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Die Risiken der Langstrecke

Von Roland Knauer

Wissen

Überwintern Zugvögel in Afrika, sind sie mit unterschiedlichsten Problemen konfrontiert.


Berlin. "Um Zugvögel zu schützen, müssen wir auch außerhalb ihrer Brutgebiete etwas tun", schließt Franz Bairlein vom Institut für Vogelforschung in Wilhelmshaven aus aktuellen Studien. Demnach legen die Bestände von Langstrecken-Ziehern wie Kuckucke und Gartenrotschwänze viel häufiger einen steilen Sinkflug hin als Arten, die wie Kohlmeisen und Amseln auch in der kalten Jahreszeit in oder nahe ihrer Heimat bleiben. Die Ursachen für solche Unterschiede sollten also außerhalb der heimischen Brutgebiete zu finden sein, folgert der Ornithologe im Fachblatt "Science".

Auf den langen Strecken zwischen ihren Nestern in Nord- oder Mitteleuropa und den afrikanischen Regionen südlich der Sahara, in denen viele Zugvögel den Winter verbringen, gebe es auch viele Risiken, so Gabriel Schwaderer von der Naturschutzstiftung Euronatur in Radolfzell am Bodensee. Solche Gefahren lassen sich für viele Arten bisher nur schwer einschätzen, weil zwar die Flugrouten großer, auffälliger Vögel wie Störche und Kraniche recht gut bekannt sind, nicht aber die Zugstrecken der viel häufigeren kleinen und unauffälligen Arten.

Nur Teilschuld für Jäger

Tauchen von solchen Arten jedes Jahr weniger Tiere in ihren Brutgebieten wieder auf, könnten sie auf der Reise in Schwierigkeiten geraten sein. Was ihnen aber passiert ist, darüber tappen die Forscher häufig im Dunkeln. Dazu müsste man ihnen Sender auf den Rücken schnallen. "Bei Wanderfalken aus Sibirien verschwanden solche Peilsignale relativ häufig in bestimmten Gebieten in Afrika und Asien, in denen solche Vögel häufig gefangen werden", berichtet Martin Wikelski von der Uni Konstanz. Tragen also Jäger Schuld am Schwinden vieler Zugvögel? Nach aktuellen Schätzungen sterben im Mittelmeerraum jährlich bis zu 36 Millionen Zugvögel durch illegale Aktivitäten. Mit eklatanten Folgen: So rasten vor ihrer Weiterreise über Mittelmeer und Sahara mehr als 240 Vogelarten im Sumpfgebiet Hutovo Blato im Süden von Bosnien-Herzegowina. Bis 2012 schossen Wilderer dort massenweise Vögel, unter denen auch vom Aussterben bedrohte Arten wie die Moorente waren. "Seit 2013 unterstützt Euronatur den Naturpark beim Überwachen des Jagdverbots, die Wilderei ist nahezu verschwunden", erklärt Schwaderer. Seither zählen die Naturschützer in der kalten Jahreszeit zehnmal mehr Vögel im Schutzgebiet.

Trotzdem wird ein Eindämmen der Jagd die Situation der Zugvögel aus Mitteleuropa nicht wesentlich verbessern, vermutet Bairlein. Dafür seien weitere Ursachen verantwortlich. In vielen Regionen verschwinde der Lebensraum der Tiere. So rasten viele Zugvögel in Sümpfen und auf Seen und fressen sich dort Speck vor dem anstrengenden Flug nach Süden an. Allein an der Ostküste der Adria aber seien in den letzten hundert Jahren drei Viertel der Feuchtgebiete verschwunden. Werden aber Sümpfe trockengelegt, um dort Landwirtschaft zu betreiben, verlieren die Zugvögel ihre Tankstelle auf dem Weg ins Winterquartier und auf dem Nachhauseweg im Frühjahr.

Die Saline Ulcinj in Montenegro ist ein wichtiger Rastplatz für Zugvögel. Solange die Tiere in dieser früheren Lagune genug Futter finden, stört es sie wenig, wenn dort zeitgleich Salz gewonnen wird. "Bauen dort aber Investoren wie geplant Hotels, verlieren die Vögel einen ihrer letzten Rastplätze der Region", so Schwaderer.

Winterquartiere in Gefahr

Daneben sind auch die Winterquartiere der Zugvögel in Gefahr. Allein zwischen 1975 und 2000 wurde jährlich mit fast 50.000 Quadratkilometern ein Gebiet größer als die Schweiz in den Regionen Afrikas südlich der Sahara in Äcker und Weiden umgewandelt. Verschwinden dort Wälder und Savannen, verlieren viele Zugvögel aus Europa ihre Nahrungsquelle im Winter. Solche Veränderungen des Lebensraums seien derzeit das größte Problem für Langstreckenzieher, vermutet Bairlein. Jedoch fehlen für viele Arten immer noch zentrale Informationen: Wo ziehen sie nach Süden? Wo überwintern sie? Welche Gefahren lauern auf dem Weg und in den Winterquartieren? Hierfür sind Sender nötig.

In der Zwischenzeit müssen die bereits bekannten Probleme für Langstrecken-Reisende angegangen werden, betonen die Forscher. So nutzen manche Zugvögel im südlichen Sahel-Gebiet oft die weit ausladenden Kronen bestimmter Akazien-Arten. Im Schatten dieser Bäume bleibt auch mehr Feuchtigkeit im Boden, was dem Vieh zugutekommt, das die Hirten dort weiden lassen. Erklären Entwicklungshelfer solche Zusammenhänge der Bevölkerung, werden die Menschen sich für den Schutz dieser Akazien einsetzen. Zugvögel aus Europa und afrikanische Bauern profitieren gleichermaßen.