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"Gen-Schere am Embryo bringt keinen Nutzen"

Von Eva Stanzl

Wissen

Der Gynäkologe WIlfried Feichtinger über die Zukunft der Elternschaft und Genmanipulationen.


Wien. Nach der angeblichen Geburt der ersten genmanipulierten Babys der Welt hat die chinesische Regierung dem Biomediziner He Jiankui weitere Forschungsaktivitäten untersagt. He hatte in einem YouTube-Video verkündet, mit der Gen-Schere CRISPR/Cas9 Embryonen gegen HIV resistent gemacht zu haben. Die Nachricht sorgte weltweit für Entsetzen und wirft ethische Fragen über die Zukunft der Elternschaft auf. Doch wie sinnvoll ist es tatsächlich, vor der Geburt die Gen-Schere anzusetzen? Der Wiener Reproduktionsmediziner Wilfried Feichtinger sieht den Nutzen nicht.

"Wiener Zeitung": Wissenschafter in China wollen Embryonen mit der Gen-Schere CRISPR/Cas 9 manipuliert haben. Was bedeutet das für die Zukunft der Elternschaft?

Wilfried Feichtinger: Ich bezweifle den Wahrheitsgehalt dieser Nachricht, zumal es keine seriöse wissenschaftliche Publikation zu geben scheint. Die Nachricht erinnert mich an ähnliche Sensationsmeldungen unter anderem aus Korea, die sich später als falsch entpuppten. Außerdem ist es ein unnötiges Unterfangen.

Inwiefern unnötig?

Erstens kann man vermeiden, sich mit HIV anzustecken. Das ist in Europa zwar sicher leichter als etwa in Afrika, aber in jeder Region der Welt ist ein genetischer Eingriff am Embryo die komplexeste Lösung. Wenn wie angeblich im Fall der chinesischen Zwillingsmädchen der Vater HIV-positiv ist, kann man die Weitergabe der Erkrankung über die normale künstliche Befruchtung durch In vitro Fertilisation (IVF) verhindern. Das Virus wird nämlich nicht durch das Spermium auf die Eizelle übertragen, sondern über das Sperma. Diese Flüssigkeit ist infektiös, nicht aber die Samenzelle, die die Eizelle befruchtet.

Wie stehen Sie zu der Idee, mit der Gen-Schere CRISPR/Cas9 das Erbgut von Embryonen zu ändern?

Es ist keine gute Idee, weil es eine Grenzüberschreitung ist. Außerdem ist es unnotwendig. Denn es geht immer nur mit anschließender IVF und da kann man mit Hilfe von Präimplantationsdiagnostik (Diagnose an Eizellen im Labor vor dem Einsetzen in den Mutterleib, Anm.) ohnehin gesunde Eizellen aussuchen. Nur wenn es gar keine gesunden Embryonen gäbe, könnte man theoretisch als letzte Möglichkeit die Gene reparieren.

Welche genetischen Untersuchungen dürfen in Österreich am Embryo gemacht werden?

In Österreich ist Präimplantationsdiagnostik am Embryo nur für Erbkrankheiten erlaubt, die schon früh zum Tod oder zur schweren Behinderung des Kindes führen. Erkrankungen wie zystische Fibrose oder Chorea Huntington, die erst später auftreten, das Leben jedoch äußerst mühsam machen, dürfen nicht diagnostiziert werden. Auch das Geschlecht dürfen wir nur aussuchen, wenn eine schwere Erbkrankheit an eines der beiden Geschlechter gebunden ist. Der Goldstandard in der Branche: Wo erlaubt, suchen wir die besten Embryonen aus. Nicht in Österreich, aber in den USA werden diese auf Wunsch der Eltern bereits auf Brustkrebs-Risiko oder familiäre Darmpolyposis getestet.

Welche Zukunft ergibt sich daraus für Familie und Gesellschaft?

Es ist sicher besser, Babys ohne genetisches Brustkrebs-Risiko zur Welt zu bringen, als sich wie Angelina Jolie im Erwachsenenalter beide Brüste amputieren zu lassen. In diesem Fall ist die Selektion im Labor eine Gesundheitsvorsorge zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Was die Folge sein wird, ist schwer zu sagen, weil es derzeit erstmals ausprobiert wird. Weitaus skeptischer bin ich bei genetischer Manipulation, weil man nicht weiß, was man damit erzeugt. So gut CRISPR/Cas 9 angeblich funktioniert, so unmöglich ist es, sich auszumalen wie sich die Kinder und Kindeskinder weiterentwickeln werden und ob ihnen etwas Unerwartetes fehlen wird. Ich würde das nie am Menschen probieren.

Der deutsche Philosoph Dieter Birnbacher warf diese Woche bei einer Fachtagung in Wien die Problematik auf, dass heute im Labor Dinge, für die die Evolution sehr lange brauchte, sehr schnell verändert werden. Ist das gefährlich?

Ich kann es nicht einschätzen, gebe aber zu bedenken, dass auch die Natur jede Menge Zufälligkeiten auf Lager hat - um auf Aids und HIV zurückzukommen, das in den 1980er Jahren wie aus dem Nichts aufgetaucht ist. Auch kann niemand sagen, wie sich resistente Bakterien entwickeln werden.

Können Sie blonde Haare und blaue Augen erzeugen?

Das ist doch sinnlos. Auch wenn der eine oder die andere vielleicht diesen Wunsch hätte, bringt das nichts. Wenn jemand Gedanken hegt, gute Soldaten oder nur athletische, blonde Kinder zu zeugen, ist das jenseits aller Grenzen ganz abgesehen von der historischen Belastung. Das wäre gegen die natürliche Evolution und gegen die Mendelschen Gesetze. Brustkrebs ist eine Krankheit - die Haarfarbe nicht.

Frauen bekommen immer später Kinder. Lassen sich Eizellen genetisch verjüngen?

Ja. Dabei nimmt man die Eizelle einer jungen Frau, entkernt diese und setzt den Zellkern der älteren Frau mit Kinderwunsch in die junge Hülle. Diese soll das genetische Material der Älteren aufnehmen und eine Befruchtung ermöglichen. Einfacher ist es aber, zu testen, wie lange eine Frau fertil sein wird. In bestimmten Genenloci ist die Dauer der Fruchtbarkeit festgeschrieben. Wir haben einen Test entwickelt, der anzeigt, ob eine Frau Gefahr läuft, verfrüht in den Wechsel zu kommen. Mit diesem Wissen könnte sie die Familienplanung angehen oder ihre Eizellen auf Eis legen. Über das Next Generation Sequencing kann man überdies aus einem Bluttest praktisch alle Krankheitsrisiken herauslesen - sogar jene von Babys.