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Selfie-Wahn prägt das Körperbild

Von Alexandra Grass

Wissen
© Getty Images

Schönheitschirurg Artur Worseg im Interview über die Unzufriedenheit mit dem Äußeren, die Würde des Alters und Botox.


Wien. 24 Milliarden Selfies sind 24 Milliarden Möglichkeiten, uns mit anderen zu vergleichen. Was latent vorhandene Verunsicherung mit dem eigenen Äußeren schüren kann wie Wind das Feuer.? - In seinem neu erschienenen Buch ?Deine Nase kann nichts dafür. Wie wir uns vor dem Schönheitswahn retten? stellt der Plastische Chirurg Artur Worseg die Sozialen Medien an den Pranger und empfiehlt die Rückbesinnung auf das innere Ich und Sich-Zeit-Nehmen als Alternative zur Chirurgie. Die ?Wiener Zeitung? im Gespräch mit dem - auch aus dem Fernsehen - bekannten Beauty-Arzt.

Wiener Zeitung: Nase, Lippe, Busen, Po sind immer ein Thema - Warum ist der Mensch überhaupt unzufrieden mit seinem Äußeren?

Artur Worseg: Jeder Mensch hat eine Idealvorstellung von seinem Körper. Entspricht diese nicht der Realvorstellung für sich selbst, ist er unzufrieden - mit allen Begleiterscheinungen. Das ist das Körperbild. Darunter versteht man eben weniger, wie ich aussehe, sondern wie ich mich fühle, wenn ich mich anschaue. Das kann Unzufriedenheit auslösen.

In Ihrem Buch schreiben Sie: Die Schönheitsoperation ist die Behandlung eines Symptoms. Doch wo liegt die Ursache?

Woher diese Körperbildstörung kommt, weiß man nicht genau. Es kann auch in der Vergangenheit liegen. Man fühlt sich nicht wohl und fixiert das auf den Körper. Oder umgekehrt. Es hängt bestimmt auch mit der eigenen Geschichte zusammen: Blöde Bemerkungen in der Schule oder von den Eltern können noch Jahre später nachwirken. Heute wird diese Unzufriedenheit, so glaubt man, durch die sozialen Medien noch verstärkt. Die Selfie-Generation kommuniziert vor allem in Bildern, was sich negativ auf das eigene Körperbild auswirken kann. Das sind alles Dinge, die die Unzufriedenheit verstärken oder wieder zum Ausbruch bringen können.

Auf Instagram, Facebook und Co. setzen sich Menschen täglich in Szene - birgt das noch mehr Gefahr?

Es gibt schon einige Studien, die zeigen, dass dieser ewige Vergleich mit anderen, die sich nur im besten Licht darstellen, dazu beiträgt, dass man sich mehr mit seinem Äußeren beschäftigt. Das sind ja immer nur die besten Bilder, die dort gezeigt werden, und nicht die schlechtesten.

Fast die Hälfte aller Frauen und Männer, die einen Schönheitschirurgen konsultieren, zeigen Zeichen einer psychischen Auffälligkeit. Resultiert der Wunsch nach Veränderung genau daraus oder resultiert die psychische Belastung aus dem Umstand, dass man sich nicht schön fühlt? Also Henne oder Ei?

Es liegt sicher irgendwo in der Mitte. Psychopathologische Auffälligkeiten können sich natürlich auf den Körper niederschlagen. Umgekehrt führt Unzufriedenheit dazu, dass man sich mal irgendeinen Körperteil aussucht, der einem nicht gefällt. Kippt man hinein, kann das Depression oder Zurückgezogenheit auslösen. Was vorher war, kann ich nicht sagen.

Gibt es eine Alternative zum Schönheitschirurgen?

Auf jeden Fall Zeit nehmen. Ich habe das Gefühl, dass viele schnell nach einer Lösung suchen, wenn sie unzufrieden sind. Oft dreht es sich um Trennungsphasen, Probleme in der Beziehung oder am Arbeitsplatz. Dann richtet sich der Fokus oft auf den Körper. Man fühlt sich schlecht und denkt, dass eine Veränderung diese Probleme lösen kann. Das funktioniert nicht. Daher: Wenn es einem nicht gut geht, dann lass dir Zeit.

Die Haare grau, ab zum Friseur, Falten im Gesicht, ab zur Botoxspritze. Hat würdevoll Altern keinen Platz mehr in der Gesellschaft?

Nein, momentan wenig. Das Alter ist bei uns eher etwas Negatives. Das hängt aber mit der Gesellschaft zusammen. Daran ist auch unsere Generation, die Babyboomer, selbst schuld. Wir wollen ewig jung sein, uns jung halten und uns jung präsentieren, statt unserem Alter gerecht zu werden. Wenn das Alter seine Würde verliert und damit auch die alternden Menschen ihre Würde verlieren, dann darf man sich über die Entwicklung nicht wundern. In anderen Gesellschaften ist das anders, aber bei uns hat Alter keinen Platz.

Was können wir der Jugend heute sagen oder mitgeben?

Der Jugend werden wir nicht viel mitgeben können, sondern nur uns. Denn die Zeit hat schon vieles überholt. Doch gerade die Jugendlichen sind gefährdet - nämlich durch die Kommunikation, die zunehmend auf Bild und Text reduziert ist. Damit geht viel verloren. Im persönlichen Gespräch nehmen wir Aura, Gestik und Geruch wahr - man gewinnt einen völlig anderen Eindruck vom Gegenüber. Das sollte wieder gelernt werden - auch von der jüngeren Generation. Wenn man sich mit anderen abseits von Anschauen und Posten wieder mehr beschäftigt, liegt der Fokus woanders. Früher hat man auch viel mehr nebenbei kommuniziert - etwa beim Einkaufen. Immer wieder hatte man nette Erlebnisse. Das hat den Tag gemacht. Das fällt heute weg. Je mehr man sich mit sich selbst beschäftigt, desto mehr wird man finden, was einem nicht taugt.

Inwieweit hat sich das Schönheitsideal in den Jahren geändert?

Es ist ein bisschen breiter geworden. Das sehe ich als positive Seite der Social-Media-Geschichten. Ein Schönheitsideal wie zum Beispiel dünn, blond und blauäugig gibt es heute nicht mehr, weil über die Medien viele verschiedene Ideale transportiert werden. Der eine hat gern einen dickeren Popo, der andere große Lippen. Gleichzeitig gibt es
aber auch Trends wie "Sei wie
du bist" oder "Schau - wie du aussiehst, ist gut". Da verwässert sich vieles.

Gibt es Trends? Ist Botox das neue Schwarz?

Botox ist sicher die Nummer eins. Man muss aber unterscheiden zwischen jenen, die das Skalpell wählen und sich damit bewusst irgendwelchen Risiken oder Urängsten aussetzen, weil sie einem Druck ausgesetzt sind, und jenen, die ihre Falten auffüllen wollen. Das sind auch unterschiedliche Menschen. Botox ist heute sicher so wie Kosmetik oder Haare färben.

Wie weit darf die Schönheitschirurgie gehen?

Das liegt im Ermessen dessen, der es macht, und nicht dessen, der es will, sonst gibt es nämlich kein Ende. Schönheitsmedizin wird ja oft als Wunschmedizin bezeichnet. Ich wünsche mir etwas und du machst. Doch Wunschmedizin ist Verantwortungsmedizin. Je mehr unnötig Medizin ist, desto größer ist die Verantwortung des Arztes dabei. Patienten sind da häufig wie Kinder - sie wünschen und wünschen und wünschen.

Sie raten vom Skalpell ab...

Abraten ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck, aber sich zu überlegen, ob man der Richtige ist. Für Ärzte sind ja unzufriedene Patienten, die sich erwarten, dass alles wieder gut wird, auch keine angenehmen Patienten. Das sind die Menschen, die immer wieder kommen, immer wieder unzufrieden sind - auch mit dem Ergebnis. Jeder von uns ist gut beraten, wenn er diese gar nicht angreift. Ihnen vielleicht ein paar nette Worte mitgibt oder Alternativen aufzeigt.

Ihr persönlicher Ratschlag für diese Menschen?

Punkt eins: Nachdenken, warum möchte ich das machen. Punkt zwei: Sich Zeit lassen, überlegen und den Wunsch wachsen lassen. Punkt drei: Einen Arzt wählen, wo die Energie stimmt.