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Lockdown nützte dem Klima nicht

Von Eva Stanzl

Wissen

Neue Studien zeigen: Die strengen Maßnahmen gegen die Coronavirus-Pandemie senkten den Temperaturzuwachs kaum.


Obwohl der Mensch eine Zwangspause einlegte und die Wirtschaft praktisch still stand, hat der wochenlange Lockdown im vergangenen Frühling den Zustand der Umwelt nicht merklich verbessert. Das berichtet ein Forschungsteam unter Beteiligung des Instituts für Angewandte Systemanalyse (IIASA) im niederösterreichischen Laxenburg. Demnach senkten die strengen Maßnahmen gegen die Coronavirus-Pandemie, bei denen die Menschen wochenlang größtenteils zu Hause blieben, den weltweiten Temperaturzuwachs kaum.

Über die Auswirkungen dieser abrupten Bremse auf die Klimaerwärmung wurde in jüngerer Vergangenheit viel spekuliert. Delfine in Italiens Hafenbecken und glasklare Wasser in Venedigs Lagune gaben Anlass zu der Hoffnung, dass der Erdball sich rasch erholen würde, wenn der Mensch sich ruhig verhält. Satelliten, unter anderem über China, wo die Seuche Ende Dezember ihren Ausgang nahm, hatten einen Rückgang der Emissionen aus Autos, Fabriken und Kraftwerken um beachtliche 40 und einen Rückgang des Feinstaub-Anteils um bis zu 30 Prozent im Dreijahresvergleich gezeigt.

Jetzt aber haben die Forschenden berechnet, was davon geblieben ist. Das Ergebnis: Der reale Effekt ist marginal. Lockdown und strenge Maßnahmen konnten den voraussichtlichen Temperaturzuwachs bis 2030 um nur 0,01 Grad senken, berichtet das Team im Fachmagazin "Nature Climate Change".

Erstautor Piers Forster von Universität of Leeds hatte sich zusammen mit seiner Tochter Harriet während des Lockdown daran gemacht, auf Basis der Bewegungsdaten von Google und Apple aus 123 Ländern weltweit das Absinken des Ausstoßes von zehn Treibhausgasen zwischen Februar und Juni einzuschätzen. Da Harriets Schulabschlussprüfung verschoben worden war, wurde das Unterfangen zum Familienprojekt, wie die Universität Leeds in einer Aussendung festhält. In der Folge bereicherten Kollegen von Imperial College in London und IIASA die Datenlage.

Das Team hat errechnet, dass die Konzentrationen der Treibhausgase während des Shutdown zwar insgesamt zwischen zehn und 30 Prozent zurückging. Dieses Ergebnis deckte sich auch mit den Satellitendaten aus dem All und den Messwerten am Boden, die vor allem auf die Rückgänge in Verkehr und Transportwesen zurückzuführen waren. Dennoch schwächte der Effekt den Klimawandel fast nicht ab - wohl auch, weil der Zeitraum der massiven Einschränkungen zu kurz war. Laut den neuen Berechnungen werden die globalen Temperaturen bis 2030 nur um die erwähnten 0,01 Grad Celsius geringer ausfallen - das aber auch nur, wenn einige Lockdown-Maßnahmen bis Ende 2021 aufrecht bleiben.

Der Effekt der Pandemie ermöglicht es somit nicht, dass die Weltgemeinschaft die Erderwärmung bis 2050 auf ein Plus von unter 1,5 Grad Celsius quasi wie von selbst begrenzen kann - die Menschheit muss weiterhin tätig werden.

Die Wissenschafter schätzen die aktuelle Situation als Chance ein, um das Pariser Klimaziel zu erreichen. Würde man nämlich einen grünen Neustart in der Wirtschaft in Folge der Pandemie schaffen, ließe sich bis 2050 eine zusätzliche, aus derzeitiger Sicht zu erwartende Erwärmung von 0,3 Grad verhindern, betont Forster.

Die Krise als Chance

Der Direktor des Priestley International Centre for Climate in Leeds hat Möglichkeiten für strukturelle ökonomische Veränderungen modelliert, mit denen null Emissionen erreicht werden könnten. Ihm zufolge könnte das den Unterschied zwischen dem Erreichen der Klimaziele und ihrem Verfehlen ausmachen. "Die Entscheidungen, die wir heute treffen, können es uns ermöglichen, eine zusätzliche Erwärmung der Erde zu vermeiden und uns auf einen sicheren Pfad in Bezug auf das Pariser Klimaabkommen führen", hebt Forster hervor: "Wir werden gesünder sein, und das Klima wird sich abkühlen."

Ko-Autorin Harriet Forster, die im Herbst ihr Studium an einer Kunsthochschule in London beginnt, betont: "Zwar sind die Klima-Auswirkungen des Lockdown klein. Aber wir haben die Chance, die Wirtschaft so anzukurbeln, das grüne Energien gefördert werden."

Erst am Donnerstag hatte ein deutsch-tschechisches Team berichtet, dass die Häufigkeit und das Ausmaß von Sommer-Dürren wie in den Jahren 2018 und 2019 bis zum Ende dieses Jahrhunderts in Mitteleuropa zunehmen dürfte, wenn die Treibhausgas-Emissionen nicht gesenkt würden. Die vergangenen fünf Jahre waren die heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Halb Mitteleuropa war von Dürren betroffen.