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Wenn das Herz nachwächst

Von Eva Stanzl

Wissen
Ersatz-Organe auf Abruf: menschliche Herzzellen im Bio-Reaktor.
© Bernhard Jank/Ott Lab/Mass. General Hospital

Durch die steigende Lebenserwartung nimmt Organversagen epidemische Ausmaße an. Der Chirurg Harald Ott züchtet neues Gewebe mithilfe von Stammzellen und Organgerüsten, die bald aus dem 3D-Drucker kommen könnten.


Schon 2020 werden auf der Welt mehr über 65-Jährige als Kinder leben. Doch die Organe haben nur eine begrenzte Lebensdauer. Berechnungen zufolge soll jeder dritte Mensch einmal ein Transplantationskandidat sein wegen des Endversagens eines Organs, aber es werden viel zu wenige Spenderorgane zur Verfügung stehen. Bereits 2015 starben 3,2 Millionen Menschen weltweit an chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, jedoch konnten nur rund 5000 Lungentransplantationen durchgeführt werden: Diese Zahlen nennt der aus Tirol stammende und in Boston tätige Herz-Thorax-Chirurg Harald Ott. Er züchtet Ersatzorgane für chronisch kranke Menschen.

Bei den Gesundheitsgesprächen des Forum Alpbach hielt Ott einen Vortrag mit dem Titel "Organe auf Abruf: Heilung chronischer Krankheiten mit Stammzellen und Organtechnik". Der "Wiener Zeitung" gab er Einblicke in eine Zukunft, die den Mangel an Spenderorganen beheben könnte.

"Wiener Zeitung":Organversagen hat sich durch die steigende Lebenserwartung zu einer Form von Epidemie entwickelt. Sie wollen dies mit lebenden Implantaten heilen. Wie funktioniert das?Harald Ott: In den vergangenen 20 bis 30 Jahren ist es gelungen, akute Erkrankungen immer effektiver zu bekämpfen und die menschliche Lebensdauer zu verlängern. Dafür spielen Organ-Insuffizienzen eine immer größere Rolle. Ich habe eine Technologie entwickelt, um Organe aufzubauen. Anstatt von Grund auf zu beginnen, nutzen wir vorhandene Strukturen. Wir waschen die Zellen mit einer Seifenlösung aus Kadaver-Organen, behalten nur das Grundgerüst und besiedeln dieses mit Zellen.

Ohne Gerüst keine Funktion?

Genau. Jedes lebende Gewebe besteht aus einer Architektur und aus Zellen, die ihr die Funktion verleihen. Im Mutterleib wächst beides gemeinsam im Embryo von Grund auf heran. Später ist das aber nicht mehr der Fall. Wir hatten die Idee, Organgerüste von toten Schweinen für Lungen, Herz oder Nieren zu nehmen und die Matrix neu zu besiedeln. Seitdem arbeiten wir im Labor daran. Seit der japanische Stammzellforscher und Nobelpreisträger Shin’ya Yamanaka nämlich eine Methode entwickelt hat, um erwachsene, spezialisierte Körperzellen in alles könnende, embryonale Stammzellen (iPS-Zellen) zurückzuverwandeln, haben wir die Bausteine, um spezialisiertes Gewebe nach Bedarf herzustellen. Momentan entziffern wir aber noch jene Schritte in der Entwicklungsbiologie, die nötig sind, damit spezialisiertes Gewebe - also Herz, Lunge oder Nieren - richtig wächst. Mit diesen Bausteinen ließe sich das machen.

Inwieweit ist das schon gelungen?

Wir sind sicher noch einige Jahre von der Anwendung entfernt, aber ist bereits gelungen, funktionierendes Gewebe mit fötalen Stammzellen von Ratten herzustellen. Um dasselbe mit humanen Zellen zu machen, müssen wir iPS-Zellen verwenden und die Biologie der Zell- und Gewebe-Differenzierung begreifen. Im Großtiermodell haben wir dies bei Lungen geschafft. Wir konnten sie transplantieren, aber sie funktionieren nur für einige Stunden.

Manche Medien bezeichnen Sie als "Dr. Frankenstein". Wie gefällt Ihnen das?

Ich bin dem gegenüber relativ offen, aber es passt nicht ganz. Das Prinzip entspricht ebenso wenig Frankenstein wie die Transplantation von Organen verstorbener Spender, die heute durchgeführt wird.

Der Titel rückt Sie in die Nähe von Horrorfantasien.

Ja, sowieso. Allerdings forschen wir auch an künstlichen Gerüsten, die in fünf bis zehn Jahren aus dem 3D-Drucker kommen und mit den Bausteinen des Menschen besiedelt werden könnten. Dann könnten wir Organe auf Abruf machen, bei denen keine Tier-Kadaver mehr benötigt würden. Jedoch gibt es bisher nur wenige Zugänge, mit denen es funktioniert.

Ein Team aus Japan macht Mischwesen aus Mensch und Ratte mit dem Ziel, Ersatzorgane in Tieren wachsen zu lassen. Wie aussichtsreich erscheint Ihnen das?

Es gibt einige Zugänge. Die Xenotransplantation, also das Einsetzen etwa von Schweineorganen in Menschen, ist wahrscheinlich am nächsten zur klinischen Anwendung. Im Primatenmodell funktionieren diese Organe bereits einige Monate. Das Problem damit ist, dass man das System nur bedingt beeinflussen kann. Man verändert ein Schwein genetisch so, dass es menschlicher wird, um wegen den unterschiedlichen biologischen Prozessen nicht abgestoßen zu werden. Doch wenn die Zahl der zu verändernden Gene zu groß ist, kann die Biologie an sich Probleme machen. Was daher die japanischen Bestrebungen betrifft, menschliche Organe in Tieren wachsen zu lassen, kann man funktionelle Schwierigkeiten nur dann ausschließen, wenn sie in Primaten herangezogen werden. Und hier wiederum ist das Verhältnis Primat zu Mensch kompliziert. Lebende Organ-Farmen herumlaufen zu lassen, ist jedenfalls ethisch schwieriger als Organe auf Abruf zu erzeugen.

Sind lebende Organ-Farmen ethisch in irgendeiner Hinsicht vertretbar?

Man muss realistisch sein: Es gibt Schnitzel-Farmen, Schwein und Rind dienen dem täglichen Gebrauch in der Fleischproduktion. Weiters ermöglichen Schweine-Herzklappen Menschen das Leben. Ich persönlich aber tue mir leichter mit einem Organ, das ich aus Ihren Zellen herstellen kann. Letztlich wird sich die Technologie auch dorthin entwickeln.

Schnitzel-Farmen sind etwas anderes als Mensch-Tier-Mischwesen.

Natürlich ist die Kategorie Mensch-Tier-Mischwesen komplizierter. Es ist eine schwierige Diskussion, die sich nur durch Information und ein gutes, tiefes Verständnis lösen lassen wird. Wenn man nur einige wenige Gene in einem Schwein so verändert, dass der Körper des Organ-Empfängers sie nicht abstößt, ist es vielleicht nicht so problematisch. Aber wenn vier oder fünf Organe im Schwein menschlich sind, muss man sich fragen, wo das hinführen soll. An dieser Diskussion führt nichts vorbei. Es wäre problematisch, wenn plötzlich ein Schwein mit einem humanen Kleinhirn herumläuft.

Könnte man sich von Ihnen eine auf die eigene Genetik zugeschnittene Niere machen lassen, die man bei Bedarf nur aus dem Gefrierschrank holen müsste?

Der Langzeittraum wäre, Organfunktionen zu ersetzen, statt sie als Chirurg nur zu reparieren. Heute beträgt die Wartezeit auf eine Niere fünf Jahre, die Lebensqualität von Dialysepatienten ist miserabel. Dafür braucht man eine Lösung. Die vernünftigste erscheint mir ein biologischer, lebender Ersatz. Eines Tages wird man bei Erkrankungen wegen Gewebeverlusts neues Gewebe auf Abruf binnen weniger Monate herstellen. Allerdings ist die Idee, dies für jeden Einzelnen zu tun, schwierig und teuer. Eher werden wir universale Spenderzellen herstellen, die von den Immunsystemen von Gruppen von Patienten angenommen würden. Besonders die japanische Forschung arbeitet seit dem Reaktorunfall von Fukushima intensiv an dahingehenden Methoden, da viele Probleme wegen der radioaktiven Strahlung befürchtet werden.

Weitere Beiträge zum Forum Alpbach:

https://www.wienerzeitung.at/themen/forum-alpbach/