An dem sonnigen Tag bewegt sich kein Blatt. Man hört Vögel, und irgendwo am Ende des enger werdenden Tales Kirchenglocken. In stiller Eintracht nehmen Mann und Frau den Hügel zur Dorfkirche. Sie tragen ihr Sonntagsgewand, kennen sich lange, teilen vermutlich ein Leben und im Bild einen gemeinsamen Weg. Der Fotograf folgt ihnen und verleiht ihrem Bildnis einen Rahmen aus Tannenzweigen. Das Motiv strahlt eine Geborgenheit aus, bei dem sich Betrachter durchaus zu Hause fühlen können, selbst wenn ihr Zuhause vielleicht ganz anders war oder ist.

Zu Hause sein im Sinn von Geborgenheit ist ein universelles Gefühl. Selbst Menschen, die keine Heimat anerkennen, nirgends zu Hause sein wollen oder sich selbst aussuchen möchten, wohin sie gehören, können mit der Idee Schönes verbinden. Ob Küste, Stadt, Berg oder Tal: Die meisten Menschen spüren, wo sie sich am ehesten zu Hause fühlen. Manche nenne es Heimat, andere empfinden es als Teil ihres Selbst.

Wiesen, Wälder, Dickicht und Unterholz. Bienensummen, Vogelgezwitscher, knisterndes Feuer. Die Sehnsucht nach Ruhe, Stille, Auszeit, Einkehr, Entschleunigung, Geselligkeit, Verbindlichkeit und Teil der Gemeinschaft sein: Diese Bilder verbinden rund 100 Österreicherinnen und Österreicher aller Altersstufen, die im Rahmen eines Forschungsprojekts historische Fotos zum Thema besprochen haben. Die Ergebnisse des Projekts namens "Stadt-Land-Kind" sind ab Freitag in einer Ausstellung in Wort und Bild zu sehen. "Retropia - Sprechen über Sehnsuchtsbilder vom Land" heißt die sinnliche, bis 2. Juni im Österreichischen Museum für Volkskunde im achten Wiener Gemeindebezirk laufende Schau. 115 Aufnahmen fanden die Kuratorinnen Martina Fineder und Luise Reitstätter vor, als sie mit der Arbeit begannen. Das Volkskundemuseum hatte die nach eigenen Aussagen europaweit einzigartigen Fotos von seinem Gründungsjahr 1893 bis in die 1950er Jahre gesammelt, um Österreichs Landleben exemplarisch zu dokumentieren.

"Prächtiges Leben"
Die Kuratorinnen ergänzten die Kollektion durch Bilder aus Gemeindearchiven - konkret Rastenfeld im Waldviertel, Bezau im Bregenzerwald und Kals am Großglockner. Danach brachten sie im Rahmen des vom Wissenschaftsministerium geförderten "Sparkling Science"-Projekts Bürgerinnen und Bürger fast jedes Alters in Kleingruppen an einen Tisch. 40 Schülerinnen und Schüler ab neun Jahren, Eltern, Lehrer, Gemeindebedienstete und Ortsbewohner, von denen die ältesten über 90 Jahre alt waren, sprachen darüber, was sie auf den Bildern sahen. "Menschen wurden nicht beforscht, sondern sie forschten mit", sagt Design- und Kulturwissenschafterin Martina Fineder.