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"Wir dürfen nur keiner Hybris verfallen"

Von Philipp Hedemann

Wissen

Der Informatiker Enno Park meint, wir alle wären längst Cyborgs, im Sinne einer technischen Modifikation.


Enno Park, 45, ist Informatiker, Technikphilosoph und Vorsitzender von Cyborgs e.V., einem Verein, der sich der "Förderung und kritischen Begleitung der Verschmelzung von Mensch und Technik" widmet. Im Interview spricht er über Cyborgs in Deutschland, Verschwörungstheoretiker und die Liebe zu Maschinen.

"Wiener Zeitung": Herr Park, Sie sehen nicht gerade so aus, wie man sich einen Cyborg vorstellt, bezeichnen sich aber als solcher. Warum?Enno Park: Wie stellen Sie sich denn einen Cyborg vor?

Groß, stark, gefährlich und mit Superkräften. So wie den Terminator, den Robocop oder die Borgs aus "Star Trek".

Die Wahrnehmung von Cyborgs ist tatsächlich stark durch Hollywood geprägt. Aber ein Cyborg ist einfach ein Mensch, der technisch modifiziert wurde, ein kybernetischer Organismus.

Und warum sind Sie ein Cyborg?

Ich war fast taub. Vor sieben Jahren habe ich mir zwei Cochlea-Implantate in den Kopf einsetzen lassen. Sie verbinden einen Sound-Prozessor mit dem Hörnerv. Seitdem kann ich wieder hören. Auch wenn ich dank des Implantates Dinge kann, die andere nicht können - zum Beispiel das Gerät ausschalten, wenn ich meine Ruhe haben will -, ist man von der implantierten Technik abhängig und bleibt wegen ihrer Einschränkungen in manchen Situationen auch gehörbehindert.

Was macht Sie neben dem Hörimplantat noch zum Cyborg?

Ich habe mir in die linke Hand zwischen Daumen und Zeigefinger einen "Near-Field Communication"- oder kurz NFC-Chip implantieren lassen.

Was kann man mit dem implantierten Chip machen?

In Deutschland nicht allzu viel. Dafür fehlt hier - noch - die Infrastruktur. In Schweden sieht das ganz anders aus. Dort könnte ich mir zum Beispiel meine Zugfahrkarten auf den reiskorngroßen Chip laden. Schwedische Schaffner haben ein spezielles Gerät, mit dem sie die Informationen auslesen können. In einigen Ecken von Stockholm kann man mit dem Chip auch Bürotüren öffnen, wenn man die entsprechende Autorisierung auf dem Chip hat, sich im Fitness-Studio ausweisen oder einen Kaffee bestellen.

Und was können Sie mit Ihrem Chip anstellen?

Ich kann damit mein Telefon entsperren, aber das ist ehrlich gesagt ziemlich unpraktisch, weil ich dafür beide Hände benötige. Ich habe auf dem Chip eine digitale Visitenkarte gespeichert. Wer sein Telefon ganz nah an meine Hand hält, kann die Daten gleich in seinem Handy speichern.

Haben Sie vor, Ihren Körper mit weiteren Implantaten zu tunen?

Die Bereitschaft besteht auf jeden Fall, aber natürlich nur, wenn es medizinisch vertretbar ist und Sinn ergibt. Die meisten technischen Probleme lassen sich allerdings viel leichter außerhalb des Körpers oder mit Wearables wie Fitnessarmbändern lösen.

Gibt es in Deutschland viele Cyborgs?

Ja, fast alle Menschen in den Industrienationen sind Cyborgs, denn die meisten sind eine sehr enge Symbiose mit Technik eingegangen, auch wenn diese nicht in den Körper eingebaut ist. Die meisten Menschen fühlen sich sehr unwohl, wenn sie keinen Zugriff auf ihr Smartphone haben. Und das liegt daran, dass sie für uns einen sehr hohen Nutzwert haben. Mit dem Smartphone haben wir uns ein Sinnesorgan für das ansonsten nicht hör- und sichtbare Internet geschaffen.

Welche Implantate sind heute schon machbar?

Bei der Entwicklung von Prothesen, die Steuerungssignale aus Muskelresten aufnehmen, gibt es große Fortschritte. So können Handprothesen bereits einfache Bewegungen ausführen. Gehirnimplantate, die uns schneller reagieren, denken und lernen lassen, hingegen halte ich noch für Sciene Fiction.

Aber macht uns in unsere Körper eingebaute Technik nicht sehr angreifbar? Was passiert, wenn Hacker Implantate umprogrammieren oder einfach nur die Batterie leer ist?

Ich halte diese Gefahr für kalkulierbar und akzeptabel. Wir sind doch schon jetzt extrem abhängig von Technik, Strom und Öl und entsprechend angreifbar. Natürlich müssen wir dafür Sorge tragen, uns so gut wie möglich zu schützen und resilient zu werden. Aber die meisten Menschen haben auch kein Problem damit, in ein Auto zu steigen, obwohl sie wissen, dass Autofahren mit Gefahren verbunden ist. Technik nicht zu nutzen, weil sie ausfallen könnte, wäre doch wie Selbstmord aus Angst vor dem Tod!

Vielen Leuten macht die Vorstellung eines implantierten Chips trotzdem Angst...

Ich weiß. Aber weil sich kaum wer an Piercings oder Ohrringen stört, vermute ich, dass diese Angst oft auf Unwissenheit, Mythen und Verschwörungstheorien beruht. Manche Leute haben Science-Fiction- und Agenten-Filme zu ernst genommen. Es wenden sich immer wieder Menschen an mich, die überzeugt sind, dass die CIA, Außerirdische oder der Illuminatenorden ihnen heimlich einen Chip implantiert haben und jetzt alle ihre Bewegungen überwachen. Mir bleibt dann nichts anderes übrig, als ihnen die Telefonseelsorge zu empfehlen. In diesen Chips ist kein GPS-Sender, der Chip wird erst aktiviert, wenn man ein Lesegerät an ihn hält. Deshalb ist es so wichtig, dass es vertrauenswürdige Experten gibt, die unabhängig über die Chancen und Gefahren von Technik informieren. Darum habe ich den Verein Cyborg e.V. gegründet.

Werden Sie dafür kritisiert, dass Sie dafür plädieren, den Menschen technisch zu verbessern?

Herzlich wenig. Ich hätte mit mehr Gegenwind gerechnet. Mich hat aber überrascht, dass gerade jüngere Menschen tendenziell skeptischer reagieren als ältere.

Wie erklären Sie sich das?

Die meisten jungen Menschen haben noch einen gesunden, unverbrauchten Körper und sind nicht auf technische Hilfsmittel angewiesen. Viele Alte hingegen, haben bereits eine künstliche Hüfte oder ein künstliches Knie oder kennen zumindest jemanden, dessen Leben sich durch eine Prothese stark verbessert hat.

Aber spielen wir nicht Gott, wenn wir Menschen technisch aufrüsten?

Nein. Wir dürfen nur nicht der Hybris verfallen, zu glauben, dass wir unfehlbar seien.

Verschwinden die Unterschiede zwischen Mensch und Maschine? Werden wir uns irgendwann in Roboter verlieben?

Menschen können schon jetzt sehr enge Bindungen zu Maschinen eingehen. Als ich mir vor ein paar Jahren einen Staubsauger-Roboter angeschafft habe, war ich zunächst auch total fasziniert davon, wie das Ding wie ein Käfer durch die Wohnung wirbelte. Ich habe die Maschine schnell "Bernd" genannt. Viele Soldaten bauen im Krieg zu lastentragenden Robotern eine emotionale Beziehung wie zu einem Tier auf. Doch diese Beziehung wird immer einseitig bleiben. Eine Maschine kann nicht lieben.

Verliert der Mensch durch Künstliche Intelligenz seine Einzigartigkeit?

Die gesamte Menschheit wird regelmäßig gekränkt. Nach Darwin besteht die biologische Kränkung darin, dass der Mensch vom Affen abstammt, und nach Freud die psychologische Kränkung darin, dass ein beträchtlicher Teil des Seelenlebens sich der Kenntnis und der Herrschaft des bewussten Willens entzieht. Und jetzt kränkt es die Menschen, dass Computer bestimmte Aufgaben besser lösen als sie selbst. Dabei sind wir heute noch sehr weit davon entfernt, dass Computer Menschen simulieren können. Auch wenn in den USA bereits Computer zur Hilfe gezogen werden, um zu entscheiden, ob ein Angeklagter mit einer Bewährungsstrafe davonkommt oder in den Knast muss. Und im Krieg entscheiden Drohnen aufgrund der gesammelten Informationen relativ autonom, ob sie Menschen angreifen oder nicht. Selbstverständlich macht diese Fehlentwicklung Angst. Dabei gibt es keine Computer, die - wie in "Matrix" - irgendwann ihre eigene, vielleicht böse, Agenda verfolgen. Dahinter stecken immer Menschen, die diese Computer programmiert haben und sie bedienen.