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Trügerische Klimawandel-Pause

Von Heiner Boberski

Wissen

Erwärmung erfasst derzeit weniger erdnahe Luftschichten, sondern Ozeane.


Wien. Scheinbar widersprüchliche Meldungen zum Thema Klimawandel dringen Woche für Woche an die Öffentlichkeit. Eher beruhigend klingt bei oberflächlichem Hinhören, dass die Durchschnittstemperaturen in den letzten Jahren nicht mehr so stark gestiegen sind wie vor der Jahrtausendwende, dass man da und dort wieder einen Zuwachs an Gletschereis entdeckt hat und die sommerliche Eisschmelze in der Arktis heuer weniger dramatisch als 2012 ausgefallen ist. Auf der anderen Seite ergab kürzlich eine Studie, dass der Klimawandel 2012 jedes zweite Extremwetter-Phänomen (Dürren, Regenfälle, Stürme) verstärkt habe. Und die Gletscher Nordost-Grönlands schmolzen heuer im Rekordtempo dahin, meldet die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik: Der Durchschnittsverlust der vergangenen Jahre wurde um das Dreifache übertroffen. Am Ortler in Südtirol wurde gerade ermittelt, wie sehr die globale Erwärmung bereits den tieferen Innenschichten des Gletschers zusetzt.

Vom neuen Bericht des Weltklimarats IPCC, dessen erster Teil am nächsten Freitag in Stockholm vorgelegt wird, ist jedenfalls keine Entwarnung zu erwarten. "Der Klimawandel macht keineswegs eine Pause", betont Guy Brasseur, Leiter des Climate Service Center in Hamburg und ein Hauptautor des vorigen IPCC-Berichts aus dem Jahr 2007. Die Erde nehme durch die Treibhausgase von der Sonne weiterhin sehr viel Energie auf, "nur erwärmt sie derzeit eben nicht so sehr die Luftschichten über dem Erdboden, sondern die Ozeane", so Brasseur.

Eine mögliche längere Pause in der Erderwärmung aufgrund von Ozeanströmungen hat bereits 2008 in einem "Nature"-Beitrag ein Team um den Klimaforscher Mojib Latif (Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel) in Betracht gezogen. Dabei dürfte nach neuesten Analysen der Pazifik eine wesentlich wichtigere Rolle spielen als der Atlantik. Aus Sicht von Latif hat sich die Situation gedreht: In den 1980er und 1990er Jahren gaben die Ozeane Wärme ab und beschleunigten den Temperaturanstieg der Luft, derzeit ist es umgekehrt. Mit Sicherheit würden aber die Ozeane eines Tages wieder vermehrt Wärme abgeben, was sich in höheren Lufttemperaturen auswirken werde.

Ulrich Cubasch, Klimaforscher an der Freien Universität Berlin und einer der beiden Hauptautoren für die Einleitung des neuen Klimaberichts, ortet als große Fragezeichen der Klimaforschung "vor allem die Ozeane, aber auch die Wolken und die Staubteilchen in der Atmosphäre". Dazugelernt habe man beim Meeresspiegelanstieg, im letzten Bericht habe man "das Abschmelzen des Grönlandeises vielleicht unterschätzt".

Hoher Einfluss des Menschen

Für den neuen Gesamtreport haben 830 Autoren tausende Studien analysiert, am mehrmals überarbeiteten ersten Teil, der etwa 2000 Seiten umfasst, waren 259 Autoren beteiligt. Dieser Teil beleuchtet die wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels, dokumentiert vergangene und skizziert voraussichtliche künftige Entwicklungen bei Temperaturen, Ozeanen und Gletschern. Von Montag bis Donnerstag werden Regierungsvertreter um den Wortlaut einer Kurzfassung von rund 30 Seiten ringen. Dass der Einfluss des Menschen auf die bisherigen Entwicklungen mehr als 50 Prozent beträgt, wie es im Entwurf zum Report heißt, hören manche bekanntlich nicht gern.

Dabei hat der Innsbrucker Meteorologe Georg Kaser gerade erst mit US-amerikanischen Forschern im Fachmagazin "Proceedings of the National Academy of Sciences" aufgezeigt, wie schon im 19. Jahrhundert der massiv steigende Ausstoß von Ruß die "Kleine Eiszeit" in den Alpen beendete. Eine aktuelle Studie unter Beteiligung von Wissenschaftern des Internationalen Instituts für Systemanalyse in Laxenburg bei Wien macht allein das Abfackeln von Gas bei der Ölförderung in der arktischen Region für 42 Prozent der dortigen Rußkonzentration, die natürlich die Eisschmelze beschleunigt, verantwortlich.

Klimaschutz wird teurer

Der Klimawandel trifft aber vor allem Bewohner trockener Gebiete. Ein vom deutschen Experten Dieter Gerten vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK) geleitete Untersuchung kam zu dem Schluss, eine Temperatursteigerung von 3,5 Grad Celsius über den Wert vor Beginn der Industrialisierung würde weltweit für 668 Millionen Menschen die Wasserversorgung bedrohen.

Am PIK wurde errechnet, dass Zögern beim Klimaschutz teuer kommt. Werde erst 2030 gehandelt, könnte sich das globale Wachstum im ersten Jahrzehnt nach den Eingriffen um bis zu 7 Prozent verringern, komme man 2015 auf der Weltklimakonferenz in Paris zu einem Klimavertrag, sei lediglich mit 2 Prozent in einer Übergangsphase zu rechnen. Vordringlich sei, so PIK-Chefökonom Ottmar Edenhofer, ein Preis über 20 (derzeit 5) Euro pro Tonne Kohlendioxid-Ausstoß.

Der zweite Teil des IPCC-Berichts, der im März 2014 in Yokohama in Japan vorgelegt wird, behandelt die Auswirkungen des Klimawandels auf Mensch und Natur sowie Anpassungsmöglichkeiten. Die Präsentation des dritten Teils, der erläutert, wie der Mensch den Klimawandel vermindern könnte, findet im April 2014 in Berlin statt. Zuletzt soll im Oktober 2014 in Kopenhagen ein zusammenfassender Synthesebericht publiziert werden.