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Woher die Impfskepsis kommt

Von Eva Stanzl

Wissen

Weltweit gibt es immer mehr Fälle von Masern, weil sich die Menschen nicht impfen lassen. Wie ist das passiert?


Sie sind eine Erfolgsgeschichte der Medizin und haben Kinderlähmung und Pocken in westlichen Ländern ausradiert. Dennoch sagen heute viele Menschen nein zu Impfungen. Weltweit gibt es daher immer mehr Fälle von Masern statt immer weniger. Die steigende Anzahl der Infektionen alarmiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Allein bis November gab es um zehn Prozent mehr Fälle als im Vorjahr, berichtet die UNO-Organisation in Genf.

2017 starben 110.000 Personen an der fieberhaften Krankheit mit den roten Tupfen, die meisten waren Kinder. Mindestens 6,7 Millionen Menschen erkrankten - um 30 Prozent mehr als im Jahr davor. Eine deprimierende Bilanz, wenn man sie daran misst, dass die WHO die Masern bis 2020 eliminieren wollte. Allerdings konnte das Ziel in 37 von 53 Staaten der europäischen WHO-Region erreicht werden. Nicht aber Österreich - hier wurden im Vorjahr 95 Fälle registriert. Warum?

Althergebrachte Vorstellungen

Die Impfskepsis ist zum Teil althergebrachten Vorstellungen geschuldet. Vor der Einführung der Dreifach-Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln in den 1970er Jahren galten Masern als Kinderkrankheit wie jede andere. Da die meisten Menschen sie unbeschadet überstanden, wurde sie nicht problematisiert. "In einem von sieben Fällen führt diese höchst ansteckende Infektion aber zum Tod oder zu Komplikationen. Dazu zählen schleichende Gehirnhautentzündung oder einseitige Taubheit, die man ein Leben lang hat, ohne dass es sofort auffällt", sagt Peter Voitl, Kinderarzt und Leiter des Impfreferats der Wiener Ärztekammer: "Das hat man früher anders akzeptiert als heute."

Für eine Immunität gegen Masern wäre eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent ab dem zehnten Lebensmonat mit zwei Dosen erforderlich. In Österreich werden nur 81 Prozent der Kinder auf diese Weise geimpft.

Die Gefahren durch Infektionskrankheiten werden in den Ländern verschieden bewertet. Während Deutschland gegen den pandemischen Ernstfall Vorsorge trifft und in manchen Regionen die Grippe-Impfstoffe knapp werden, lassen die Österreicher ihre Rationen in den Apothekerkästen. In der Influenza-Saison 2017/2018 wurden 558.000 Dosen abgegeben. Das entspricht einer Durchimpfungsrate von 6,36 Prozent. "Dabei ist das eine Erkrankung, die alljährlich Todesopfer fordert, sagt Gerhard Kobinger von der Österreichischen Apothekerkammer.

Noch 2006/2007 ließen sich 15,36 Prozent der heimischen Bevölkerung gegen die Influenza immunisieren. Da die Impfung jedoch nicht gegen grippale Infekte schützt, die weitaus häufiger vorkommen, scheint es vielen den Stich nicht wert zu sein. Außerdem wirkt die Impfung nicht gegen alle Grippestämme. "Bei der Entscheidung, ob man sich impfen lassen soll oder nicht, wird immer der Nutzen gegen Kosten und Risiken abgewogen", sagt Claudia Wild, Leiterin des Ludwig Boltzmann Instituts für wissenschaftliche Politikberatung. Im Einzelfall können die Risiken tatsächlich erheblich sein. Unter dem Titel "Nebenwirkungen, die im zeitlichen Zusammenhang mit Masern-, Mumps-, Röteln- und Windpocken-Impfungen aufgetreten sind", nennt Medizinautor Bert Ehgartner in seinem Buch "Gute Impfung - Schlechte Impfung" Schmerzen und Schwellung an der Injektionsstelle, Mittelohrentzündung, Hautausschlag, Durchfall, Erbrechen, Bindehaut- oder Gelenksentzündungen und Fieberkrämpfe. Und Kinderarzt Peter Voitl räumt ein: "In Studien der Hersteller kommen vereinzelt Impfschäden vor, etwa Entzündungen des Nervensystems, die bedauerlicherweise anhalten können. Es können auch Eiweiß-Allergien gegen Bestandteile der Vakzine auftreten."

Im Kreuzfeuer der Kritik stehen Aluminiumsalze als Verstärker der Immunantwort, "die auf Grund ihrer langen Anwendungsgeschichte als sicher gelten. Sie wurden jedoch nie nach modernen Kriterien auf ihre Sicherheit geprüft und hier findet sich wissenschaftlich ein blinder Fleck", schreibt Ehgartner. Die Debatte zum Thema wird emotionsgeladen geführt und schließt nicht selten vom Einzelnen auf die Gesamtheit.

"Tragisch", heißt es etwa auf der Startseite der Plattform www.impfen-nein-danke.de: "Der frühere US-Senator von New York und aktive Impf-Politiker, José R. Peralta, starb am 21.11.2018 mit nur 47 Jahren durch die unnütze Grippeimpfung!" Zum Beweis führt ein Link zu einer Facebook-Seite, jedoch zu keiner Studie, die einen Zusammenhang zwischen behaupteter Ursache und Wirkung nachweist. Drastischer noch wird weiter unten auf der Homepage ein "Impfmord" an einem Baby unterstellt. Mahnend appelliert hingegen das Öffentliche Gesundheitsportal Österreichs an die Staatsbürger: "Sich impfen zu lassen, ist nicht nur ein Akt der Eigenverantwortung, sondern auch eine freiwillige solidarische Handlung zum Schutz vulnerabler Mitglieder der Gesellschaft", heißt es auf der Homepage.

Wer soll sich da auskennen, fragen unbedarfte Konsumenten. Immerhin sind sie nicht allein, denn selbst Experten stehen im Wald. Einer Umfrage in deutschsprachigen Ländern zufolge haben selbst Medizinstudenten nach sechs Semestern eine lückenhafte Vorstellung von Immunisierungen.

In einem Gutachten für eine EU-Expertenkommission konstatiert Claudia Wild als Ursache für die "Impfmüdigkeit" nicht nur mangelnde, sondern auch widersprüchliche Information. "Fast alle westlichen Länder sind mit abnehmenden Durchimpfungsraten konfrontiert", erläutert sie. "Sie suchen nach Ursachen und überlegen Maßnahmen. Einheitliche Impfempfehlungen lassen sich allerdings nicht leicht erarbeiten."

Obwohl viele Impfungen auf eine kosteneffektive Art und Weise übertragbaren Krankheiten Einhalt gebieten, seien nicht alle Vakzine für jede Population gleich wirksam oder nötig. "Eine undifferenzierte Beurteilung von Impfgegnern gegen Impfbefürworter greift zu kurz", betont Wild: "Wir brauchen eine rationale Impfpolitik."

Sorge, etwas zu verschlechtern

Bis 2020 will die Stadt Wien den elektronischen Impfpass einführen. "Die Maßnahme wird aber ohne österreichischen und ohne europäischen Impfpass keinen Sinn haben", betont die Expertin für Technikfolgenabschätzung. Dazu müssten sich die Länder zusammensetzen und einen einheitlichen Impfplan erstellen, anstatt jedes für sich eigene Empfehlungen zu machen. "Im elektronischen Impfpass könnten alle Vakzine vermerkt sein mit Informationen über Nebenwirkungen. Dann könnte auch darüber Register geführt werden. Derzeit gibt es keine klare Evidenz, welche Impfungen wann in welcher Kombination gegeben werden können", sagt Wild.

"Das Thema Impfen wird emotional diskutiert, weil es eine Handlung ist, die man an gesunden Personen setzt. Die Menschen überlegen, ob es ihnen nach der Impfung schlechter gehen könnte und welchen Nutzen sie haben", sagt Ursula Wiedermann-Schmidt, Professorin für Tropenmedizin an der Medizinuni Wien. "Bei Medikationen, die eingesetzt werden, wenn jemand krank ist, sind Einstellung und Risikoverhalten anders."

Das Bild eines pockenvernarbten Gesichtes oder von Kinderlähmung verkümmerter Beine sei zudem kaum mehr geläufig. An ihre Stelle getreten sei die Sorge, etwas zu verschlechtern.