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"Der Weltraum ist kein Jungbrunnen"

Von Eva Stanzl

Wissen

Zwillingsstudie zeigt, wie sich längere Reisen ins All auf die Gesundheit auswirken - genetische Störungen nachgewiesen.


Houston/Wien. Lärm, Isolation, Mangelversorgung des Gewebes mit Sauerstoff, eine aus dem Takt gebrachte innere Uhr, ionisierende Strahlung aus dem All: Die Menschheit schmiedet Pläne, zum Mond und zum Mars zu gelangen, doch wie kommen wir mit den lebensfeindlichen Bedingungen im Weltraum zurecht? Würden Menschen längerfristige Aufenthalte außerhalb der Erdatmosphäre überleben?

Im Rahmen einer beispiellosen Zwillingsstudie der US-Weltraumbehörde Nasa haben zehn Forscherteams diese Fragen genetisch untersucht. Während Scott Kelly, der längstdienende Astronaut der Nasa, 342 Tage von 2015 bis 2016 im Erdorbit auf der Internationalen Raumstation ISS verbrachte, blieb sein Bruder Mark, pensionierter Astronaut, auf dem Boden. "Die Idee einer Zwillingsstudie kam von Scott. Er meinte, dass das für die biomedizinische Forschung hilfreich sein könnte. Das Ergebnis ist Humangenetik im Weltraum", erklärt Studienautor Andrew Feinberg, Professor für Epigenetik an der Johns Hopkins Universität im US-Staat Maryland, in einem Video zu den in "Science" veröffentlichten Ergebnissen.

Humangenetik im Weltraum

Genetisch identische Zwillinge ermöglichen den direkten Vergleich zwischen Körper im Kosmos und Körper auf Erden. Grundlegend war die Geschwindigkeit. Wenn eine Sojus-Rakete kam, um Vorräte zur ISS zu liefern, wurde Scott Kelly Blut abgenommen und noch am selben Tag wieder zur Erde gebracht. "Wir transportierten Blutproben innerhalb von 38 Stunden von der ISS mit der Rakete nach Russland, mit dem Flugzeug nach Houston und mit dem Wagen ins Labor", berichtet Studienautorin Lindsay Rizzardi in einem Video. Der zu Hause gebliebene Mark war die Kontrollgruppe.

Die Ergebnisse: Bei langen Aufenthalten im All schalten und walten die Gene anders als auf der Erde. Im kosmischen Umfeld kommt genetische Information anders zum Austruck als auf dem Boden oder bei nur kurzen Weltraumflügen. Während seines fast einjährigen Aufenthalts im Orbit verdickten sich Scotts Hauptschlagader und Augennetzhaut (was laut den Forschern erklärt, warum 40 Prozent der Astronauten über eine veränderte Sicht im All berichten). Der Raumfahrer verlor Gewicht, seine kognitiven Fähigkeiten ließen nach und das Darm-Mikrobiom veränderte sich. "Im All ist die Genexpression dramatisch anders", so Studienautor Chris Mason vom Weill Cornell Medical College. "Insbesondere in der zweiten Hälfte der Mission fanden sechs Mal so viele Veränderungen in der Ausdrucksweise der Gene statt wie in der ersten."

Die meisten Parameter hätten sich normalisiert, nachdem Scott zurückgekehrt war. Minimale kognitive Defizite, DNA-Schädigungen und Veränderungen bei der Immunaktivität der T-Zellen seien aber geblieben. "Wir wissen noch nicht, ob all dies gut oder schädlich ist", so Mason: "Vielleicht sind es einfache Körperreaktionen. Aber es handelt sich um genetische Störungen, denen wir auf den Grund gehen müssen."

"In Scott und Mark haben wir nur jeweils eine Testperson. Zwar können wir die Abläufe im Körper im All direkt mit jenen hier unten vergleichen. Aber es fehlt der Vergleich mit anderen Personen", erläutert Feinberg. Er und sein Team haben Veränderungen in der Epigenetik vor, während und nach der Mission untersucht. "Epigenetik ist eine zusätzliche Information von außen, etwa durch Umwelt oder Ernährung. Anders als die DNA-Sequenz sagt sie den Genen nicht, was sie sind, sondern was sie tun sollen", erklärt Feinmann: Die DNA-Sequenz enthalte die Buchstaben des Genoms. Die Epigenetik sei die Grammatik, die dafür sorgt, dass unterschiedliche Gewebesorten ihre Funktionen ausüben. Die Anweisungen entstehen abhängig vom Körperteil und im Bezug zur Umwelt. Eine Reise in den Weltraum kann einen Umweltfaktor darstellen. Zur Überraschung der Forscher veränderte sich hier jedoch weniger bei Scott als bei Mark, da die Umwelt im All kontrollierter ist. Dass genetische Information im All anders zum Ausdruck kommt als auf dem Boden, ist somit von innen gesteuert.

Die Genetikerin Susan Bailey von der Colorado State University untersuchte, wie die Stresssituation eines längeren Raumflugs die Telomere beeinflusst. Diese aus Proteinen bestehenden Enden von Chromosomen spielen eine Rolle bei der Alterung. Im Laufe des Lebens werden sie kürzer. "Unsere Hypothese war, dass alle Stressfaktoren einer solchen Reise den Verlust der Telomere beschleunigen und damit zu einer schnelleren Alterung und höheren Anfälligkeit für kardio-vaskuläre Krankheiten und Krebs betragen würden", sagt Bailey: "Wir irrten."

Einsteins Zwillings-Paradoxon

Während des Raumflugs wurden Scotts Telomere länger und blieben es. Nach der Rückkehr schrumpften sie aber mit dramatischer Geschwindigkeit, sodass er weitaus mehr kürzere Telomere aufwies als vor der Reise. "Das ist die wichtigste Konsequenz", sagt Bailey zur "Wiener Zeitung".

In Albert Einsteins Zwillings-Paradoxon verlangsamt der Effekt der Speziellen Relativität die Alterung bei dem Zwilling, der ins All fliegt. "Ich denke nicht, dass Scott Kellys längere Telomere darauf hindeuten, dass man im All länger jung bleibt", warnt Bailey: "Die Raumfahrt ist kein Jungbrunnen. Man darf dabei nicht vergessen, dass nicht nur gesunde, sondern auch krebsartige Zellen durch längere Telemore länger leben." Warum sie im All wachsen, müsse in weiteren Studien untersucht werden. Die Professorin für Umweltgesundheit in Colorado postuliert, dass Kalorienreduktion, Sport, kosmische Strahlung und oxidativer Stress eine Art "Wundheilung" auslösen könnten, die Stammzellen-artige Blutzellen mit längeren Telomeren hervorbringt.