Zum Hauptinhalt springen

Die unsichtbare Gefahr im Essen

Von Eva Stanzl

Wissen

Plastik in immer mehr Nahrungsmitteln und sogar im Trinkwasser - für die Gesundheit könnten die Folgen verheerend sein.


In etwa 8,3 Milliarden Tonnen Plastik gibt es derzeit auf der Welt. Das ist so viel, wie 822.000 Eiffeltürme auf eine gigantische Waage brächten. Würde ein Baumeister aber neben dem Pariser Wahrzeichen eine Replik aus Kunststoff errichten, bestünde sie weitaus kürzer als das 1889 fertiggestellte Original. Sonne, Wind und Wetter würden ihr schneller zusetzen als dem Vorbild aus Schmiedeeisen. Schon nach ein paar Jahren bis Jahrzehnten wäre die Oberfläche der Nachbildung chemisch verändert und ausgeblichen, die Nähte wären ausgeleiert, die Kanten abgescheuert. Partikel des Erdöl-Derivats würden sich lösen, sich mit Wind und Regen in die Umwelt verteilen und dort Überresten von Polyesterjacken, zerriebenen Autoreifen, Fäden von Plastiktischtüchern und Fragmenten weggeworfener Sackerln Gesellschaft leisten.

Mikroplastik in Pasta, Honig und Meersalz

"Mikroplastik findet sich in allen Elementen: Erde, Wasser, Luft - nur im Feuer nicht", betont Maria Leidemann, Umweltberaterin beim Bayerischen Verbraucherservice, in der "Huffington Post". Die winzigen Kunststoffteilchen, die kleiner als fünf Mikrometer sind, entstehen, wenn Alltagsgegenstände zerfallen und zu winzigen Teilchen zerbröseln.

Bis zu 30 Millionen Tonnen Plastikmüll aus Industrie und Haushalt landen jedes Jahr in den Weltmeeren. Hinzu kommen Kunststoff-Partikel als Binde- und Schleifmittel, Füllstoffe und Weichmacher in Shampoos, Zahnpasten, Peelings und Waschmitteln. Zusammen mit Polyester- und Polyacrylfasern aus maschinengewaschener Kleidung werden sie die Abflüsse hinuntergespült und fließen von Klärfiltern unbemerkt in Flüsse und Ozeane. UV-Licht, Salzwasser, Wellenbewegung und Wind sorgen dafür, dass sie zu immer kleineren Partikeln zerfallen. Fische, Mollusken und andere Wassertiere schlucken oder filtern die Kunststoff-Teilchen, können sie aber nicht abbauen. Die Meerestiere landen dann auf unseren Tellern, gerne mit Meersalz gewürzt, in dem ebenfalls Kunststoffpartikel nachgewiesen wurden.

Plastik gelangt auch in die Böden, Boden-Organismen und Pflanzen. Über Verpackungen ist es ein fixer Bestandteil der Lieferkette. Erst am Mittwoch musste das heimische Unternehmen Vegan Vital Food exportierte Teigwaren aus deutschen Supermärkten zurückrufen. In darin enthaltenen Biozwiebeln der belgischen Zulieferfirma Ardo war Plastik gefunden worden. Der Präsident des internationalen Tankreinigungsverbands Enfit, Hans-Dieter Philipowski, verwies im Zusammenhang mit kontaminierten Lebensmitteln auf eine unzureichende Reinigung der Tanksilos. Eine Arbeitsgruppe der EU befasse sich nun mit der Frage nach einheitlichen Standards und der Rückverfolgbarkeit von Verunreinigungen beim Transport.

Bereits 2013 hatten Wissenschafter der Universität Oldenburg Mikroplastik in Honig nachgewiesen. Sie gehen davon aus, dass sich die winzigen Kunststoffteilchen aus der Atmosphäre auf Pflanzen und Blüten niederschlagen. Dort nehmen die Bienen sie mit den Pollen auf und tragen sie in die Bienenstöcke. Aber auch mehrere tausend Mikropartikel pro Kubikmeter in der Raumluft der Hersteller-Fabriken könnten zur Verunreinigung von Honig beitragen. Im Rahmen der Studie fand das Forschungsteam Mikrofaserpartikel auch im haushaltsüblichen Zucker.

Die für das freie Auge nicht sichtbaren Partikel wurden sogar im Trinkwasser nachgewiesen. Eine zum Teil erhebliche Konzentration fand ein US-Team jüngst in Wasser, das namhafte Hersteller wie Gerolsteiner, Evian, Nestle oder San Pellegrino in Plastikflaschen abgefüllt hatten. In 93 Prozent der 250 Wasserproben fanden sie Rückstände von Polypropylen, Nylon oder Polyethylenterephthalat (PET) in Konzentrationen von null bis 10.000 Partikel pro Flasche. Die Forscher der New York State University gehen davon aus, dass die Teilchen beim Abfüllprozess ins Wasser gelangt sind.

Jeder Mensch nimmt täglich Plastikpartikel zu sich, die er weder sieht noch spürt. Was diese Gefahr, die niemand wahrnimmt, im Körper bewirkt, ist wenig erforscht. Sie stehen im Verdacht, die Symptome von ADHS und Autismus zu verstärken, die Spermienproduktion abzusenken und das Krebsrisiko zu erhöhen. Noch gibt es allerdings keinen Nachweis, denn die Wissenschaft beginnt erst, die gesundheitlichen Folgen von Mikroplastik für den Menschen zu untersuchen. "Unklar ist auch, in welchem Umfang den Kunststoffen zugesetzte Verbindungen aus Mikroplastikpartikeln in einen Organismus übergehen und welche Folgen das hat. Unklar ist ebenso, inwiefern Mikroplastikpartikel als Transportmittel für andere Schadstoffe, invasive Organismen und Pathogene dienen", schreibt die deutsche Lebensmittelchemikerin Annette Rexroth vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Bonn in der Fachzeitschrift "Ernährung im Fokus".

Polyethylen und Polypropylen, die beiden häufigsten Standardkunststoffe für Verpackungen auf Erdöl-Basis, bestehen aus verketteten Molekülen, in denen etwaige Schadstoffe weitgehend stabil gebunden sind. Diese verbundenen Moleküle gelten als für Menschen ungefährlich: Größere Teilchen wandern in der Regel unverdaut durch das System und werden ausgeschieden. "Niemand weiß allerdings, welche Komponenten freigesetzt werden und welche Substanzen in unserem Körper ankommen, wenn die Kunststoffpartikel die Nahrungskette mehrere Male durchlaufen", gibt Hanns Michael Moshammer von der Abteilung für Umweltmedizin der Medizinuniversität Wien zu bedenken.

"Welche chemischen Veränderungen Plastikteilchen erfahren, wenn sie zuerst von Verdauungsenzymen von Regenwürmern bearbeitet werden, dann mit Plankton und Fischen durch die Brandung reisen, dann von der menschlichen Magensäure attackiert werden und das Ganze mehrere Male, ist unbekannt", sagt Moshammer. Durchaus möglich sei, dass gebundene Polymere irgend wann wieder zu Monomeren zerfallen. Diese Einzelmoleküle gelten als reaktiv, teilweise toxisch und sogar krebserregend, somit als giftiger als die verbundenen Ausgangssubstanzen. "Es ist schaurig, was passiert, und wir wissen noch viel zu wenig über die Langzeitfolgen", warnt der Umweltmediziner.

Offen ist auch, ob sich die Partikel irgendwann nicht doch im Gewebe einlagern können, wenn sie nur winzig genug werden. "Mikroplastik in Nanometer-Größe könnte über Phagozytose von den Zellen aufgenommen werden, von dort weiter migrieren und Schaden anrichten", sagt er.

Klarer belegt ist die schädliche Wirkung anderer Inhaltsstoffe. Chemische Substanzen bringen Kunststoffe nämlich für bestimmte Funktionen in Form. UV-Schutz macht Plastikgartenstühle sonnenbeständiger. Farben und Lacke färben Kinderspielzeuge bunt. Duftstoffe verleihen Badeenten Vanillegeruch, Weichmacher machen fast jeden Kunststoff geschmeidig. "Der Körper versucht, diese Substanzen zu verarbeiten. Dabei können aber noch giftigere Stoffe entstehen", warnt Hans-Peter Hutter vom Zentrum für Public Health der Medizinuni Wien.

Zusätzliche Inhaltsstoffe schädigen Hormonsystem

Der Weichmacher Bisphenol A etwa öffnet die Tür zur Östrogen-Wirkung in den Zellen. Normalerweise darf nur das reine Östrogen-Molekül aus den Eierstöcken durch diesen Rezeptor eintreten. Doch nun drängt sich auch das Bisphenol A-Molekül durch die Tür. Das Ergebnis ist zu viel Östrogen im Körper. Der Weichmacher wird außerdem mit Stoffwechsel-Störungen und Diabetes Typ 2 in Verbindung gebracht.

Wenn Kinder beim Krabbeln die Finger in den Mund nehmen, schlucken sie unter anderem Staub. Problemstoffe aus Plastik, die dem Staub anhaften, könnten mit ihm vom Darm resorbiert werden. "Es ist unvermeidbar, diese Stoffe aufzunehmen. Sie befinden sich so wie die Rußpartikel sogar in der Atemluft", sagt Hutter: "Wenn zu viele Plastik-Partikel nachkommen, ist die Immunabwehr überfordert." Niemand weiß, mit welchen Folgen.