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Umstrittener Schritt zum "Planet der Affen"

Von Eva Stanzl

Wissen
So wie wir Menschen: Eine Gruppe Makaken badet in einer heißen Quelle in Japan.
© eyetronic/adobestock

Chinesische Forscher setzen ein menschliches Gen in Affenhirne ein. Wie weit darf die Intelligenzforschung gehen?


Die menschliche Intelligenz ist eine der folgenreichsten Erfindungen der Evolution. Genetische Mutationen sorgten in Jahrmillionen für immer größere Gehirne und immer differenziertere Fähigkeiten. Der Mensch begann, aufrecht zu gehen, nahm einen Pflug in die Hand, beackerte das Land und begründete Zivilisationen, während seine Cousins, die Primaten, sich weiterhin in den Bäumen von Ast zu Ast schwangen. Obwohl der Homo sapiens 98 Prozent seiner Gene mit dem Schimpansen teilt, baut er anders als dieser Pyramiden und Kathedralen, entwickelt Sprachen, malt Bilder, entwickelt Philosophien und fliegt zum Mond. Wissenschafter suchen nach den genetischen Schaltern, die die Evolution umlegen musste, damit wir uns unterscheiden.

Forscher aus China berichten, dass sie die Evolution im Labor abgekürzt haben. Was die Natur 25 Millionen Jahre seit dem letzten gemeinsamen Verwandten von Affe und Mensch gekostet hat, sei bei ihnen in Kürze erfolgt. Die Genetiker des Instituts für Zoologie in Kunming, der Hauptstadt der südchinesischen Provinz Yunnan, haben nach eigenen Angaben menschliche Gene in die Gehirne von Rhesus-Affen eingeschleust. "Es ist der erste Versuch, die Evolution des menschlichen Denkvermögens mit Hilfe eines transgenen Affen-Modells zu verstehen", berichtet Studienleiter Bing Su. Die manipulierten Makaken hätten sogleich in Tests zu Kurzzeitgedächtnis und Reaktionszeit besser abgeschnitten als die Vergleichsgruppe.

Besseres Kurzzeitgedächtnis

Die menschliche Variante des Gens Microcephalin (MCPH1) spielt wahrscheinlich eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Gehirns im Mutterleib. Babys, bei denen dieses Gen schadhaft ist, etwa wenn ihre Mütter sich in der Schwangerschaft mit der Zika-Erkrankung anstecken, kommen mit sehr kleinen Köpfen und schweren Gehirnschäden zur Welt. Das Team berichtet im Pekinger Fachjournal "National Science Review", Microcephalin bei elf Rhesusaffen eingeschleust zu haben. Die Versuchstiere wurden im Labor mit einem Virus infiziert, das menschliches MCPH1 transportiert. Von den elf genmanipulierten Rhesusaffen überlebten nur fünf die Testphase. Sie tragen nach Angaben der Forscher jeweils zwischen zwei und elf Kopien der menschlichen Variante in sich.

Die Affen mussten sich in Tests Farben und Muster merken. Dabei wurden ihre Hirnaktivitäten mithilfe von Kernspintomografien (MRT) überwacht. Sie schnitten besser ab als andere Artgenossen. Größer wurden ihre Denkorgane durch die Zugabe von Microcephalin nicht, aber sie brauchten länger zum Wachstum als bei Makaken üblich. Die Nervenzellen von menschlichen Embryonen differenzieren sich langsamer aus als jene von Primaten, weswegen der Mensch länger Kind bleibt.

Studienleiter Su fahndet nach Genen, die in der Selektion erfolgreich sind. Seine Interessensgebiete reichen von der Fähigkeit der Himalaya-Yaks zum Leben in extremen Höhen bis zur Evolution der menschlichen Hautfarbe als Reaktion auf kalte Winterperioden. Die neue Studie würde zeigen, dass mit menschlichen Genen versehene Affen "das Potenzial haben, wichtige und womöglich einzigartige Einblicke in Grundsatzfragen zur Einzigartigkeit des menschlichen Gehirns zu liefern", schreiben er und seine Kollegen.

Kritiker halten die Experimente für waghalsig und rücksichtslos. "Transgene Affen zu schaffen, um die Genetik des menschlichen Gehirns zu studieren, ist äußerst riskant", betont James Sikela, Genetiker an der Universität Colorado, im Magazin "Technology Review". Zwar befürchtet er keinem Aufstand kluger Primaten und keinen "Planet der Affen". Doch das Experiment missachte Tiere und öffne weiteren Gen-Manipulationen Tür und Tor. "Es ist eine klassische Dammbruch-Situation", warnt Sikela. Andere Experten halten den Ansatz für zu einfach gedacht. "Das Experiment hat keine klare Fragestellung und ist naiv", betont Kevin Mitchell, Genetiker am Trinity College in Dublin. "Von Microcephalin nimmt man an, dass es durch Mutationen Einfluss auf die Gehirngröße nahm. Dass aber Affen-Gehirne wachsen, nur weil sie die mutierte Menschen-Version von MCPH1 in sich tragen, entspricht nicht der Evolution, die für eine solche Entwicklung an vielen Schrauben drehen würde", sagte Mitchell im US-Sender CNN.

"Naiv und zu simpel gedacht"

In Europa und in den USA werden genetische Experimente an Primaten restriktiv gehandhabt. China treibt sie voran. Im November 2018 hatte ein chinesisches Institut angegeben, durch Gen-Editierung Affen mit psychischen Schäden für die Forschung erzeugt zu haben. Im Dezember berichtete ein anderes, umstrittenes Team, mit Hilfe der wenig erprobten Gen-Schere CRISPR/Cas 9 Zwillinge geschaffen zu haben, die gegen den Aids-Erreger HIV immun sind. Hinter den Vorstößen stehen Chinas Bestreben, die Speerspitze biotechnischer Innovation zu werden, und entsprechender Druck.

"Man kann etwas fachlich zerpflücken. Oder man kann es einfach Scheiße finden", sagt Wolfgang Enard, Professor für Anthropologie und Humane Genomik an der Ludwig Maximilians Universität München. "Ich halte wenig von dem Experiment mit den transgenen Rhesus-Affen."

Enard erforscht FOXP2, das auch als Sprach-Gen bezeichnet wird. Unter den 20.000 menschlichen Genen ist es die Erbanlage, die mit der Fähigkeit zu sprechen assoziiert ist. Zwar besitzen vermutlich alle Wirbeltiere dieses Gen, doch nur im Menschen findet sich eine Variante, die sich in zwei Aminosäure-Bausteinen von jener anderer Lebewesen unterscheidet. Menschen ohne sie lernen nur schwer, zu sprechen. Enard züchtet für seine Forschung transgene Mäuse. Auf einen transgenen Primaten mit menschlichem FOXP2 würde er aber verzichten.

"Wenn wir das menschliche Gehirn und seine spezifischen Eigenschaften verstehen wollen, ist das beste Modell logischerweise dem Menschen ähnlich. Der Umgang mit Tieren ist allerdings eine Frage des ethischen Konsenses, der stets neu abgewogen wird", sagt Enard zur "Wiener Zeitung".

In Waagschalen liegen der Vorteil für Menschen auf der einen und der Nachteil der Tiere auf der anderen Seite. "Um den Nachteil für Tiere zu beurteilen, müssen wir sie verstehen so wie ein Hundebesitzer seinen Hund. Außerdem gibt es eine ästhetische Komponente, die sich durch einen Vergleich erklären lässt: Wir wollen weder Affen noch Katzen noch Hunde essen, finden es aber okay, Schweine zu verzehren." Eine Gesellschaft, für die der Vorteil von billigem Schweinefleisch schwerer wiegt als das Wohl von Schweinen, sehe entsprechend aus.

In welcher Gesellschaft Tiere leben sollen, die intelligenter als ihre Artgenossen, aber nicht so intelligent wie Menschen sind, ist eine offene Frage, die gegen den menschlichen Vorteil wiegt. "Evolution ist wahnsinnig spannend, aber ich würde dafür keine Experimente an Affen machen", betont Enard. Bei konkreten Heilungschancen lebensbedrohlicher Krankheiten würde das Gewicht aber wieder in die andere Richtung schwappen. Und würde es sich um Mäuse handeln, würde der Fall wieder anders bewertet.

Qual ohne Moral

Su teilt die Bedenken offenbar nicht. In "Technology Review" räumt er ein, aussagekräftige Ergebnisse würden mehr Versuchstiere erfordern. Er wolle weitere transgene Affen züchten und noch andere Intelligenz-Gene einschleusen. Nun gelte sein Interesse SRGAP2C. Die Variante mutierte vor zwei Millionen Jahren, als Australopithecus den Frühmenschen Platz in der afrikanischen Savanne machte. Das Gen gilt als Schalter zur menschlichen Intelligenz.

"Wenn ich ein Gen ändere, sind Ursache und Wirkung klar. Was immer passiert, muss durch das Gen bewirkt sein. Das macht die Genetik so mächtig in der Erforschung der Intelligenz", sagt Enard. "Allerdings ist Intelligenz ein viel zu unscharfer Begriff, um ein gutes, präzises Untersuchungsobjekt zu finden." Allgemein ließe sich nur sagen: Je mehr Neuronen-Verbindungen, desto schlauer. Wie viele Hürden ein Tier sich auf dem Weg dort hin leisten kann, hängt von der Ökologie der Art ab.

Konkret wird die Evolution der Intelligenz nach wie vor unter dem Aspekt des Fortschritts betrachtet. Nach diesem Weltbild macht sie wie eine Ingenieurin im Laufe der Zeit Erfindungen, die das Produkt verbessern. "Die Geschichte eines langen Weges zur klassischen Krone der Schöpfung ist also erst einmal falsch", sagt der Anthropologe. "Denn die Erfindungen sind ja alle da, und was die beste Lösung für eine Art ist, hängt von ihrer Ökologie ab. Wenn ich früh gefressen werde, zahlt sich ein teures Gehirn nicht aus. Nur wenn ich lange lebe, habe ich etwas davon, wenn ich lerne."

Der Aufbau von neuronalen Verbindungen muss gefüttert werden, selbst wenn die Zeiten schlecht sind. Wenn es in der Ökologie eines Tieres also öfters zu mageren Zeiten kommt, ist ein großes Gehirn keine gute Idee. Somit könnte eine Maus mit menschlichen Intelligenz-Genen wenig anfangen. In Primaten hätten sie genug Zeit gehabt, sich zu entwickeln. Wenn diese sie gebraucht hätten.