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Wie sich der Weltklimarat die Nächte um die Ohren schlägt

Von Heiner Boberski

Wissen

Meteorologe Georg Kaser findet den Arbeitsprozess des IPCC einzigartig.


Wien. Die Erderwärmung ist eindeutig, der Einfluss des Menschen auf das Klimasystem sicher, und eine Begrenzung des Klimawandels erfordert ein substanzielles und nachhaltiges Verringern der Treibhausgase. Das sind drei von 19 Kernaussagen, auf die sich der 1988 entstandene Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel of Climate Change) im Herbst 2013 in Stockholm geeinigt hat, die somit für Wissenschaft und Politik außer Streit stehen. Daran erinnerte am Mittwochabend in Wien Georg Kaser, Meteorologe an der Universität Innsbruck, als er bei der 38. "Am Puls"-Veranstaltung des Wissenschaftsfonds FWF gemeinsam mit Helmut Haberl vom in Wien ansässigen Institut für soziale Ökologie der Uni Klagenfurt die Arbeitsweise des IPCC erklärte. In der Welt von Politik und Wissenschaft sei der Prozess, der zu einem IPCC-Report führt, einmalig, sagt Kaser. Er würde diese Erfahrung auch anderen Forschern als "Läuterungsprozess" für ihre jeweilige Disziplin wünschen. Wenn sich hier die Klimaforscher zusammensetzen, werde nicht wie auf Kongressen manches zurückgehalten, sondern "jeder legt alles offen auf den Tisch", zusammen strebe man das Bestmögliche an. Natürlich setze, wenn man öfter dabei war, ein Ermüdungsprozess ein. Indirekt bestätigte aber Kaser, was Spitzenökonom Jeffrey Sachs jüngst zur "Wiener Zeitung" (13. März) sagte - globale Ziele seien wichtig, weil sie die Richtung von Maßnahmen vorgeben und Regierungen zur Verantwortung ziehen.

Konkret umfasst der aktuelle fünfte IPCC-Bericht mehrere Teile, an denen verschiedene Arbeitsgruppen arbeiten. Liegt nach der Vorarbeit von hunderten Experten, deren Texte zweimal gründlich von Kollegen revidiert wurden, ein Gesamtbericht von etwa 2000 Seiten vor, wird zunächst eine Kurzversion von rund 90 Seiten erstellt. Eine noch kürzere Fassung von 22 Seiten namens SPM (Summary for Policy Makers) wird dann zwischen rund 150 Wissenschaftern und den Repräsentanten der 195 Mitgliedsländer des IPCC Wort für Wort diskutiert, dabei ringt man um Formulierungen, die alle mittragen können. Das dauerte in Stockholm, so Kaser, bis weit in die vorletzte und die letzte Nacht, an deren Beginn erst knapp 50 Prozent außer Streit standen.

Was Kaser als Mitglied der ersten Arbeitsgruppe zu den physikalischen Grundlagen des Klimawandels - die zweite untersuchte die Auswirkungen -, bereits hinter sich hat, steht Helmut Haberl von der dritten Arbeitsgruppe in einigen Wochen in Berlin noch bevor. Er wird es noch schwerer haben, denn seine Gruppe soll konkrete Vorschläge, wie der Klimawandel gebremst werden kann, vorlegen. Gegen manche Vorschläge dürften sich Regierungsvertreter massiv querlegen. Schon im Vorfeld sahen sich die beteiligten Experten mit 136.706 Kommentaren zu ihren Textentwürfen konfrontiert.

Bedrohungsszenarien

Überflutungen sind nur eines der Bedrohungsszenarien, die den Klimawandel begleiten. Wenn der Meeresspiegel im Durchschnitt in den nächsten Jahrzehnten auch nur um ein paar Dezimeter stiege, so Kaser, würde das für ein flaches Küstenland versalzene, in der Folge unfruchtbare Böden und zum Teil unfassbare Flüchtlingsströme - etwa von Bangladesch nach Indien - bedeuten.