Der Mensch hat das System Erde massiv verändert. Die vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen haben zu einem Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um mehr als 1,1 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit geführt. In Europa sind es sogar bereits 2,2 Grad, wie aus dem jährlichen Bericht des Klimawandel-Dienstes des EU-Erdbeobachtungsprogramms Copernicus hervorgeht, der am Donnerstag veröffentlicht wurde. Zudem ist in den europäischen Alpen im vergangenen Jahr so viel Gletschereis geschmolzen wie nie zuvor. Mit der Klimakrise einher geht ein dramatischer Verlust der Pflanzen- und Tierarten, betont ein Forscherteam vom Alfred-Wegener Institut (AWI) in Bremerhaven. In einer Studie zeigen die Forschenden auf, dass Klimakrise und der Verlust der Biodiversität Hand in Hand gehen.

"Die von ihnen selbst verursachte Klimakrise ist wahrscheinlich die größte Herausforderung für den Homo sapiens in seiner 300.000-jährigen Geschichte", erklärt der Klimaforscher Hans-Otto Pörtner vom AWI. "Doch gleichzeitig entwickelt sich eine andere, ebenso gefährliche Krise, die oft übersehen wird: der dramatische Verlust von Pflanzen- und Tierarten auf unserem Planeten. Die beiden Katastrophen - die Klimakrise und die Krise der biologischen Vielfalt - sind voneinander abhängig und verstärken sich gegenseitig, weshalb sie nie als zwei getrennte Dinge betrachtet werden wollten", erklärt der Wissenschafter.

Klimatische Sackgasse droht

Die Studie ist das Ergebnis eines virtuellen wissenschaftlichen Workshops, an dem 62 Forschende aus 35 Ländern teilgenommen haben. Darin beschreiben die Experten den sich rasant verschlechternden Artenverlust anhand ernüchternder Zahlen: Sie schätzen, dass menschliche Aktivitäten rund 75 Prozent der Landoberfläche und 66 Prozent der Meeresgewässer verändert haben. Dies sei in einem solchen Ausmaß geschehen, dass heute etwa 80 Prozent der Biomasse von Säugetieren und 50 Prozent der pflanzlichen Biomasse verloren gegangen sind, während mehr Arten vom Aussterben bedroht sind als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Dabei führen die globale Erwärmung und die Zerstörung natürlicher Lebensräume nicht nur zu einem Verlust an biologischer Vielfalt, sondern verringern auch die Fähigkeit von Organismen, Böden und Sedimenten, Kohlenstoff zu speichern, was wiederum die Klimakrise verschärft, heißt es in der Studie.

Da jeder Organismus einen bestimmten Toleranzbereich für Veränderungen seiner Umweltbedingungen hat, führe die globale Erwärmung auch zu einer Verlagerung der Lebensräume der Arten. Mobile Arten folgen ihrem Temperaturbereich und wandern in Richtung Pole oder in höhere Lagen oder auch im Wasser in größere Tiefen. Organismen wie Korallen sind allerdings in einer Temperaturfalle gefangen, was auf lange Sicht das Aussterben bedeutet. Aber auch mobile Arten könnten in klimatischen Sackgassen - etwa auf Berggipfeln, an den Küsten oder an den Polen - landen, wenn sie keinen für sie geeigneten Lebensraum mehr finden, heißt es in der im Fachblatt "Science" publizierten Studie.

Um diese Krisen zu bewältigen, schlagen die Forscher eine Kombination aus Emissionsreduktion, Sanierungs- und Schutzmaßnahmen, intelligentem Landnutzungsmanagement und der Förderung institutionsübergreifender Kompetenzen der politischen Akteure vor.

Das Eis schmilzt dahin

In Zukunft werde es nur funktionieren, "wenn bei allen beschlossenen Maßnahmen Klimaschutz, Erhalt der Biodiversität und soziale Vorteile für die Menschen vor Ort gleichzeitig verfolgt werden", so Pörtner.

Besonders spürbar wurde die Krise im Sommer 2022, der der heißeste in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen war, vermeldet der Klimawandel-Dienst. Für 2023 deutet sich zumindest für Teile des Kontinents erneut eine schwierige Lage ab. Die anhaltende Trockenheit werde "wahrscheinlich" zu sinkenden Ernteerträgen führen.

Und das Eis schmilzt dahin. Die Gletscher in den Alpen verloren mehr als fünf Kubikkilometer ihrer Masse. In Grönland und in der Antarktis hat sich der Eisverlust seit den 1990er-Jahren verfünffacht, teilte unterdessen die europäische Raumfahrtbehörde ESA am Donnerstag mit. Durch das Abschmelzen sei der Meeresspiegel seither um 21 Millimeter angestiegen.