der chinesischen Regierung, eine Milliarde Bäume zu pflanzen, ist also ein Schritt in die richtige Richtung. Ein zweiter Schritt wäre der Verzicht auf die Trockenlegung von Mooren für die Landwirtschaft. Moore speichern mehr CO2 als jedes andere Ökosystem. Bei der Trockenlegung ist es umgekehrt: Der Torf setzt die klimaschädlichen Gase wieder frei.

CO2-Speicherung im Boden, im Moor und in den Alpen

Als Alternative könnte man das in der Atmosphäre vorhandene CO2 unter hohem Druck in die Erde pumpen, wo es bestimmte geologische Schichten resorbieren und dauerhaft speichern könnten. "Carbon Capture Storage" heißt die Technik, die im Frühjahr im englischen Kraftwerk Drax in Yorkshire begonnen wird. Auf globalem Niveau könnte diese Technologie tatsächlich Milliarden Tonnen des Treibhausgases aus der Luft waschen. Im Labor testet die ETH Zürich überdies Möglichkeiten, CO2 in den Alpen zu speichern.

Hefepilze, uns dienlich für Bier und Brot, lernen derzeit unter Anleitung von Wiener Forschern, ihren Hunger so wie Pflanzen mit CO2 aus der Luft zu stillen. Das macht sie zu potenten Treibhausgas-Verzehrern. Das Team um Diethard Mattanovich von der Universität für Bodenkultur veränderte industrielle Hefezellen so, dass sie CO2 aus der Luft fixieren und daran wachsen. "Ein industrieller Großfermenter von 500 Kubikmetern könnte 2000 Tonnen CO2 pro Jahr binden oder so viel, wie 1000 Autos ausstoßen", sagt Mattanovich.

Doch nicht immer braucht es die gelehrte Wissenschaft, um die schädlichen Auswirkungen des Menschen auf die Erde zu beschränken. Ein Experiment zur klimaschädlichen industriellen Fleischproduktion wagte der Bio-Landwirt Nikolas Weber aus dem deutschen Essen. Er brachte zehn Gänse in die Fußgängerzone von Köln und bot sie zum Verkauf. Die Bedingung: Wer eine Gans kaufen wolle, müsse auch ihre Schlachtung mitansehen. Die Reaktionen der Passanten reichten von "Ich finde das absoluten Horror" bis "Ich mag sie lieber tiefgekühlt", ein weinendes Mädchen zeigte sich "enttäuscht von der Menschheit", drei Mitarbeiter des Ordnungsamts kamen an den Verkaufsstand. Weber erklärte danach
in der WDR-Sendung "Quarks & Co": "Viele Fleischkonsumenten verdrängen den Tod der Tiere, das Fleisch verliert so für sie an Wert. Das begünstigt einen hohen Fleischkonsum und die enormen Emissionen der industriellen Landwirtschaft. Wüssten wir, dass die Tiere für uns sterben, würden wir sie seltener und bewusster essen." Zumindest die meisten von uns. Jair Bolsonaro ist damit wohl nicht gemeint.