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Treue ist Schönwetter-Phänomen

Von Frank Ufen

Wissen

Laut Ornithologen neigen Vögel wegen des Klimawandels eher zu "Seitenflügen".


Marne/Holstein. Vögel gehören zu den besten Wetterpropheten überhaupt. Das müssen sie auch sein, denn ihr Überleben hängt davon ab, dass sie Wetterumschwünge frühzeitig erkennen. Vor einiger Zeit hat der kolumbianische Ornithologe Carlos Botero (National Evolutionry Synthesis Center in North Carolina) entdeckt, dass Spottdrossel-Männchen sich beim Zwitschern immer dann mächtig ins Zeug legen, wenn die Witterung rau und unbeständig ist. Dass die Männchen sich so anstrengen, liegt an den Weibchen, die bei der Partnerwahl besonders hohe Ansprüche stellen, wenn die Zeiten hart sind.

"Männchen, die kompliziertere Lieder singen", sagt Botero, "tragen tendenziell weniger Parasiten und haben Nachkommen mit höheren Überlebenschancen." Kürzlich hat Botero untersucht, in welchem Maße sich Wetter und Klima auf das Liebesleben in der Vogelwelt auswirken. Er berichtet über seine Forschungsergebnisse in der neusten Ausgabe des Fachjournals "PloS ONE".

Botero und seine Mitarbeiter haben über mehrere Jahre hinweg das Paarungsverhalten von mehr als 200 Vogelarten erforscht - darunter Schwalben, Meisen, Hüttensänger, Grasmücken, Falken, Spatzen, Enten, Gänse und Möwen. Die Untersuchung war beschränkt auf solche Arten, bei denen Weibchen und Männchen in aller Regel mindestens ein Jahr zusammenleben und sich gemeinsam um die Versorgung des Nachwuchses kümmern.

Die Forscher fanden zum einen heraus, welche Weibchen ihrem Partner untreu geworden und Kuckuckskinder zur Welt gebracht hatten und welche Weibchen ihrem Partner den Laufpass gaben, sobald eine Brutsaison zu Ende ging. Die Forscher befassten sich zum anderen mit den Wetter- und Klimaverhältnissen, denen die Weibchen in diesem Zeitraum ausgesetzt waren.

Das Team stellte fest: Sexuelle Treue bei monogamen Vögeln ist ein Schönwetter-Phänomen. Denn bei jenen Arten, die im Laufe des Jahres mit den größten Temperaturunterschieden konfrontiert waren, war die Zahl der Seitensprünge am höchsten. Und am häufigsten zu Scheidungen kam es bei jenen Arten, die am meisten unter unberechenbaren klimatischen Schwankungen zu leiden hatten.

Genetische Vielfalt größer

Boteros schlüssige Erklärung: Wenn die Weibchen öfter neue sexuelle Beziehungen eingehen, bekommen sie Nachwuchs, der von verschiedenen Vätern stammt. Dadurch ist die genetische Vielfalt der Nachkommen größer, die Chancen stehen nicht schlecht, dass einer von ihnen überleben wird. "Wenn sich Vögel mit mehreren Partnern paaren," sagt Botero, "dann steigen die Chancen, dass zumindest eines der Jungen über die passenden Gene verfügt, um mit wechselhaften Bedingungen zurechtzukommen. Je unvorhersehbarer die Umwelt ist, desto eher lassen sich monogame Vögel wieder scheiden."

Botero nimmt übrigens an, dass der globale Klimawandel dazu führen wird, dass sich mehr Weibchen auf sexuelle Eskapaden einlassen werden. "Als Folge des Klimawandels", erklärt er, "sind die Wettermuster unvorhersehbarer geworden, extreme Wetterereignisse häufen sich." Und hierauf werden sich die wetterfühligen Vögel früher oder später einstellen müssen.