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Der Kritik müssen Taten folgen

Von Eva Stanzl

Wissen
Philosophie zeigt den Weg aus der Sackgasse: geistige Beschäftigung beim Symposium, im Vordergrund das Labyrinth "Weg zur Mitte".
© Wolfgang Renner

Philosophie denkt sich neu: Wer kritisiert, muss handeln, hieß es beim 42. Wittgenstein-Symposium.


Kirchberg am Wechsel. Sollte in einer komplexen Welt die Philosophie einen aktiven Standpunkt einnehmen? Sollte sie eingreifen und, um Ordnung zu schaffen, zur Tat schreiten, anstatt ausschließlich zu betrachten?

Zum Auftakt des 42. Internationalen Wittgenstein-Symposiums 2019 in Kirchberg am Wechsel am Montag konnte durchaus die Frage aufkommen, ob die Liebe zur Weisheit die Welt nicht bloß deuten sollte. Das Generalthema "Krise und Kritik: Philosophische Analyse des Zeitgeschehens" leitete die mexikanische Ethikerin Maria Pia Lara mit einer Analyse ein, wonach jede Krise die Möglichkeit einer Wende voraussetzt und jeder Kritik eine Handlung folgen muss, da sie sonst ihre Wirkung verfehlt.

Lara erläuterte: "US-Präsident Donald Trump will zwischen Mexiko und Nordamerika eine Mauer bauen. Ähnlich wie Ungarns Präsident Victor Orban artikuliert er das Ziel: Was anders ist, muss weg. Die Occupy-Wall-Street-Bewegung hingegen übte eine klare Kapitalismuskritik, hatte aber keine politische Stimme, weil sie keine Strategie entwickeln konnte."

Leiten wir daraus ab, dass alle, auch philosophische Kritiker, Konsequenzen ziehen und sich einmischen sollten, um nicht im Nichts zu verhallen? "Durchaus", sagte Lara zur "Wiener Zeitung": "Die Philosophie kann Grundlagen schaffen für Strategien, die nicht auf Exklusion beruhen. Wir müssen Aktivismus neu denken."

Grundlagen für Aktivismus

Präzises, analytisches Denken erfolgt allerdings langsamer als die meisten Handlungen; Transformationen zum Besseren lassen auf sich warten. "Doch wir sehen bereits soziale und gesellschaftliche Veränderungen auf der Basis von analytischem Denken", betonte Lara. Als Beispiele nannte sie die Schiffskapitänin der "Sea-Watch 3", Carola Rackete, die aus Libyen kommende Flüchtlinge aus Seenot rettete und trotz fehlender Erlaubnis den Hafen der Insel Lampedusa anlief, oder die US-Philosophin Nancy Fraser, die die Vereinnahmung des Feminismus durch den Kapitalismus medial thematisiert.

Flüchtende weltweit, politische Umstürze, Klimawandel oder die Digitalisierung und ihre Folgen: Es ist eine Zeit unglaublicher Veränderungen, in der Grenzen sich auflösen. Somit nimmt nicht wunder, dass nicht alle Programmpunkte des Wittgenstein Symposiums interdisziplinär anklingen. Neben Vorträgen zu Gender, Biodiversität oder der Frage "Wann beginnt ein Kind, sich zu fürchten?", wird über Zivilgesellschaft und Fake News, Demokratien in der Krise oder Sexismus vorgetragen. Öffnet sich auch die Philosophie?

"Die Vorstellung einer reinen Philosophie, die sich klar unterscheidet von allen Wissenschaften, ist keineswegs selbstverständlich", betont die Präsidentin der Österreichischen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft, Elisabeth Nemeth. "Schon Aristoteles leistete in der Biologie empirische Arbeit. Und für den Philosophen Immanuel Kant war Newtons Physik der Maßstab dessen, was man über die Natur wissen kann."

Erst im 19. Jahrhundert kam die Vorstellung einer Philosophie auf, die von anderen Zugängen klar abgrenzbar sei. Allerdings hätte das 20. Jahrhundert gezeigt, dass "eine fruchtbare Philosophie" sich stark daran orientiere, was wir empirisch wissen können. "Ob Soziologie, Biologie, Psychologie, Hirnforschung oder Physik: Philosophen, die bereit waren, sich damit auseinanderzusetzen, machten die originelleren Vorschläge", erklärt Nemeth.

Ludwig Wittgenstein (1889-1951) bezeichnet sie als "interessanten Fall", weil er Philosophie sowohl als eigene Tätigkeit verstand, als auch "eine Form der Betrachtung entwickelte, die sich auf die Wissenschaften auswirkt."

Wittgenstein war der Meinung, dass die einzigen Erkenntnissätze über die Realität aus den Wissenschaften kommen könnten. Die Philosophie könnte jedoch klärend wirken, "wenn sie bestimmte Fragen so stellt, dass wir in Sackgassen geraten. Wenn dann die Philosophie gut hinschaut, kann sie uns zeigen, wie wir aus der Sackgasse finden."

"Philosophen sind nicht Personen, die etwas tun", erklärt Nemeth. "Allerdings heißt das nicht, dass sie nicht etwas produzieren. Sie produzieren eine Perspektive, die man nicht hat, wenn man sehr nah an etwas dran ist."

Das 42. Internationale Wittgenstein Symposium 2019 in Kirchberg am Wechsel zum Thema "Krise und Kritik: Philosophische Analyse des Zeitgeschehens" läuft bis 10. August. https://www.alws.at/de/symposium/42-internationale-wittgenstein-symposium-2019/

Tageskarten 30 Euro, Halbtagskarten
15 Euro. Die "Wiener Zeitung" ist Medienpartnerin des Symposiums.