Zum Hauptinhalt springen

"Neue Eiszeit werden wir nicht haben"

Von Eva Stanzl

Wissen
"Arktische Lawine": Steven Chu ist ein humorvoller Mann - aber mit einer ernsten Botschaft.
© reu/Ernst

Der Klimawandel könnte die Erde noch härter treffen, als die Modelle vorhersagen - EU und China müssen Druck auf eine Regierung Donald Trump aufbauen, sagt der ehemalige US-Energieminister und Physik-Nobelpreisträger Steven Chu.


Wien. Stellen Sie sich vor, Sie haben Beschwerden und gehen zum Arzt. Nach umfassenden Untersuchungen stellt er die Diagnose Diabetes Typ 2. Würden Sie ihm entgegnen: "Sie lügen", den Befund ignorieren, weiterhin täglich Kuchen essen und behaupten, Diabetes sei eine Erfindung der Chinesen? Wenn ja, dann würden Sie sich so verhalten wie der designierte US-Präsident Donald Trump, der den Klimawandel als Schwindel bezeichnet.

Anders als Trump würde der Quantenphysiker Steven Chu reagieren, der in der Regierung Barack Obama 1 von 2009 bis 2013 das Amt des Energieministers innehatte. "Bei einer ernsten Diagnose würde ich eine zweite Meinung einholen. Danach würde ich aber keine weiteren 10.000 Ärzte konsultieren in der Hoffnung, dass mir irgendeiner beste Gesundheit bescheinigt", sagte Chu am Mittwoch scherzhaft vor Journalisten - und ernst: "Ich weiß nicht, wie viele Meinungen Donald Trump zum Klimawandel eingeholt hat. Aber einige Leute stemmen sich gegen die Klimaprognosen - hier scheint es eine Korrelation mit der Ölindustrie zu geben." Ähnlich wie Vertreter der Tabakindustrie würden auch sie eine Illusion trotz erdrückender Beweise so lange wie möglich aufrechterhalten.

"Das meiste ist Quatsch"

Ganz genau so geschehen am Sonntagabend, als Reince Priebus, der designierte Stabschef des künftigen US-Präsidenten, Amerikas harte Haltung gegen den Klimawandel bekräftigte. Trump hatte zuvor in einem Interview mit der "New York Times" die Abtrünnigkeit begangen, eine unvoreingenommene Haltung zum Pariser Klimaabkommen in Aussicht zu stellen, anstatt gemäß seiner Wahlkampfrhetorik rundweg aus den Klimazielen auszusteigen. "Das Einzige, was er (Trump) gemeint hat, ist, dass er sich unvoreingenommen alle Positionen anhören wird, von denen die meisten Quatsch sind, aber es bleibt bei Nichteinhaltung", sagte Priebus. Soll heißen: Oberstes Ziel sei die Wettbewerbsfähigkeit der US-Industrie und kein Klimaabkommen werde dies verhindern.

Der Physik-Nobelpreisträger Chu, der am Mittwochabend am Institute of Science and Technology in Maria Gugging zum Thema "Klimawandel, saubere Energie und Nanotechnologie für Energie" referierte, ist der Ansicht, dass ein Nein zu den Klimazielen nicht so ohne weiteres möglich ist. "Es scheint so zu sein, dass ein Ausstieg erst in drei Jahren wirksam wird", sagte er. Trump könnte allerdings bereits jetzt von Präsident Obama gesetzte Schritte zurückfahren, und das könne sehr bald Schaden anrichten. "Leider haben wir nicht die Zeit, das Ende seiner Amtszeit abzuwarten, um danach unsere Bemühungen wieder aufzunehmen", warnt Chu.

Sensibles Erdklima

Der Wissenschafter, der 1997 den Nobelpreis für Physik für das Kühlen und Einfangen von Atomen mit Laserlicht erhielt und heute an der Universität Stanford tätig ist, warnt, dass der Klimawandel die Erde noch härter treffen könnte, als selbst die besten Klimamodelle vorhersagen. Er nennt ein Beispiel: Noch vor zehn Jahren hatten Forscher angenommen, dass die Antarktis vereisen würde. Heute aber schmilzt dort das ewige Eis mit ungeahnter Geschwindigkeit. "Eine neue Eiszeit wird sicher nicht kommen", sagte Chu: Vielmehr schmelze das Küsteneis ab und rutsche Festland-Eis "wie eine Lawine mit vier Kilometern pro Jahr nach. Unsere Urenkel werden große Schwierigkeiten haben mit der Erwärmung, und wir wissen nicht punktgenau, wie stark sich die Temperaturen nach oben entwickeln und wie die Biosphäre darauf reagiert. Alles, was wir wissen, ist, dass das Erdklima sensibler reagiert, als unsere Modelle bisher vorhergesagt haben."

Chu ist allerdings der Ansicht, dass eine Klima-Einigung auch innerhalb der EU ohne die USA möglich ist und "zumindest die chinesische Zentralregierung nach Lösungen für das Energiesystem der Zukunft sucht". Wäre die Welthandelsorganisation WTO mit an Bord, würde sie wohl keinen Einspruch im Sinne eines fairen Wettbewerbs erheben. Es liege an China und der EU, Druck auf die USA aufzubauen.

Der beste Weg für die USA wäre laut Chu, zusammen mit der EU und China einen sinnvollen Preis für die Kohlendioxid-Emissionen festzulegen. Würden wichtige Wirtschaftsmächte einen solchen - nicht zu niedrigen - Preis einführen und etwa Importzölle oder Steuern auf Waren aus den USA in ungefähr gleichem Ausmaß erhöhen oder neu einführen, würde das die US-Wirtschaft und Trump zum Handeln zwingen - auch wenn dieser nicht an den Klimawandel glaubt. Allerdings: "Bei Donald Trump bin ich mir gar nicht sicher - immerhin hat er Golfplätze direkt am Meer und baut Mauern um sie herum, damit sie nicht von der See überflutet werden", räumte Chu ein.

Für den Experten ist die Energiewende eine ökonomische Chance, da sie Innovationen hervorbringt. Ein Opfer wären aber die Anfangsinvestitionen und die Umstellung. "Eine Anhebung von fünf auf 20 Prozent erneuerbare Energien ist o.k. - aber eine Steigerung auf 50 Prozent plus ist schwieriger, denn Sonne und Wind gibt es nicht überall und nicht ständig. Keine Fabrik und kein Unternehmen ist bereit, Pausen zu machen, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Wir brauchen ein Back-up durch Wasser, Atomkraft und fossile Energien mit CO2-Sequestrierung oder noch besser CO2-Recycling." (CO2-Sequestrierung ist die Senkung von Emissionen durch Abspaltung im Kraftwerk und die unterirdische Einlagerung).

Einen Durchbruch könnten Lithium-Batterien für Elektroautos darstellen, an denen Chu derzeit arbeitet. Schon in zehn bis 15 Jahren könnte es, wie er in Aussicht stellt, E-Autos geben, die sich minutenschnell aufladen - allerdings sei diese Arbeit derzeit noch nicht publiziert.