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"Jeder Baum hat seine Schädlinge"

Von Eva Stanzl

Wissen

Druck auf den Wald: Wie Trockenheit, Niederschlag, steigende Temperaturen und invasive Arten Bäumen zu schaffen machen.


Genau 48 Prozent oder vier Millionen Hektar des österreichischen Staatsgebiets bestehen aus Wald. Doch Trockenschäden durch die Erderwärmung setzen ihm Jahr für Jahr zu. Von den rund 30.000 Insektenarten in unseren Breitengraden schaden zwar nur einige den Bäumen, doch diese vermehren sich bei höheren Temperaturen effizienter und haben mit geschädigten Exemplaren ein leichtes Spiel.

Die Temperatur auf heimischen Waldflächen ist seit 1960 im Schnitt um etwa 1,5 Grad Celsius gestiegen, wie Hubert Hasenauer, Leiter des Instituts für Waldbau der Universität für Bodenkultur, diese Woche berichtete. Bei wenig winterlichem Schnee und Regen könnten sich Waldboden-Reserven nicht mit Wasser füllen. Bei wenig von beidem im Frühling käme es vor allem in Tieflagen schon im April und Mai zu Trockenstress. Wenn es dann auch noch von Mai bis Juli sehr warm und trocken sei, begünstige dies den Käferbefall und die Waldbrandgefahr.

Exponentielles Wachstum

"Jeder Baum hat seine Schädlinge", sagt Gernot Hoch, Leiter des Instituts für Waldschutz des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) in Wien. "Wie der Schädlingsbefall heuer verlaufen wird, hängt von der Witterung in den Regionen ab. Rückblickend sind die Voraussetzungen aber relativ schlecht: Schon 2022 war es warm mit österreichweit unterdurchschnittlichen Niederschlagsmengen."

Die Fichte ist der hierzulande mit Abstand häufigste Baum. 51 Prozent der gesamten Waldfläche mit ihren 3,4 Milliarden Bäumen besteht aus dem für das Landschaftsbild typischen Nadelholz. Ihr aggressivster Schädling, ein Borkenkäfer namens Buchdrucker, bringt bei normalen klimatischen Bedingungen zwei Generationen pro Saison hervor. "Aufgrund des Klimawandels schafft er aber jetzt zweieinhalb bis drei Generationen", erklärt Christian Lackner, Sprecher des BFW. Ähnlich wie bei der Verbreitung des Coronavirus käme bei der Zahl der Individuen ein exponentielles Wachstum ins Rollen. "Die Borkenkäfer beginnen früher im Jahr, zu fliegen, wenn eine Temperatur-Höchstgrenze im Tagesmittel früh erreicht wird", sagt Lackner.

Seit einigen Jahren ist der Borkenkäferbefall so hoch, dass von einem Fichtensterben gesprochen wird. Gernot Hoch geht davon aus, dass Österreichs typischer Nadelbaum auch heuer unter Druck steht. "Der Niederschlag war schon im Winter nicht besonders hoch, die Schneedecke nur dünn und insbesondere im Osten Österreichs sind die Böden trocken", stellt er klar. Insbesondere Fichtenwälder in Osttirol und Südkärnten seien aus jetziger Sicht in Gefahr.

Hoch erwartet eine "immer höhere Anzahl an sekundären Schädlingen - also Organismen, die geschädigte Bäume befallen. "Ein Baum, der hingegen vital ist und genügend Nahrung in Form von Wasser hat, kann sich zur Wehr setzen."

Falsches weißes Stengelbecherchen

Auch manche Pilze gedeihen paradoxerweise bei höheren Temperaturen, da sie dann geschwächte Bäume effizienter befallen können. Das durch einen im Holz wachsenden Pilz verursachte Kieferntriebsterben, das insbesondere in den Schwarzföhrenwäldern um Wiener Neustadt zu beobachten ist, "ist in den vergangenen Jahren in unseren Breitengraden verstärkt zu beobachten", sagt Hoch.

Ein Pilz namens Falsches weißes Stengelbecherchen verursacht das Eschentriebsterben. Die Art wurde hierzulande erstmals im Jahr 2005 entdeckt, ist eingewandert "und wird weiterhin ein großes Thema sein". Ein Hoffnungsschimmer im Kampf gegen das Stengelbecherchen bestünde in einer genetischen Resistenz mancher Individuen gegen den aggressiven Schädling, welche auch an die Nachkommen vererbt wird. Es laufen Züchtungsversuche.

Lange setzte den Eichen eine Gruppe von blattfressenden Schmetterlingen, wie der Schwarmspinner oder der Eichenprozessionsspinner mit seinen giftigen Haaren, zu. Diese habe sich jedoch "in den letzten Jahren ruhig verhalten". Ein neueres Problem sei die Amerikanische Eichennetzwanze, die im Jahr 2019 erstmals in Österreich festgestellt wurde und als blinder Passagier mit verschiedenen Verkehrsmitteln unsere Breiten erreichte. Die Wanzenart saugt die Blätter des Baumes, der mehr als 1000 Jahre alt werden kann, aus. Droht ein Eichensterben? "Nicht unmittelbar, da sich der Befall sich übers Jahr aufbaut. Eine massive Schädigung der Blätter passiert erst spät in der Saison, weswegen der Befall die Eiche nicht umbringt."

Die schlechte Nachricht ist, dass die neue Amerikanische Eichennetzwanze hierzulande kaum natürliche Feinde hat. "Wenn also der Befall stark wird, wird er das über Jahre hindurch sein", erklärt der Experte das komplexe Zusammenspiel in der Natur.

Immer neue Schädlinge

Ein Bakterium höhlt die Stämme von Kastanienbäumen aus. Spaziergängern im Wiener Augarten bot sich daher diese Woche ein irritierendes Bild: Von etlichen Alleebäumen sind nur die Stümpfe übrig. 111 Bäume mussten gefällt werden, da sie unter Verdacht standen, von dem Bakterium Pseudomonas syringae befallen zu sein, das sich innerhalb von wenigen Jahren in Europa verbreitet hat. Es frisst das Stamminnere, höhlt die Bäume also von innen aus. Sie verlieren an Stabilität und werden zur potenziellen Gefahr.

"Seit dem U-Bahn-Bau ist der Grundwasserspiegel im Augarten drastisch gesunken. Die Sommer werden trockener und heißer, da kommt man mit dem Gießen oft gar nicht mehr nach", sagte Kurt Macek, Baumkontrollor der Bundesgärten, zur "Austria Presse Agentur". Drei bis vier Prozent der Bäume im Augarten würden jährlich von Amts wegen gefällt.

Hoch fasst zusammen: "Wenn es heuer wenig regnet, müssen wir davon ausgehen, dass bei allen Baumarten immer wieder Schadorganismen auftreten, die wir vorher nicht beobachtet haben. Der Druck auf den Wald steigt und die Mortalität ist höher als in früheren Jahrzehnten." Um wie viel höher, will er nicht beziffern. Aufgrund des vergleichbaren Klimas lässt sich eine Erhebung auf Deutschland aber auf Österreich übertragen. Laut der kürzlich präsentierten "Waldzustandserhebung 2022" ist mehr als ein Drittel der Bäume geschädigt.