Zum Hauptinhalt springen

Eine Routine-OP, die keine ist

Von Petra Tempfer

Wissen

Gefährlicher als gedacht: Bei jeder zwölften Mandeloperation kommt es zu mitunter tödlichen Nachblutungen. Kinder sind dabei besonders gefährdet - der stationäre Aufenthalt sollte deshalb verlängert werden, raten HNO-Ärzte.


Sie gilt in der breiten Bevölkerung als mehr oder weniger harmloser Routineeingriff - dabei ist eine Mandeloperation genau das nicht. HNO-Ärzte warnen vor mitunter fatalen Fehleinschätzungen, denn bei Tonsillektomien (Komplettentfernung der Gaumenmandeln) und sogar bei Tonsillotomien (Mandelverkleinerung) kommt es erstaunlich oft zu Komplikationen. Konkret hat jeder zwölfte Operierte eine Nachblutung. Vor allem bei Kindern sollte daher der stationäre Aufenthalt verlängert werden, heißt es.

Nachblutungen seien die häufigsten und gefährlichsten Komplikationen, ist in "Die Österreichische Tonsillenstudie 2010 - Teil 2: Postoperative Blutungen" nachzulesen. Für diese haben Mitarbeiter der Medizinischen Universität Graz und der Universität Klagenfurt die Daten von 9405 Patienten aus 32 österreichischen HNO-Abteilungen ausgewertet - bei 7,9 Prozent kam es demnach zu Nachblutungen. Das sei "ein doch beträchtlicher Prozentsatz", so die Studienautoren. Und: Schwere, in Allgemeinnarkose zu versorgende Nachblutungen wurden gehäuft bei Schulkindern zwischen 6 und 15 Jahren verzeichnet.

"Immer mehr Operationen im ambulanten Bereich"

Vor allem Kinder sind also gefährdet, weil deren Blutvolumen geringer ist und sie leichter an der Nachblutung ersticken können. Das Jahr 2006 ist dabei heimischen Ärzten als besonders fatal in Erinnerung. Damals gab es sechs tote Kinder in Österreich durch Blutungen nach Mandeloperationen - die meisten waren jünger als sechs Jahre, so wie auch ein Vorschulkind, das im heurigen Frühling durch eine Blutung einige Tage nach einer Tonsillotomie gestorben ist. Eine offizielle Gesamtzahl zu Todesfällen nach Mandeloperationen wird von den zuständigen Stellen auch auf Nachfrage nicht genannt.

Nach dem Katastrophenjahr 2006 gab es ein Umdenken hinsichtlich Indikationen und Operationstechnik. Statt die Mandeln komplett auszuschälen werden sie heute vermehrt und bei unter Sechsjährigen fast ausschließlich verkleinert. Die Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie sowie Kinder- und Jugendheilkunde erstellte dazu im Jahr 2007 ein Konsensuspapier. Demnach muss eine strikte fachliche Indikationsstellung vorliegen, bevor die Mandeloperation durchgeführt wird.

Am Grundproblem habe sich dennoch nichts geändert, kritisiert der HNO-Facharzt Wilhelm Streinzer, der für die Österreichische Ärztekammer als Bundessprecher der chirurgischen Fächer und als HNO-Bundesfachgruppenobmann tätig war. Es habe sich sogar verschärft: "Die Kostenträger versuchen, immer mehr Operationen in den ambulanten Bereich zu verschieben. Und diejenigen, die gerade bei Mandeloperationen bei Kindern dagegen sind, wie die wissenschaftliche Gesellschaft und die Bundesfachgruppe, werden als Verhinderer einer modernen Entwicklung der Medizin angesehen", sagt er zur "Wiener Zeitung".

Die totale Entfernung der Gaumenmandeln darf überall dort, wo es einen Fachschwerpunkt für HNO gibt, und an HNO-Abteilungen durchgeführt werden, die Teilentfernung auch an dislozierten Tageskliniken beziehungsweise ambulant. Das bedeutet, dass man nach einer Teilentfernung sofort wieder nach Hause gehen kann.

Dass es für die totale Entfernung eine HNO-Spezifizierung braucht, ist zwar eine Qualitätssteigerung gegenüber der Zeit vor 2007, als lediglich eine Abteilung für Chirurgie nötig war, doch nach wie vor ist bei Kindern "keine kinderchirurgische Abteilung Voraussetzung", kritisiert Streinzer. Auch eine Mindestfallzahl für Mandeloperationen, um die erforderliche Erfahrung zu sammeln, ist im Österreichischen Strukturplan Gesundheit nicht vorgesehen. In dieses Bild passt auch, dass es in Österreich unterschiedliche Vorgaben zur postoperativen Schonkost gibt: Während manche HNO-Ärzte etwa Wassereis (kein Milcheis) zwecks Hals-/Rachen-Kühlung empfehlen, um Blutungen vorzubeugen, warnen andere genau davor, weil die Gefäße sich noch stärker erweitern könnten, sobald der Kühleffekt nachlasse.

Nachblutungen sind bis zu drei Wochen lang möglich

Die Länge des Spitalaufenthalts nach einer Mandeloperation wird individuell entschieden. Meist sind es ein paar Tage. Nachblutungen sind allerdings bis zu drei Wochen nach der Operation möglich. "Um eine maximale Risikosenkung zu erreichen, müssten Kinder zumindest zwei Wochen nach einer Tonsillektomie stationär bleiben", sagt Wolfgang Alexander Luxenberger, derzeit HNO-Bundesfachgruppenobmann in der Ärztekammer. Vor allem in besonderen Fällen wie einer weiten Entfernung des Wohnortes vom Spital wäre eine solche Maßnahme "durchaus sinnvoll - dazu müssten allerdings auch die Kostenträger zustimmen".

Bei einer Teilentfernung der Gaumenmandeln oder einer Entfernung der Rachenmandeln (vulgo Polypen) wäre eine stationäre Aufnahme nicht nötig, meint Luxenberger. "Das ist aufgrund der hohen Fallzahlen und auch von den Begleitumständen her - ein Elternteil müsste ja ebenfalls zwei Wochen im Spital bleiben - kaum umsetzbar." Auch international sei das nicht üblich. In vielen Ländern würden sogar Tonsillektomien tageschirurgisch angeboten.

Tatsache und damit eine wesentliche Änderung zu früher ist laut Luxenberger, dass Mandeloperationen heute viel seltener durchgeführt werden. Nach den Todesfällen 2006 sieht er ein großes Risikobewusstsein bei den HNO-Ärzten: "Die Zeiten, als Kinder reihenweise im Vorschulalter quasi prophylaktisch nach ein bis zwei Anginen schon tonsillektomiert wurden, sind lange vorbei." Die Indikation sollte erst nach ausreichender Beobachtung des Krankheitsverlaufs und nur von HNO-Fachärzten gestellt werden.

Erhöhtes Infektionsrisiko nach Mandelentfernung

Grundsätzlich wird eine Entfernung der Mandeln erst dann in Betracht gezogen, wenn in einem Zeitraum von zwei Jahren fünf oder mehr Mandelentzündungen pro Jahr beziehungsweise sieben oder mehr innerhalb eines Jahres auftreten, wie die Medizinerin Lisa Demel erklärt. Sind die Mandeln so stark vergrößert, dass sie die Atmung beeinträchtigen, gilt dies ebenfalls als Indikation.

Doch auch nach einer Operation ist man nicht unbedingt vor Problemen gefeit. Kinder, deren Gaumen- und/oder Rachenmandeln entfernt wurden, haben laut einer Studie von Forschern aus Australien, Dänemark und den USA später ein erhöhtes Risiko für Atemwegserkrankungen, Infekte und Allergien. Fast 1,2 Millionen dänische Kinder wurden untersucht, das Ergebnis wurde 2018 im Fachmagazin "Jama Otolaryngology - Head & Neck Surgery" veröffentlicht.

Die Entfernung der Gaumenmandeln gehört demnach weltweit zu den häufigsten Operationen im Kindesalter. Laut der Studie geht sie jedoch mit einem fast verdreifachten relativen Risiko für Erkrankungen der oberen Atemwege einher. Die Frage, ob man sein Kind bei all den damit verbundenen Gefahren überhaupt operieren lassen soll, steht für die betroffenen Eltern dadurch umso bedrohlicher im Raum.

Die Gaumenmandeln befinden sich im Mund-Rachen-Raum und dienen in erster Linie der Immunabwehr. Sie liegen zwischen den vorderen und hinteren Gaumenbögen, sind paarig angelegt und mit bloßem Auge erkennbar. Deren vollständige Entfernung wird Tonsillektomie (TE) genannt, bei einer Teilentfernung spricht man von Tonsillotomie (TO). Auch die Rachenmandeln können Beschwerden verursachen. Sie liegen weiter hinten, am Übergang von Rachen und Nasenhöhle. Sind sie aufgrund einer Entzündung vergrößert, spricht man von Polypen. Deren Entfernung heißt Adenotomie (AE). Es gibt aber auch Mischformen wie die Adenotonsillektomie (TE+AE) und die Adenotonsillotomie (TO+AE).