Die junge Frau ist fast wie aus der Hand eines alten Meisters gemalt, und das, obwohl sie nie Modell stand. Vorbild für ihr Porträt war vielmehr eine Skulptur aus Ton. Die Form ihres Gesichtes wurde aus winzigen fossilen Knochenstücken und Analysen des Erbguts abgeleitet. Einem Forschungsteam aus Israel ist es gelungen, das Aussehen einer jugendlichen Denisovanerin zu rekonstruieren. Die ausgestorbene Menschenart bevölkerte Tibet vor 160.000 Jahren. Im sibirischen Altai-Gebirge überlebte sie bis in die Altsteinzeit vor 52.000 Jahren.

Porträt einer jungen Dame: ein Denisova-Mensch im Bild. - © M. Harel
Porträt einer jungen Dame: ein Denisova-Mensch im Bild. - © M. Harel

Die Denisova-Menschen lebten zur selben Zeit wie Neandertaler und bereits anatomisch moderne Menschen. Mit beiden waren sie eng verwandt. Nur wenige Fossilien belegen die Existenz dieser Population: ein Knochen eines kleinen Fingers und zwei Backenzähne aus Sibirien sowie ein Unterkiefer aus Tibet.

Wissenschaftlich erstmals beschrieben wurden der Fingerknochen im Jahr 2010, die Backenzähne 2010 und 2015 und der Unterkiefer Anfang dieses Jahres. Svante Pääbo und Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig gelang es, die DNA aus den Mitochondrien des Fingerknochens zu sequenzieren. Die Erbgutanalyse zeigte, dass eine eigenständige, bis dahin unbekannte, Neandertalern und modernen Menschen nahestehende Menschenart der Gattung Homo entdeckt worden war. Wie Denisova-Menschen aussahen, war bisher allerdings mangels ausreichender fossiler Überreste nicht bekannt.

Ein Team der Hebräischen Universität in Jerusalem berichtet im Fachjournal "Cell" über die Umwege, die es gehen musste, um die Anatomie der Jugendlichen zu erkunden. "Uns ist die erste Rekonstruktion des Denisovaner-Skeletts gelungen", wird Studienleiter Liran Carmel in einer Aussendung des Magazins zitiert. "In vielerlei Hinsicht waren diese Population den Neandertalern ähnlich, in manchen Zügen glich sie dem modernen Menschen und manches war ihnen einzigartig."

Die Forscher identifizierten 56 anatomische Merkmale, in denen sich die Denisova-Menschen von ihren Verwandten unterschieden, von denen sie 34 dem Schädel zuordneten. Sie gehen davon aus, dass sowohl der Schädel als auch der Zahnbogen breiter war.

Die Vorhersage der Anatomie beruht auf einer Analyse der genetischen Daten. Doch anstatt sich auf die DNA-Sequenz zu verlassen, konzentrierten sich Carmel und sein Team auf die Aktivitätsmuster der Gene. Auf diese Genaktivität schlossen sie anhand der epigenetischen Markierungen durch DNA-Methylierung.

Zum Hintergrund: Die DNA trägt das Erbgut. Epigenetische Markierungen an ihr entstehen durch Umwelteinflüsse. Das Fachgebiet der Epigenetik untersucht, welche Faktoren jenseits von Mutation und Rekombination die Aktivität eines Gens beeinflussen. Es erforscht chemische und strukturelle Veränderungen, die nicht die Abfolge der DNA-Bausteine beeinflussen, sondern bestimmen, wie der Körper die Gene abliest. Auch diese Markierungen werden weitergegeben, wenn sich die Zellen teilen. Der dahinterstehende chemische Prozess nennt sich DNA-Methylierung. Sie beeinflusst die Genaktivität, ohne etwas an der Gen-Sequenz zu verändern.

Und wie ergeben sich aus all dem Kenntnisse über das Aussehen? Carmel und seine Kollegen verglichen die DNA-Methylierungsmuster der drei Menschenarten. Dabei entdeckten sie, dass bestimmte Bereiche des Genoms unterschiedlich methylieren. Als Nächstes untersuchten sie, wie sich diese Unterschiede auf die Anatomie auswirkten. Die Basis dafür bildete bekanntes Wissen über die Folgen, wenn diese Gene ausfallen. "Auf diese Weise konnten wir beantworten, wie unterschiedlich regulierte Gene bestimmte Knochenteile verändern", erklärt Erstautor David Gokhman.

85-prozentige Genauigkeit

Zu Übungszwecken begannen die Forscher mit zwei Arten, deren Aussehen sie kannten: Neandertaler und Schimpanse. In 85 Prozent der Fälle machten sie mit ihrer Methode präzise Vorhersagen darüber, wie nicht vorhandene und anders aktivierte Gene die Züge verändern. Somit kennen sie die Anatomie der Denisovaner mit 85-prozentiger Genauigkeit. Mit den Neandertalern teilte die Menschenart ein verlängertes Gesicht und ein breites Becken. Der breite Zahnbogen und der breite Schädel ist eine Denisova-Eigenschaft.

Laut den Forschern kann die Anatomie nun rekonstruiert werden, selbst wenn nur wenige Fossilien vorhanden sind. "Die Arbeit lehrt nicht nur über menschliche Anpassung und die Zwänge der Evolution, sondern sie zeigt auch, wie man die Anatomie von Menschen aus der DNA ableiten kann", betont Carmel.